10 Rabbiner Dr. Gelles: Der Schöpfungsberichl im Religionsunterricht'der höheren Schulen ll

Der Schöpf ungsberidit im Religionsunterricht der höheren Klaffen.

Von Rabbiner Dr. Gelles, Lissa.

er in den oberen Klassen einer höheren Lehranstalt Religionsunterricht erteilt und ihnsö*gibt, daß die Schüler nicht vor ge­löste Aufgaben gestellt werden, sondern un­gehalten sind, mitzudenken, mitzuarbeiten, von selbst dorthin zu kommen, wo sie der Lehrer gern haben möchte, der hat sehr oft Gelegen­heit, Zeuge jener inneren Kämpfe zu sein, Die Glauben und Wissen jn den jungen Ge­mütern führen. Da ist es insbesondere der Unterricht in den Naturwissenschaften, der chles das erschüttert, was der Religionslehrer Ln den unteren Klassen als Wahrheiten der heiligen Schrift in die Ls erzen verpflanzt hat: Die sechs Schöpfungstage vertragen sich we­nig mit der Lehre von einer nach Millionen fahren zählenden' Entwicklung; das biblisch berechnete Alter der Welt steht nn Wider­spruch mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Lorschungen. Wehe nun 'dem Lehrer, der solche Fragen von der Lsand weist, sie einfach mit den Worten erledigt:Das habt ihr zu glauben." Gewiß! Der Schüler , wird aus Achtung^ vor seinem Lehrer schweigen, aber glauben wird er nicht. Er wird sich viel­mehr sein Urteil schnell bilden und nur noch äußerlich das annehmen, was ihm der Reli­gionslehrer übermi.telü Wer darum in den -oberen Klassen einer höheren Lehranstalt Religionsunterricht gibt und das große Glücks­gefühl durchkosten möchte, seine Schüler zu Kindern seines Geistes zu machen, ihre bserzen nach dem Bilde zu formen, das unsere heilige Religion entworfen hat, der muß auf alle Fragen seiner Schüler eingehen und auch ein- gehen können, der muß eine Antwort geben, die auf den Geist befreiend wirkt von allen Zweifeln.

Wie sahen die Antworten aus, die man uns da wir noch Schüler waren auf unsere Frage gab, ob die biblische Mit­teilung von der Schöpfung der Welt in sechs Tagen aufrecht erhalten werden könne, oder nicht? Da hörten wir als Antwort: Gott sei allmächtig, und darum habe er dieses 'Werk vollbracht. Diese Antwort enthielt nur in. anderer Form unsere Frage. Wirfragtcn: Kann die Welt in 6 Tagen geschaffen wor­den sein?" Und wir vernahmen:Sie ist

in 6 Tagen geschaffen worden!" Es & J aber wohl auch vor, daß ein Lehrer erklär'' J das WortTag" sei nicht wörtlich, aufz..., fassen, unterTag" sei ein Zeitraum v v - tausend Jahren zu verstehen, heißt es d^ ^ im 90. Psalm, tausend Jahre seien in Gotte,

Auge wie ein einziger Tag. Auch dieser. Er­klärungsversuch ist eine unfruchtbare Exegese^

Das Wort des psalmisten lautet:Dejm tausend Zahre sind in Deinen Augen wie der gestrige Tag, wenn er entschwunden und. wis ei^e Wache in der Nacht." Der mathematische Grundsatz:Wenn 2 Größen einer dritten gleich sind, dann sind sie unter einander gleich," läßt sich auf das Psalmenwort nicht, atmenden; denn dann nrüßte die eine .. Gleichung lauten

Tag -s- Wache der Nacht und diese Gleichung ist unhaltbar. Drr psalmist wollte nur die Flüchtigkeit alles Seins scharf skizzieren und betont, tausend Jahve 4 sind für Gott nur ein einziger Tag oder noch weniger, nur eine Wache der Nacht.

Ausweichend und darum unbefriedigend bleibt auch der versuch, in den 6 Schöpfung? tagen eine poetische Darstellung vom Er­wachen eines jeden einzelnen Tages zu geben.- Zuerst erscheint das Licht ft. Tag), d. i. die. Morgendämmerung; dann heben '.ich Lsimmsk, und Erde ab (2. Tag); dann -fällt der Nebel, und Bäume und Sträucher (3. Tag) werden sichtbar; dann steigt die Sonne (H. Tag) die' bsimmelswand empor; dann wird es lebendig in den Wassern und S'Lräuchern, es erwachen die Fische und Vögel (3. Tag); dann erheben sich die größeren Geschöpfe, und erst zuletzt steht der Mensch auf (6. Tag). So schön sich auch die sechs Schöpfungstage auf das Er­wachen eines jeden Morgen als sechs auf' einander folgende Momente übertragen lassen, die Frage, die der Schüler stellte, ist damll nicht beantwortet. Und eine Antwort muß er erhalten, die ihm weder vor der Wissen­schaft noch vor der Religion die Achtung raubt, eine Antwort, die ihm zeigt, daß Re- -i ligion und Wissenschaft freundlich benachbarte und nicht feindüch sich bekämpfende Mächte sind.

Noch lauter wird der Ruf nach einer' befriedigenden Lösung, wenn der Schüler an . . ^