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schlecht in demselben herangewachsen ist, zu beschränkt > in seinen Räumen und war den Unbemittelten durch die beträchtliche Stellcnmiethe schwer zugänglich. An den hohen Feiertagen sind nicht nurdic inneren Räume, sondern auch die Corridors so überfüllt, Laß Besu­cher zurückgewiesen werden muffen, und besonders ein Mangel an Frauenftellen fühlbar wird. Es ist ein ziemlich bekanntes Factum, daß junge Leute, die am Versöhnungstage keinen Platz im Tempel finden konnten, obgleich sie ihn bezahlen wollten, spazieren gingen, weil sie die Synagoge nicht besu­chen mochten, in welcher sie keine Erbauung fanden.

Es wurde daher im November v. I. beschloffen, einen neuen geräumigen Tempel zu bauen, welcher nicht nur mehr Besucher als der bisherige aufnehme, sondern ihnen auch die Stellen um einen geringen Preis darbietcn könne. Nur den Lichtscheuen und ! Indifferenten könnte dieser Beschluß unwillkommen sein; alle wahren Freunde des Guten begrüßten ihn mit reger Thcilnahme, und schon in wenigen Wo- chen war die dazu erforderliche Summe von hun­derttausend Mark Banco in Aktien vollständig ge- z zeichnet, von vielen Theilnehmern gewiß mit der !! Absicht, daß ihr Antheil dem Tempel verbleiben |j möge. Das Gotteshaus wird nur seine Räume än- j| dern, aber nicht seinen Geist; Wahrheit, Gerechtig- ! keit und Friede werden auch künftig die Säulen sein, j auf welchen er ruhen wird. j

Während dieser Vorgänge suchte unser neuer ! Prediger nach einer andern Seite hin, aber ganz ! im Geiste des Tempelinftituts, rhätig zu sein. Herr i vr. Frankfurter hielt vom 19. November bis | zum 10. Februar öffentliche Vorlesungen über die j israelitische Religion im Lichte unserer Zeit. Der !? Besuch war gratis, und der große Logensaal wurde j dazu mit der humansten Bereitwilligkeit eingcräumt. Von der zahlreichen Zuhörerschaft es waren sel­ten unter 300, bisweilen über 400 Personen gegen­wärtig gehörte ungefähr der dritte Thcil zum Tcm- pelverein, das zweite Drittel bestand aus Anhän- hangern der Synagoge, die Ucbrigen gehörten zur Kirche. In der ersten und letzten Kategorie befan­den sich viele Damen, deren ausdauernde Theilnahme, ungeachtet der rauhen Jahreszeit, bei einem so ernst­haften, von der bloßen Unterhaltung abliegendcn Ge­genstände, auf eine sehr erfreuliche Weise für einen offenen Sinn für das Höhere zeugte. Es konnte nicht fehlen, daß sich unter einem so zahlreichen Au­

ditorium auch Unberufene befanden, die böswillig auf Mehrdeutiges lauerten, und dieses sofort nach ihrem Sinne verarbeiteten. Indessen that dieses der Theil­nahme der Gutgesinnten keinen Abbruch, und das Interesse hielt bis zum Schluffe an. Es befanden sich unter den Zuhörern christliche Gelehrte, die auch nicht eine Vorlesung versäumten. Da der Gegen­stand in zehn Vorträgen umspannt werden sollte, so konnten nur die Hauprmomente besprochen werden, und diese mitunter für Planche auf eine nicht zu­längliche Weise. Der Redner, die Schwierigkeit des Unternehmens wohl kennend, gab sich sichtliche Mühe, klar und faßlich vorzutragcn, was ihm in den letzten fünf Vortragen weit besser gelang als in den ersten, wo er mehr den Gegenstand als das Publikum vor. Augen hatte. Er suchte die Verständlichkeit noch be­sonders dadurch zu fördern, daß er am Schluffe ei­nes jeden Votrages den Inhalt desselben recapitulirte, und im Beginn des folgenden jedesmal eine summa­rische Uebersicht der bereits vorgetragenen Haupt­sätze auf eine geschickte Weise gab. Die Vorträge gewannen nicht wenig an ansprechender Lebendigkeit dadurch, daß sie nicht abgelesen wurden; der Red­ner zeigte dabei, daß er nicht weniger Talent zu doc- trinellen, als zu homiletischen Vorträgen besitze.

In einer Zeit geistiger Bewegung, wo religiöse Materien nicht nur der Gegenstand gelehrter Debat­ten sind, sondern auch von Laien vielfach besprochen werden, weil man sich unter den Zerwürfnissen der Zeit orientiren und fcftstellen^ weil man die alte Zeit mit der neuen und die Zeit überhaupt mit der Ewigkeit in Einklang bringen möchte, wobei aber was zu beachten ist die Laien unter den Israeliten nur selten wissenschaftlich-theologische Schriften lesen: in einer solchen Zeit war cs ganz angemessen, daß ein Berufener den Boden unbefan­gen und deutlich kennen zu lehren suchte, auf wel­chem man sich bewegt, und den Weg zeigte, wo man sich mit innerer und äußerer Beruhigung auf' demselben bewegen könne. Gestehen wir es ein, daß unter uns sich Jeder urtheilsfähig glaubt, aber nur sehr Wenige mit Sachkenntniß und Einsicht urthei- len. Ist auch der zur Sprache gebrachte Gegenstand so zarter Natur, daß er leicht Mißverständnissen und Mißdeutungen ausgesetzt ist, so muß man doch zugeben, daß dicß nur von einem unredlichen Sinne zu erwarten steht, und dieser darf nicht gefcheuet werden, wo es gilt, ein Allgemein-Gutes zu fördern.