Die jüdische Gefahr
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konnte: daß vor der Geburt Christi die Elemente des hohen und niedrigen, des primären und sekundären Menschentypus im Judentum vermengt waren, daß dann durch die Erzeugung des größten religiösen Genies die Seelensubstanz des Volkes erschöpft wurde und es seither ohne Gnade fortvegetiert.
Hier muß ich in Blühers Ton verfallen. Er, der Luthers Übersetzung aus dem Hebräischen die Gründung des Deutschen Reiches nennt, aber mit preußischer Kasernhofstrammheit donnert, kein Jude habe das Recht, auch nicht in wörtlichen Zitaten, auch nicht wenn er dasselbe „denkt", sich auf Friedrich den Großen zu berufen, — ihm muß ich das Recht absprechen, das verzweifelte irrende Selbstbekenntnis des keineswegs wehrlosen Toten als Beweismaterial für die Anklageschrift zu verwerten. Es gehört wohl kaum große Selbstüberwindung oder hohe geistige Reife dazu, im eigenen Volk alles Edle, Große und Schöne zu sehen, und diese tief unchristliche Selbstanbetung mit einem Haßgesang * zu krönen, der alle Fehler und Schwächen der eigenen Gemeinschaft dem fremden Einfluß zuschreibt. Blüher kannte den Chassidismus und alle die anderen nachchristlichen Erscheinungen in der Entwicklung des jüdischen Volksgeistes, die dem unglücklichen jungen Märtyrer des verlottertsten selbstvergessensten Augenblicks seines Volkes unbekannt gewesen und die das Fortleben jener glühenden reinen Religiosität beweisen, die einst durch eine Seitenstraße zum paulinischen Christentum geführt hat. Blüher darf nicht gegen sein besseres Wissen behaupten, daß dies Judentum der Evangelisten nicht mehr im Judentum vorhanden sei und nicht mehr mit seinem Gegenpol ringel Diese beiden Elemente, die hier gemeint sind, der Glaube und der rationale Wille, die Liebe und die Arbeit, die neue Eruption der Religiosität und ihre geronnene Lava, das Gesetz, stehen in allen Völkern und in jeder einzelnen Seele gegeneinander. Vielleicht ist die Existenz des Universums, jedenfalls aber der Ablauf unseres Lebens der Entscheidung dieses Ringens geweiht.
Auch das Urchristentum hat nicht, keinesfalls aber haben der Katholizismus oder der Protestantismus die messianische Synthese dieser Gegensätze gefunden. Gewiß wartet ebenso das Judentum noch auf den erlösenden Ausgleich, aber es darf uns nicht der billige Vorwurf gemacht werden, daß wir auf die Reinheit endgültig verzichtet hätten, weil wir uns nicht zu dem Glauben überreden lassen, daß sie durch einen der bisherigen Akte höchster Begnadung für die Menschheit aller Zeiten errungen und gesichert sei. Wenn wir gleichfalls nicht die paradoxe Ergänzung dieses Gedankens, den klugen und bequemen Schnitt anerkennen: Hie Sünde, drüben Erlösung, so gibt doch keiner von uns, soweit der ein wirklicher Jude ist, auch nur einen Augenblick die Hoffnung auf, daß die Reinheit erreicht wird, am Ende der Tage, daß sie das Ziel ist und die Rechtfertigung alles Daseins! Die Juden halten die Durchdringung des sinnlich-vergänglichen Augenblicks mit heiligem Geist für möglich; nicht heute und nicht von jedem! Dem es einmal vollkommen gelingen wird, er ist eben der Messias. Wir können es nur anstreben, aber dazu sind wir da! Es ist nicht