Oberales Judentum
JTlonatsfchrift
für die religiösen Interessen des Judentums
herausgegeben von der
Vereinigung für das liberale Judentum in Deutfdriand
unter der Redaktion van Dr. Caefar Seligmann, Rabbiner in frankfurt a. IR.
No. 5. Jahrgang 3. Mai 1911.
Zionismus oderMberalismus -
Von Dr. felix Goldmann-Oppeln.
Zionismus und OrthodsXie.
benso schädlich für die Religion wie nach der eben besprochenen Richtung erweist sich der Zionismus auch durch sein Verhältnis zur Orthodoxie. Der Zionismus haßt den religiösen Liberalismus, er spürt instinktiv in ihm den Gegner, der die Bedeutung des Judentums auf dem allein zutreffenden Gebiet erkennt und anerkennt, der sich vor allem über den Wert der nationalen Anklänge in der Religion völlig klar ist, und sie demgemäß, wo sie Schaden anrichten oder zu Rkißverständ- nis Anlaß geben, abstreift. Es gibt nichts verbohrteres als diesen blinden haß gegen den Liberalismus, der sich in Zeitungen und Versammlungen durch höhnische und verdächtigende Angriffe gegen die Liberalen und vornehmlich die liberalen Rabbiner immer wieder unermüdlich erhebt. Dieser haß hat jedoch noch eine sehr ernste Folge. Denn er veranlaßt den Zionismus den konservativen und orthodoxen Elementen des Judentums sich zu nähern und mit ihnen Bündnisse zu schließen. Der Berührungspunkt liegt in den jüdischen Zeremonien, die freilich für beide eine verschiedene Bedeutung haben. Der Orthodoxe sieht in ihnen das religiöse Symbol, der Zionist die nationale Sitte, ohne
Atheismus oder Religion?
(Schluß.)
daß er freilich im Durchschnitt sich gedrungen fühlt, durch persönliches galten der Gebräuche seine theoretische Anerkennung in die Praxis umzusetzen. Er tritt eben nur aus einem rein politischen Grunde für die Partei ein, welche die Zeremonien aufrechterhält, und kümmert sich durchaus nicht darum, ob er ihren sonstigen Prinzipien zustimmen kann oder nicht. Ihn führt ja nur das gemeinsame Objekt der Bekämpfung, der verhaßte Liberalismus, an die Seite der Orthodoxie oder der Konservativen! Natürlich ist diese Bundesgenossenschaft des unreligiösen Zionismus, der sich zum Verfechter von religiösen Forderungen macht, die er selber nicht hält, nichts wie eine Förderung der religiösen Heuchelei und Scheinheiligkeit. Und jeder Kampf, der mit Heuchelei geführt wird, geht gegen die wahre Religion. Es gibt nichts peinlicheres und häßlicheres als diese Bundesgenossen- schaft bei Wahlen, dieser Versuch politische und religionsfeindliche Tendenzen durch Eintreten für eine religiöse Partei zu fördern, und wenn wir Liberalen dies empfinden, so hat es darum besonderes Gewicht, weil wir, wenn wir kleinlich und vom Parteiinteresse verblendet dächten, uns darüber freuen müßten. Denn — um Beispiele herauSzu-