Liberalem Judentum
JTlonatsfdirift
für die religldfen Intereffen des Judentums
herausgegeben von der
Vereinigung für das liberale Judentum In Deuffdiland
unter der Redaktion von Dr. Caefar Seligmann, Rabbiner in franhfurt a. M.
Ho. 2. Jahrgang 3. Februar 1911.
Zum 70. Geburtstag des Rabbiners Dr. fi. Vogelstein-Stettin.
n bescheidener Zurückhaltung, die ein Wesenszug seines vornehmen Charakters ist, beging Rabbiner Dr. Vogelftein-Stettrn am 20. ds. Mts. seinen 70. Geburtstags Geboren in Lage (Fürst. Lippe) im Jahre (8^(, : besuchte vog elftem während der Jahre 1^859 bis (868 das Breslauer Seminar und wurde (868 zum Rabbiner in pilfen und (879 zum Rabbiner in Stetün gewählt, wo er seit 32, Jahren in segensreicher Tätigkeit, getragen von der Liebe und Verehrung seiner Gemeinde, wirkt. Unter seinen Kollegen als heimisch auf talmudischem und auf allen Gebieten theologischer Wissenschaft geschätzt, har er die jüdische Wissenschaft mit wertvollen, gelehrten Arbeiten aus dem Gebiete der talmudischen Rechtswissenschaft und der kritischen Bibelwissenschaft bereichert, weiten Kreisen wurde er bekannt durch' sein im Auftrag der Synagogengemeinden Westfalens bearbeitetes „Israelitisches Gebetbuch". — Eine hervorragende Stellung nimmt der Jubilar in fast allen größeren jüdischen Organisationen ein, zu deren tätigsten und pflichteifrigsten Mitgliedern er zählt, voll jugendlicher Initiative ist er bis zum heutigen Tag überall auf der Warte erschienen, wo es galt, öffentlich für das Judentum und seine Ideale einzutreten, Fragen zu klären, Angriffe abzuwehren.
Uns aber ist er vor allem der Veteran und geistige Führer des liberalen Judentums in Deutschland. Wie es von Simon hazzadik heißt, daß er war: „misobejoro obsnssss haggedoloh von den letzten der großen Versammlung", so ist Vogelstein unter den Rabbinern der letzte noch lebende Teilnehmer an der Augsburger Synode, voll Kraft und Temperament vertrat er damals seinen bei allem Freisinn gemäßigten Standpunkt, und auf diesem Standpunkt ist er Ln seltener Treue und Tharakterfestigkeit durch sein ganzes Leben unerschütterlich stehen geblieben und er erlebte nun, da die Krone des Alters den ewig Jungen schmückt, die hohe Freude und Genugtuung, daß sein Ideal, das er fest gehalten in trüben Zeiten, heute das Ideal von Tausenden geworden ist, die sich freudig um ihn scharen.
Vogelstein war es, — das sei hier zu seiner ehrenden Anerkennung festgestellt — der in einem Artikel der Allgemeinen Zeitung des Judentums vom (7. Mai (907 den ersten Anstoß zur Begründung der Vereinigung für das liberale Judentum gegeben, und der in dem genannten Artikel in klaren eindringlichen Worten die Grundzüge der Vereinigung fest- gestellt hat. Darum war es ein selbstverständlicher Tribut der Dankbarkeit, wenn der Vorstand der Vereinigung dem hochverdienten