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tritt jeder Einzelne um so mehr in die Aufgabe ein, selbst­ständig in fich die religiöse Frage zu lösen, sich eine feste Ueberzeugung zu erwerben, und dieser Ueberzeugung cha­rakterfest nach innen und außen zu leben. An jeden Ein­zelnen ergeht die Aufforderung, sich aus dem religiösen Schwanken herauszuarbeiten, nicht länger auf zween Hüf­ten zu hinken , aber auch die gewonnene Ansicht zu be­tätigen, und zwischen Lehre und Leben bei fich keinen Widerspruch zu dulden. Wenn einmal in einer Zeit die Gesammtheit eine bestimmte Anschauung verloren hat, wenn die Zerfahrenheit so weit gekommen, daß fich kaum eine festgestaltete Gruppirung erkennen läßt: so ist um so mehr jeder Einzelne berufen, an sich den großen Proceß der religiösen Meinungsentwickelung durchzumachen, und einen religiösen Charakter zu gewinnen. Diesen muß er aber seinem ganzen Leben aufprägen, diesen in seiner Fa­milie bewähren, diesen in der Erziehung seiner Kinder verwirklichen. Dies ist der Weg, der unter dem obwal­tenden Geiste in den vorherrschenden Verhältnissen zum Heile der Einzelnen und des Ganzen führt. Diesen las­set uns beschreiten! Er verlegt zwar die Arbeit und den Kampf der Gesammtheit in den Geist jedes Einzelnen aber wer sieht nicht, daß dies gerade der Zweck und die Eigentümlichkeit der Religion ist, die eben so sehr an und in jedem Individuum ist, wie an und in der Ge­sammtheit. Vor Allem wird hierdurch der religiöse Ernst wieder zurückkehren, welcher aus unsrer Zeit so sehr ge­wichen.

Vom Institute zur Förderung der israelitischen

Meratur.

Die Schriften, welche wir in diesem, dem dritten Jahre den Abonnenten übergeben werden, sind:

1) R. Sabbathai Basststa und sein Proceß, von Dr. Ludwig Oelsner, Lehrer an der israelitischen Gemeindeschule zu Gleiwitz.

2) Sammlung jüdischer Chroniken und Reisebeschrei­bungen in deutscher Uebersetzung und mit ausführ­lichen Erläuterungen. I. Theil: Emek habaclia, über­setzt und mit vielen Roten und hebräischen Beilagen versehen von Dr. M. Wiener, Oberlehrer zu Han­nover.

8) Saron von Dr. Ludwig Philippson, Ilf. Band.

4) Die Reise nach Palästina, ausführlich beschrieben von Dr. Ludwig August Frankl in Wien.

5) Dr. I. M. Jost, Geschichte des Judenthums und seiner Secten, II. Theil.

Nummer 1 3 bilden die erste Sendung, Nummer 4 und 5 die zweite Sendung. Der III. Band des Sa- rons enthält aus der ersten Auflage dieses Werkes nur Esterka, den Kampf und die historisch-poetischen Sce- nen; alles Uebrige in diesem Bande ist diesem Werke neu, insbesondere derJojachin" so eben erst vollendet. Die Dletfe nach Palästina von Dr. Frankl ist sehr um­fänglich und enthält der interessanten Schilderungen und Erlebnisse viele, über welche die bekannte Feder des Ver­fassers die Schönheit der Form und den Glanz der Dar­stellung zu breiten verstand.

Zeitungsnachrichten.

Deutschland.

Gießen, im December. (Privatmilth.) Nachdem in No. 25. d. Bl. aus Butzbachunsren Rabbinen" schlechtweg der Borwurf gemacht worden ist, daß sie sich wenig um Synagoge und Schule kümmerten ukid jede Gemeinde sich selbst überließen, hieß es neuerdings in No. 47. am Schluffe eines mit T. Unterzeichneten Artikels aus Kurhessen, dessen Berichtigung von dort­her mir eben zu Gesicht kömmt, wörtlich wie folgt: Im Großherzogthum Hessen, im Rabbinatsbezirk Oberhessen auf dem Lande sind die Gottesdienste in jeder Hinsicht noch so unregelmäßig traurig, wie bei uns, und geschieht dort auch zur Verbesserung der­selben gar nichts." Sehen wir von dem unschönen, um nicht zu sagen undeutschen Style dieser Phrase ab, der in der That nicht von sonderlicher Bildungs­stufe des Herrn T. zeugt, und bleiben auch unsrer­seits berichtigend bei der Sache stehen. *

Wiewohl nicht zu Denen gehörend, die da mei­nen, die Ausgabe des Rabbinen der Neuzeit bestehe vornehmlich in fieberhafter Thäti'gkeit fortwährenden Besserns und Umgestaltensder Gottesdienste" in Stadt und Land, so glaube ich doch mit Fug und Recht behaupten zu dürfen, daß der Großher­zogliche Rabbinatsbezirk Oberhessen, dem ich die Ehre habe vorzustehen, was Syn­agoge und Schule betrifft, im Ganzen voll­kommen den Vergleich aushält mit allen an­deren Rabbinatsbezirken des Großherzog­thums, insbesondere mit allen auswärtigen

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