überdies Judentum
Ulonafsfchrift
für die religiösen Interessen des Judentums
herausgegeben von der
Vereinigung für das liberale Judentum in Deuffdiland
unter der Redaktion van Dr. Caefar Seligmann, Rabbiner in frankfurt a. ITl.
No. 10. Jahrgang 3. Oktober 1911.
Judentum und Zeremonien.
Von Prof. Dr. €rnft Samter-Berlin.
n Nr. 5 dieser Zeitschrift wird auf die Rede hingewiesen, die Professor pirsch aus Chicago auf dem Weltkongreß für freies Christentum gehalten hat. Der Gedanke, den pirsch nach der mitgeteilten Inhaltsangabe dort zur Grundlage seiner Ausführungen gemacht hat (ähnliche Gedanken enthält seine Rede auf der Nürnberger Versammlung, abgedruckt Iahrg. II dieser Zeitschrift, S. 202 ff.), dieser Gedanke scheint unwiderleglich: als das wesentliche einer Religion kann man nicht das betrachten, was sie mit anderen, früheren, tiefer stehenden Religionen teilt, sondern das muß als ihr Rern gelten, was ihre Eigenart ausmacht. Die Riten hat das Judentum gemeinsam mit den Religionen primitiver Völker, das hat die religionswissenschaftliche Forschung sicher erwiesen; neu und dem Judentum eigentümlich war der Gedanke der Propheten, daß Religion identisch mit sittlichem handeln sei, und darin ist daher das eigentlich Charakteristische des Judentums zu finden.
Ulit Interesse liest man auch die Bemerkungen, die der protestantische, jetzt freireligiöse Theologe Rlaurenbrecher an die Inhaltsangabe der Hirsch'schen Rede geknüpft hat. Das liberale Christentum, das unge
fähr ist der Sinn seiner Darlegung, muß gerade das aufgeben, was bei der Entstehung des Christentums sein eigentliches Wesen bildete, den Glauben an die Gottheit Christi, das liberale Judentum dagegen kann den Rern der alten Religion, jene Cehre der Propheten, festhalten.
So sehr man diesen Bemerkungen zustimmen und sich ihrer freuen kann, so muß man sich doch darüber klar sein, daß die hier ausgesprochene günstige Ansicht über das Judentum nicht sehr verbreitet ist, daß sich vielmehr zahlreiche Christen eine ganz andere Vorstellung vom Judentum machen. Daß dem so ist, erklärt sich nicht etwa nur aus Unwissenheit und Voreingenommenheit, sondern ist wesentlich in einem anderen Umstande begründet, was vom Judentum nach außen hervortritt, sind viel mehr als seine lehren seine Formen und es ist daher ganz begreiflich, daß der Anschein erweckt wird, auf ihnen beruhe das Wesen des Judentums, wenn jemand einem liberalen Protestanten entgegenhalten würde, der Glaube an die Gottheit Christi gehöre doch nun einmal zu der ^ehre des Christentums, so könnte er mit gutem Recht auf die schon ziemlich zahlreichen Geistlichen Hinweisen, die als amt-