liberales Judentum

lTlonatsfchrift

für die religiösen Interessen des Judentums

herausgegeben van der

Vereinigung für das liberale Judentum in Deuffchland

unter der Redaktion van Dr. Caefar Seligmann, Rabbiner in Frankfurt a. Hl.

No. 5. Jahrgang 4. Mai 1912.

Wir Rabbiner.

Von Dr. Cinftein-Eandau.

ch sage:wir Rabbiner" aber ich habe keinen Auftrag, in ihrem Namen zu sprechen. Ich erkläre das feierlichst, da­mit die Herren Rabbiner nicht nötig haben, von mir abzurücken. Viel angenehmer wäre es mir, wenn sie zusammengingen. Und..für unser liberales Judentum wäre es sicherlich das Beste und Segensreichste, wenn es tat­sächlich eine große Anzahl von Rabbinern geben würde, die nicht bloßim Prinzip", sondern auch in der Praxis übereinstim­men würden, so daß man in Wahrheit sagen könnte:wir Rabbiner".

Die Entwicklung des liberalen Juden­tums wird zweifellos dadurch sehr behindert, daß für seine Betätigung keine ins ein­zelne gehenden Grundsätze und Richtlinien aufgestellt werden.

Die sogenannte Orthodoxie hat das nicht nötig. Für sie hat nur die seit Jahrhun­derten kodifizierte Form der Betätigung des Judentums ihre Berechtigung. Und. wenn es zum großen Teil auch nur eine Selbst­täuschung ist, anzunehmen, daß die äußere Uebung des Judentums bei den Bestim­mungen des Schulchan Aruch stehen geblieben sei und dieselben heute noch unverände^. gelten lasse: die Orthodoxie verkündet nun einmal diese Fiktion und macht das Bekennt­nis zu ihr zu ihrer Grundforderung.

Ttwas mehr Schwierigkeiten bietet schon die Stellung derFreien jüdischen Vereinigung", deren Programm sich im fünfzehnten Hefte des ersten Jahrgangs dieser Zeitschrift (S. ff.) abgedruckt findet. Diese Vereinigung will den An­forderungen der Zeit gerecht werden, sie will aber auch das Lrbe der Väter den Rindern unangetastet übergeben. Wenn ich das recht verstehe, so heißt das nichts anderes, als wir wollen konservativ, wir wollen aber auch liberal sein, ein Kunststück, das in diesem Sinne wohl keiner fertig bringt. Man hat auch noch nichts davon gehört, wie sich die Freie Vereinigung die Aus­führung ihres Programms denkt. Die Herren, welche dasselbe unterschrieben haben, gehen meistenteils mit der Orthodoxie Hand in Hand, jedenfalls soweit es sich um die Bekämpfung des Liberalismus han­delt. Was sie von der Orthodoxie und vom Liberalismus unterscheidet, haben sie nicht klar gelegt.

Und nun kommen die Liberalen, schrei­ben schöne Artikel, erklären als ihrer Be­strebungen letztes Ziel, die Lauen und Fern­stehenden dem religiösen Judentum zu erhalten oder neu zu gewinnen, zeigen in überzeugender Weise, daß dazu gewisse Zu­geständnisse an den Geist der Zeit unbedingt