231
Dagegen kommt auf der andern Seite in Erwägung, daß die Disposition des §. 23 indem sie die Juden als solche verdächtigt, ohne dem Richter die Beurtheilung der Glaubwürdigkeit Ln jedem einjelnen Falle zu überlassen, dieselben in ihren Beziehungen zu ihren christlichen Mitbürgern lästig werden, und auf ihren sittlichen Zustande nachtheilig einwirken muß. Daher wird aus allen diesen Gründen es nicht nur für zweckmäßig, sondern auch für notwendig erachtet, daß die Lu Rede stehende Bestimmung des H. 23 aufgehoben werde.
3) Durch verschiedene Verfügungen der königl. Ministerien des Innern und "der geistlichen Angelegenheiten sind die Judengemeiuden für bloße Privatgesellschaften erklärt, welche der Beaufsichtigung und Ilebcrwachung der Behörde nur in so weit unterliegen, als dazu besondere polizeiliche Rücksichten Veranlassung geben. In Folge dessen hängt es von jedem einzelnen Juden ab, ob er einer Gemeinde beitrcten will oder nicht, die Lehrer der letzteren haben nicht den Charakter öffentlicher Beamten, und alle zwischen den Juden in Beziehung auf ihre kirchliche Verbindung entstehenden Streitigkeiten dürfen, wenn sie überhaupt zu einer obrigkeitlichen Kognition sich eignen, nur durch den Richter entschieden werden. Dieses Verhältniß kann füglich nicht bestehen bleiben. Der Zweck der jüdischen Kirchenverbindung ist die Religion und deren Ausübung. Eine Verbindung zu solchem Zwecke ist aber dem Staate, nicht allein aus höheren moralischen Rücksichten, sondern auch aus polizeilichen und privatrechtlichen Gründen, eben so wenig entbehrlich als den Juden selbst, weil es ohne dieselben an allen die Religion berührenden Anstalten (Synagogen, Religionsschulen, Be- gräbnißplatzen) fehlen würde. Das Staatsgesetz fordert zu einer giltigen jüdischen Ehe das Aufgebot in der Synagoge, es verweist die Abnahme giltiger Eide in dieselbe und fordert den Religionsunterricht der jüdischen Jugend, die Beerdigung jüdischer Leichen u. dgl. Es bedarf also überall jüdischer Religionsinstitute, die ohne daß der Staat selbst deren Errichtung und Erhaltung übernimmt, nur durch eine Verbindung der Juden zu Kirchengemeinden möglich werden. Verbindungen aber, deren Existenz dem Staate nvrhwendig ist, müssen auch von ihm besonders beaufsichtigt und beschützt werden. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, muß man es angenehm und wünschens- werth finden, daß die in §. 39 des Edikts vorbehaltenen Bestimmungen wegen des kirchlichen Zustandes der Juden getroffen, und ihnen in Beziehung auf ihre kirchlichen Verbindungen Korporationsrechte beigelegt werden.
4) Der §. 9 des Edikts vom 11. März 1812 dis- ponirt endlich: „In wiefern die Juden zu anderen öffentlichen Bedienungen und Staatsämtern zugelassen werden können, behalten wir uns vor in der Folge der Zeit gesetzlich zu bestimmen." Durch den darin ausgesprochenen Vorbehalt hat der Gesetzgeber schon selbst die Möglichkeit der Anstellung von Juden in anderen öffentlichen als Lehr- Schul-'und Gemeindeämtern, von welchen in vorgehenden Paragraphen die Rede ist, anerkannt. Derselbe trug Bedenken damals, sich gesetzlich darüber auszusprechen. WaS aber im Jahr 1812 noch nicht angemessen ekschien, dürfte wol jetzt an der Zeit sein, da die christliche Bevölkerung sich daran gewöhnt hat, die Juden in verschiedenen praktischen Fächern thatig zu sehen, nachdem die Erfahrung gezeigt hat, daß dieselben in denjenigen Gemeindeämtern, zu denen sie das Vertrauen ihrer christlichen -Mitbürger berief, sich gleich den Christen tüchtig gezeigt haben. Im Interesse d'es allgemeinen Rechtszustandes erscheint es sogar als nothweudlg, daß durch ein Gesetz bestimmt werde, in wieweit die Juden zu öffentlichen und Staatsämtern zugelassen seien, da bei diesem Mangel Jnkonvemenzen und Uebelstände entstehen können , deren zu viele schon entstanden sind. Zu den letzteren ist es zunächst und vorzugsweise zu rechnen, daß Juden die in dem Freiheits- kawpfe 18 l3 /i4 gestritten und gleich ihren christlichen Mitkämpfern Ansprüche auf Versorgung im Zivilstaatsdieuste sich erworben haben, diese Ansprüche gemäß Ministerial- reskript vom 28. November 1826 (Kamptz Bd. 10 S. 941) nicht geltend machen können. Zu denselben gehörte es, daß in einzelnen Fällen Ausnahmen von der Regel gemacht werden, bei welchen alle Konsequenz vermißt wird, daß z. B. das Geschäft eines AuktionSkommissarius in Beziehung auf Juden für ein Staatsamt erklärt ist, während dieselben als Lotteriekollekteure fungiren, daß das Amt eines Feldmessers den Judpn vorenthalten wird, während es vorgekommen, daß ein Jude als Bauinspektor angesiellt worden, daß das Amt eines Dorfschulzen von ihnen nicht bekleidet werden soll, während in der Nähe der Stadt Danzig ein Jude als Gensdarm gedient hat, Juden mit Ehren im stehenden Heere dienen und Offizier- chargen bekleiden. Diese Betrachtungen führen zu dem Wunsche, daß das §. 9. des Edikts oorbehaltene Gesetz sobald als möglich ergehe. — Nach allem Vorstehenden finden sich die zum neunten Provinziallandtage versammelten Stände fast einstimmig veranlaßt, Se. Majestät den König allerunterthänigst zu bitten: Allerhöchstdieselben mögen geruhen, die in den preußischen Staaten bestehen-