MARTIN BUBER / DIE VERTRETUNG
br zwei Jahren Wurden in der politischen Kommission des Zionisten-
V kongresses die Lage und die Aussichten der zionistischen Politik erörtert. Ich sagte unter anderem ungefähr: „In England beginnt man zu merken, daß Arabistan im Werden ist. In dem Augenblick, wo diese Einsicht sich durchgesetzt hat, wird die Frage lauten: Soll Arabistan gegen England oder— von England gemacht werden? Das heißt: Soll man warten, bis ein großarabischer Staat oder Staatenbund im Rücken Englands und somit dessen ägyptisch-vorderasiatische Position bedrohend entstanden ist, oder soll man ihn selbst zum Leben befördern und sich seiner versichern? Es ist dies ja eine jener Situat'iönen, die nicht in Indifferenz ausgehen können, deren Ausgang vielmehr notwendig entweder Kampf oder Bündnis — wenn auch ein auf der einen Seite mit Rückhalt, auf der anderen mit Hinterhalt geschlossenes Bündnis — ist. Die Antwort auf jene Frage kann für niemand zweifelhaft s*in, der die Traditionen der britischen Weltpolitik und die gegenwärtigen Schwierigkeiten des britischen Imperiums kennt. Wir aber — sind wir für das Dann gerüstet?" Darauf entgegnete Weizmann, er habe von derartigen Meinungen und Absichten nichts wahrgenommen, und Arabistan liege in weiter Ferne. Daß es, in ,,föderativer'' Form, schon vor dem nächsten Kongreß Wirklichkeit geworden sein wird, habe auch ich nicht geahnt; man ist eben auf das neue Tempo der politischen Entwicklung im Osten noch nicht eingestellt. Aber nun ist es da, das Dann, auf das ich hindeutete; und als dafür gerüstet haben wir uns nicht erwiesen.
Nun beginnen wir uns zu rüsten. Für einen politischen Methodenoder gar (sofern bei uns in der Zwangsläufigkeit der letzten fünf Jahre überhaupt von dergleichen die Rede sein kann) Systemwechsel ist es freilich längst zu spät. Es hat eine Zeit gegeben, wo wir von England Konkretes erlangen konnten, weil wir Konkretes zu bieten hatten x ) ;es hat eine Zeit gegeben, wo arabische Führer für Zugeständnisse, die uns heute recht erträglich scheinen würden, Zugeständnisse zu machen bereit waren, die uns heute unerreichbar scheinen. Es hat eine Zeit gegeben, wo die einen und die andern unsere wirtschaftliche Macht ernst nahmen, mit ihr rechneten. Jetzt 4 st eine andere Zeit. Wir haben manches unterlassen; vor allem aber haben wir die Unzulänglichkeit unserer wirtschaftlichen Macht und Leistungsfähigkeit aller Welt vordemonstriert. Töricht ist es, die Exekutive der Schuld zu zeihen; es ist auch für Opposition zu spät geworden (und, neben- bsi gesagt, ein ahnungsloseres, situationsblinderes Dokument als die Pro- grammentwurf-Begründung der „Haager Oppositionsgruppe" ist mir nicht unter die Augen gekommen); und wir wissen ja doch, jeder Zionist 9 jeder
. l ) Vgl. meinen Aufsatz „Kongressnotizen zur zionistischen Politik" im Oktoberheft 192t Heft des VI. Jahrgangs).
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