Es war daher ein verdienstliches Unternehmen, daß der vr. Frankfurter (wie der treffliche vr. Wolf in Copenhagen, der vor einigen Jahren in seinem Kreise Aehnliches versuchte) den Herangewachsenen in seiner Gemeinde, welche meistens keinen eigentli­chen Religionsunterricht genossen und bisher nur re­ligiöse Anregung und Erhebung auf homiletischem Wege erhalten hatten, Gelegenheit gab, nunmehr von wissenschaftlichem Standpunkte aus das Wesen und die Aufgabe der israel. Religion im Zusammenhänge zu überschauen. Indem er dabei ganz auf jüdischem Bo­den stehen blieb, und sich von leichtsinniger Neolo- gie, wie von formenstarrer Paläologie, gleich,wcit entfernt zu halten suchte, schiffte er zwischen der Charybdis und der Scylla wie ein geschickter Pilot hindurch, und es muß ihm das Zeugniß ge­geben werden, daß er dabei eben so viele religiöse Warme und Selbstständigkeit, als wahrhaft männ­liche Freimüthigkeit beurkundet hat. Referent will versuchen, eine Skiagraphie dieser Vorträge mitzu- theilen; er wird dieselbe so treu zu geben suchen, als sein Gedächtniß sie bis zum Schluffe aufbewahrt har, und sich aller Bemerkungen darüber enthalten. Durch diese Relation glaubt er dem größer» Publi­kum einen willkommenen Dienst zu leisten. Der Jdeengang und Geist der Vorträge wird aus der­selben wohl zu erkennen sein. Es können hier frei­lich nur skelettirte Blumenblätter geboten werden, ohne Fleisch und Farbe; aber es sind dennoch Blu­menblätter vom Baume des Lebens, denn das ist ja die Religion.

1) Obgleich in den cröffneten Vorlesungen über Reli­gion auch als eine Angelegenheit des Menschen gesprochen werden soll, so darf doch kein anderer Standpunkt erwartet werden, als der des jüdischen Theologen. Unterschied zwischen der Predigt und der Vorlesung: Jene will erbauen, diese belehren; jene sucht durch das Gemüth zu dem Ver­stände zu gelangen, diese durch den Verstand zum Gemüth.

Der Glaube an ein Göttliches, welches im Irdischen waltet, ist der menschlicken Natur eingeboren. Die innige Verbindung des Menschlichen und Göttlichen ist Religion. Nur aus dem Gesichtspunkte der Religion lösen sich alle Wirren des Lebens. Der Unreligiöse findet überall Wider­spruch, Barbarei, Trostlosigkeit, der Religiöse Erhebung und Dersöbnung; in jenem ist Zwiespalt, in diesem innerer Friede, der auch ein äußerer und allgemeiner werden soll.

Divergirende Ansichten über die jüdische Religion, inner­halb und außerhalb des Iudenthums; es begegnen sich un­beweglicher Form'snglaube, revolutionäre Heterodoxie, laxer Indifferentismus und befangene Unkenntniß auf eine leten-

j verwirrende Weise. Die begonnenen Vorträge sollen nach ! allen Richtungen Vorurtheile vermindern und Duldsamkeit befördern; sie sollen ein richtiges Verständniß der Sachlage herbeiführen.

2) Das religiöse Moment in der menschlichen Natur lag nur ahnend und dunkel in derselben, und mußte zu den abweichendsten Vorstellungen und selbst zu den gröbsten Irr- ; thümern führen. Anstatt den Menschen zur Gottheit zu er- ! heben, zog man die Gottheit nicht nur zur Menschenwekt, j sondern zur Thierheit herab. Nur indem sich Gott Einzel- ! nen besonders offenbarte und diese Offenbarung zu einer ! dauernden Verbindung gestaltete, konnte bas rechte Verhält- ! niß zwischen Gott und Menschen hergestellt werden. Diese ! besondere Offenbarung tritt in dem israelitischen Volke als

> Bund hervor, und wird durch eine Reihe von Manifesta- I tionen welterleuchtend.

j 3) Die israelitische Religion beruht auf Bekenntniß- schriften, welche in der Bibel enthalten sind, und in man- nichfachen Evolutionen durch den Zeitenlauf getragen wur­den. Bis zum Schluffe des Kanons sind drei Stadien zu un­terscheiden. 1) Der Abrahamismus erkannte den einigen Gott nicht nur als Schöpfer des Himmels und der Erde, sondern auch als den gerechten Richter der ganzen Welt, welcher von den Menschen durch Tugend und Gerechtigkeit verehrt sein will. Abraham pflegte diese Erkenntniß nicht als ein Mysterium für einzelne Eingeweibete; er erhob sie vielmehr zu einer bundesgemäßen Famitienreligion, und ver- I kündigte sie auch Andern: er lehrte im Namen Gottes. 2) Der Mosaismus gestaltete sich zu einer Volksreligion, Hier erscheint der einige Gott als das absolute Sein (miT), vor welchem alle Götter als Wahn verschwinden, der in unendlicher Vaterliebe und heiliger Gerechtigkeit allen Men­schen zugethan ist, aber in den Nachkommen Abrahams seine Wallung besonders kundgeben will; daher verkündigt ihn der Dekaloz als den Erlöser Israels und als den Einigen im Himmel und auf Erden, der bildlos zu verehren ist. Die mosaischen Institutionen sind jedoch nicht bloß religiöse, son­dern auch politische, die sich oft gegenseitig durchdringen und tragen. Gott sollte in jeder Beziehung als der höchste Ge- j setzgeber betrachtet werden. 3) Der Prophetismus

> erhob die Religionsanschauungen immer mehr aus den for- I mellen Beziehungen in das höhere Geistesleben; er erweiterte ! seine An- und Aussichten von der Religion des Volkes zur

Religion der Menschheit. Der gottbegeisterte Seher ist ein Prophet der Völker. In Israel centralisirt sich die Idee des Gottesreiches; es soll diese durch alle Zeiten pflegen und als heiliges Erbgut bewahren, bis die ganze Erde mit wahrer Gotteserkenntniß erfüllt und der Eine als der Einige überall anerkannt und verehrt sein wird. Vergleichung dieser drei Stadien mit der Kindheit, dem Jünglings- und dem Mannesalter, so daß die spätere Zeit dem erfahrungs­reichen Alter gleichen würde, welches sammelt, überschauet, sichtet, und den Nachkommen gern ein Bleibendes hinter­lassen mag.

4) Auf dem historischen Boden der israelitischen Reli-

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