liberales Judentum

JTlonatsfchrift

für die religiösen Interessen des Judentums

herausgegeben van der

Vereinigung für das liberale Judentum in veutfcbiand

unter der Redaktion van Dr. Caefar Seligmann, Rabbiner in Frankfurt a. 171.

No. 10 und 11 . Jahrgang 4. Oktbr. u. Novbr. 1912.

Die Polener Versammlung.

i.

Cindrücke.

Heller Sonnenschein empfing uns, als wir in j)osen ankamen. Schien nicht' die schöne, aufblühende Stadt im Msten Fest­schmuck angelegt zu haben, als sie uns mit strahlendem Sonnenglanz begrüßte? Oder war es der Widerschein unserer festlich- . frohen Stimmung, der uns alles so über­sonnt erblicken -ließ?

Im Lichterglanz erstrahlte das würdig­schöne Gotteshaus, und weihevolle Festes­stimmung überkam uns bei der, geistvollen, mit feinstem Griffel ausgemeißelten predigt, die noch bedeutender war in dem, was sie nur leise anschlug und im Hörer ausklingen ließ, als in dem, was sie so wundervoll aus­führte.

Im Festschmuck strahlten die gastlichen Tafeln unserer liebenswürdigen Gastgeber, und festlich grüßte uns am Abend die Stätte der Runst, wo wir Lessing's ewig-schönen diamantklaren Worten der Duldsamkeit und der Menschenliebe lauschten.

Aber all' das war ja nur die Einlei­tung zu dem großen Tage, der uns alle, die ein gleiches Wollen und Empfinden be­seelte, zu ernster, feierlicher Beratung Zu­sammenkommen ließ.

Das war ein freudiges Erkennen und Begrüßen bei vielen, die sich feit der Nürn­berger Versammlung nicht gesehen und die, in opferfreudiger Hingabe an eine ideale Sache, nun nach dem Dsten zogen, wie sie vor zwei Jahren die Fahrt nach dem Süden nicht gescheut hatten.

Das ist es ja, was diese Versammlung zu einem inneren Erlebnis werden ließ, das uns über graue Alltagsgedanken und über kleinliche Miseren des Daseins erhob, dieses Bewußtsein einer idealen Vereinigung, diese hochgespannte Stimmung, die nicht fragt nach weltlichem Vorteil und Gewinn, noch nach böswilliger Verleumdung und Verunglimpf­ung und zufrieden ist mit der Zustimmung des eigenen Herzens.

Ernste Aufmerksamkeit auf allen Gesich­tern, als nach der warmherzigen Eröffnungs­rede des Vorsitzenden, Iustizrat Breslauer, Rabbiner Dr. Seligmann anhebt, die Richt­linien des liberalen Judentums in bedeut­samer Rede zu erklären und zu beleuchten, und die Spannung und Aufmerksamkeit läßt nicht nach, als Dr. vogelstein und Dr. Freu­denthal mit tiefer Eindringlichkeit auf den Inhalt der Richtlinien eingehen. würdig und sachlich verläuft die Diskussion. Jeder ist sich des Ernstes des Augenblicks bewußt, und als der Vorsitzende gegen 2 Uhr die