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Dp. Max Freudpnihal : Religion, nicht Politik

Zeit der schwersten Sorgen und Nöte im Vater­land innerhalb der jüdischen Gemeinde^ eme solche Aktion nach politischem Zuschnitt in Szene zu setzen, -ist eine Frage, die sich unwillkür­lich aufdrängt und wohl in allen Lagern die gleiche Antwort finden wird. Solche Erschei­nungen erhärten erst recht die Wahrheit des Wortes, das unsere liberale Devise bilden muß: Religion, nicht Politik! Und es gilt natürlich nicht bloß nach außen hin; auch in unserer Stellungnahme zu den Fragen,, die heute das innere jüdische Leben in Deutsch­land ganz besonders bewegen, hat es seine gewichtige Bedeutung.

Der politische und der religiöse .Liberalismus decken sich in diesen Fragen und auch sonsten durchaus nicht immer, schon da­rum nicht, weil der politische Liberalismus häufig genug grundsätzlich religiös indifferent oder gar religionsfeindlich ist, jedenfalls die Ausschaltung der Religion aus dem öffent­lichen Leben und ihre engste Beschränkung auf Gemeinde und Rirche erstrebt, während der religiöse Liberalismus einzig und allein darauf ausgeht, die Religion zu erhalten, durch zeitgemäße Mittel zu vertiefen, ihr gerade dadurch möglichst weite Schichten des Volkes zu gewinnen, sie so wirksam als es nur immer angeht auszugestalten. Erst recht decken sich die Methoden der Arbeit nicht. Mo­ses Mendelssohn hat schon in seinem 'Jeru­salem treffend den Gegensatz zwischen ihnen dargestellt und betont,daß es kein Mittel gibt, die Gesinnungen und vermittels der­selben die Sitten der Menschen zu verbessern als die Ueberzeugung."

Am schärfsten aber muß der reli­giöse Liberalismus seine Position» in den­jenigen Fragen wahren, die auf Grenz­gebieten liegen und sowohl auf das Gebiet der Religion wie der Politik hinübergreifen. Die wichtigsten Fragen, die zur Zeit in der deutschen Iudenschaft zur Erörterung stehen und die hauptsächlichsten Gegensätze Hervor­rufen, liegen so auf der Scheide und-stellen Mischungen dar, Legierungen, aus denen der religiöse Liberalismus als für sich entschei­dend grundsätzlich! natürlich nur das reli­giöse Element herausnehmen kann. Dahin gehört die bereits erwähnte Frage der jü­disch en Volksschule. Für den liberalen Politik e r bildet mit vollem Recht die inter­konfessionelle Volksschule das höchste Ideal.

Rinder aus dem ganzen Volk ohne Unter­schied des Standes, der Herkunft, des Glau­bensbekenntnisses auf derselben Schulbank, der Unterricht frei von allem konfessionellen Ge­präge, rein der Erziehung und» Wissenschaft zugetan, der Lehrer in jedem Rind gleicher­maßen nichts anderes als den ihn: um des Staates willen anvertrauten Zögling er­blickend : mit solchen Schulen muß ein Volk gesunden und den weg zur Eintracht und zum Frieden finden. Ein Idealzustand! wenn er nicht leider eben bloß ein Ideal wäre! In Deutschland ist es jedenfalls bisher nicht zur allgemeinen Verwirklichung gekommen. Was wir an Simultanschulen besitzen, hat entweder wie in Bayern sogar gesetzlich ausgespro­chenen christlichen Tharakter oder ist auch im j)rofanunterricht von christlichem Geiste durch- tränkt. wie oft selbst antisemitischer Geist bei Lehrern und Schülern sich bemerkbar macht­ist eine allzubekannte Rlage. Aber selbst wo in der Simultanschule der wahre Geist in ideal­ster Weise herrscht, ist das jüdische Rind den­noch stets im Nachteile, weil es keinen Sab­bat und keine Festtage halten kann, ohne durch Schulversäumnis Schaden zu leiden. Daß ein Rind aber diese Tage halten soll und muß> ist eine Grundforderung auch des religiösen Liberalismus, und es muß sie in voller Ge­wissensruhe begehen können, wenn sie ihm wirkliche weihetage mit tiefen und nachhal­tigen Wirkungen werden sollen. Und von wel­cher Wirkung würde es sein, wenn ein Rind in einer jüdischen Schule gerade von einem> liberalen Lehrer seines Glaubens Unter­richt erhielte, wenn es von früh auf in wür­diger und moderner weife in den Geist und in die Formen des Judentums, in den Lehr- Lnhalt und in den Gottesdienst nach unse­rer Auffassung eingeführt würde und aus diesem Geiste rächt bloß, die zwei Religions­stunden in der Woche, sondern der ganze Unterricht an jedem Tage und in jeder Stunde herauswüchse, so wie in der christlichen Schule ünd vielfach auch in der Simultan­schule «der christliche Geist - dem gesamten Unterricht das Gepräge und damit eine für alle 'Zeiten unauslöschliche Bekenntnistiefe gibt. Nur auf diesem Wege eröffnet sich die Möglichkeit, daß der religiöse Liberalismus auf seinem eigenen Boden erwächst und reift und nicht auf den Ruinen der Orthodoxie. Die Schulfrage ist ein typisches Beispiel dafür-