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die Tuberkulose keine Rassenversehiedenheiten zeigt. In gewissen Grenzen, die von sozialen und ökonomischen Bedingungen abhängen, wird die weiße, schwarze, gelbe und rote Menschenrasse von dieser Krankheit in gleicher Weise ergriffen und die beobachteten Schwankungen in Häufigkeit, Typus und Verlauf der Krankheit bei verschiedenen Menschengruppen sind ebensogut - durch die gewöhnlichen Ursachen, ohne Rücksicht auf die Rassen-Eigenschaften, zu erklären. Ebenso große Unterschiede wie zwischen Weißen und Schwarzen beobachtet man auch unter ver­schiedenen Gruppen der weißen Rasse. Wenn wir finden, daß die Tuberkulose-Sterblichkeit der Neger und Indianer in Amerika außer­ordentlich groß ist, so können wir doch nicht sagen, daß dies von den anatomischen und physiologischen Unterschieden zwischen ihnen und den Weißen herrührt. Denn es gibt viele soziale Gruppen von Weißen, die eine ebenso hohe, sogar eine höhere Xrankheits- und Sterblichkeitsziffer haben, wie man aus den demographischen Statistiken aller der Länder sehen kann, wo die Todesursachen der Ge­storbenen nach der Beschäftigung der Ge­storbenen ausgewiesen werden« Steinhauck Kürschner, Polsterer, Drucker und Andere' die in einer mit organischem oder an organischem Staub beladenen Atmosphäre beschäftigt sind, haben ebenfalls eine unge­heure Sterblichkeit an Tuberkulose. Anderer­seits werden der Indianer in den westlichen Ebenen der Vereinigten Staaten und in Süd­amerika, der nicht von modernen Bedingungen des zivilisierten Lebens beeinflußt ist, welche in diesem Falle oft im Mißbrauch alkoholischer Getränke bestehen, und ebenso der Neger in seiner afrikanischen Heimat oder sogar in der Sklaverei nur selten von Tuberkulose ergriffen. Das gleiche gilt von den einge­borenen Stämmen in Australien, unter denen die Tuberkulose sehr selten, nach Einigen ganz unbekannt war vor der Ankunft des weißen Mannes, der gleichzeitig mit der Ein­führung einer zivilisierten Lebensform auch den Tuberkelbazillus einschleppte, der diese

armen Völker hinrafft. Vor einem Jahr­hundert noch konnte ein Arzt, der diese Stämme bereiste, mit Recht sagen, daß Tuber­kulose eine seltene Krankheit unter den Ein­geborenen Australiens, Polynesiens, den ameri­kanischen Indianern usw. sei, und zwar des­wegen, weil diese Rassen eine gewisse Im­munität gegen diese Krankheit hätten. Wir wissen, daß die Immunität des Negers gegen Gelbfieber und Malaria beim Mulatten ver­ringert ist, d. h. daß sie durch Kreuzung mit andern Rassen verschwindet. Es scheint dies bei den Juden in bezug auf die Tuberkulose nicht der Fall zu sein. In Krakau und Lem­berg, wo praktisch keine Mischehen stattfinden, haben wir die höchste Sterblichkeit, während in Berlin, wo die Juden sich sehr oft mit Ariern 46 verheiraten, die niedrigste Tuber­kulose-Sterblichkeit unter den Juden Europas gefunden wird.

Ebensowenig können wir aus allem zu­gänglichen Material finden, daß diese geringere Tuberkulose-Sterblichkeit eine Folge der Speise­gesetze ist. In Osteuropa, wo sie ganz streng befolgt werden, ist die Sterblichkeit höher als in Westeuropa, wo die Juden hierin nachlässiger sind. In New York ist die Sterblichkeit der Juden höher in den ärmeren und orthodoxeren Stadtteilen als unter den reicheren aber religiös laxeren Juden der oberen Stadtteile.

Die Tuberkulose hängt unter den Juden genau wie bei andersgläubigen Völkern, in erster Linie von sozialen und ökonomischen Bedingungen ab. Sie ist verhältnismäßig selten unter den Juden in Berlin, während sie unter ihren ärmeren Glaubensgenossen in Lemberg, Krakau und wahrscheinlich auch in Rußland recht häufig ist. Sie ist indessen bei den Juden seltener Todesursache als unter der nichtjüdischen Bevölkerung ihrer Um­gebung, und zwar aus mehreren Gründen. Es ist wohlbekannt, daß chronische Alkoholisten sehr empfänglich für diese Krankheit sind, und daß, wenn sie einmal ergriffen sind, die Prognose ungünstiger ist, als bei dem mäßigen Trinker oder dem ganz Enthaltsamen. Die wichtigste Ursache aber für die Seltenheit der