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nichfaltigkeit der geschaffenen Wesen tonnen wir doch nie über den eigentlichen Zweck und über das Ziel der ganzen Schöpfung in Zweifel sein, d. h. über dasjenige Wesen, welches wir als Zweck und Ziel anzusehen haben. Tie Erde ist in der Mitte der himmlischen Kreise, da die Sphären sie von allen Seiten umgeben, folglich ist Endziel und Zweck des Wcltganzen unsere Erde; schauen wir hernach auf die Theile der Erde, so sehen wir das Wasser und Erdelement als stumm, und folglich gewiß bedeutungslos; und von een belebten Wesen kann die Thierwelt als ohne Sprache gewiß nicht Ziel der Schöpfung sein, so daß in der Thal nur der Mensch übrig bleibt, der, so viel uns klar wird, Ziel und Zweck sein kann. Wir suchten hierauf in der Schrift die Bestätigung, und fanden sic auch in rer Stelle (Jes. "15, 12):Ich habe die Erde gemacht und die Menschen auf ihr geschaffen."*) In gleichem Sinne beginnt die Schöpfungs­geschichte mit der Erzählung von der Schöpfung der übrigen Wesen, und erst als diese beendigt waren, sagt Gott:Wir wollen den Menschen nach unserem Bilde machen, wie wenn Einer einen.Palast aufbauet, ihn ausschmückt und putzt, und erst zuletzt den Besitzer einführt."

Bon diesem Borurtheile ist dagegen Maimonides völlig frei. -Wir wollen hier nur hervorheben, was er im Mor. Reb. III, 12 bei Gelegenheit sagt, als er über die Nebel handelt, die den Menschen treffen.Wenn der Mensch das Universum be­trachtet und versteht, so weiß er, welchen kleinen Platz er darin einnimmt."Alle Individuen der menschlichen Gattung, die existiren, und noch mehr die der anderen Arten von Thieren, sind ohne wesentlichen Werth im Vergleich zu dem unveränderlichen Ganzen des Universums, wie dies auch klar ausgesprochen ist Ps. 144, 4. Hiob 25, 0. 4, 19. Jes. 40, 15 u. a. St.

Der Mensch soll sich vielmehr nicht täuschen, und nicht glauben, daß das Universum nur um des Menschen willen da sei; nach uns, im Gegentheile, besteht das Universum aus rem Willen seines Schöpfers heraus, und das Menschengeschlecht hat wenig Bedeutung iin Verhältnisse zu der höheren Welt, ich meine zu den Sphären und Gestirnen. Der Mensch ist nur das edelste Geschöpf unter den Wesen unserer niederen Welt; ich will sagen, daß er edeler ist als Alles, was aus Len Elementen zusammen­gesetzt ist. Hiernach ist sein Dasein ein großes Gut für ihn, und eine Wvhlthat von Seiten Gottes wegen der Fähigkeiten und der Vorzüge, die er ihtn verliehen hat."

Aus dem Grunde, den MaimonideS gelegt, bauten die späteren jüdischen Denker weiter, und cs war ihnen stets ein reicher Stofs, über den Zweck und die Zweckmäßigkeit der Schöpfung, wie über die Willensfreiheit des Menschen und das daraus fließende Vorhandensein des Zweckes im menschlichen Handeln zu sprechen. (Fortsetzung folgt.)

*) Daß diese Stelle durchaus nicht erweist, was Saadja darin findet, brauchen wir kaum zu beinerken, noch dazu, wenn man dieselbe i ganz und im Zusammenhänge liest. 1

Literarischer Wochenbericht.

Bom Rheine, 27. Juni. Je länger Spinoza verkannt und gering geschätzt wurde, um so größeren Ansehens und Stu­diums hat er sich in den letzten Jahrzehnten erfreut. Wir möchten fast meinen, er wäre Etwas tendenziös überschätzt wor­den. Nicht als ob wir seiner eminenten Begabung oder seiner außerordentlichen Bedeutung in der Geschichte der Philosophie daö Mindeste absprechen wollten; allein von der absoluten, bleiben­den Geltung seines Systemes hat man doch wohl von manchen Seiten eine übertriebene Vorstellung verbreitet. Von den ver­schiedensten Standpnncten sind Uebersichten über das System Spinoza's gegeben worden: von Kirchinann, K. Fischer, Erd­mann, Brasch, von denen Fischers vielleicht die unbefangenste und klarste, ist. Jneeß, so schätzenswerth diese Uebersichten auch sind, so leiden sie doch alle an zwei nochwendigen Gebrechen: einmal können sie viele wichtige Puncre nur in aller Kürze be­rühren; andererseits muß die eigene allgemeine Anschauung des Darstellers einen starken Einfluß ans die Anordnung und Auf­fassungsweise des ganzen SystemeS ansüben. Hier müssen tüch­tige Cpccialunterfuchungen nachhelfen, welche jeden einzelnen wichtigen Punct genau erörtern und in's Licht stellen, welche daun ferner in ihrer mehr technischen Vertiefung dem Einflüsse der An­schauungsweise deS Forschers und Benrtheilerö einen geringeren Spielraum lassen. Recht verdienstlich ist deshalb:Der Zweck­begriff des Spinoza; eine philosophische Abhandlung, versaßt von Di-. Paul Wetzet, erstem ordentlichem Eatecheten zu St. Petri in Leipzig; Leipzig, Alfr. Lorentz, 1S7 3." Der Verfasser Hai aus dem Systeme deS Philosophen nur einen einzelnen begränzten Gegenstand herausgegrisseu, aber einen Gegenstand von weittra­gendster Bedeutung. Indem Spinoza, seiner mathematischen Methode strikte folgend, den Zweckbegriss, der allerdings in der Mathematik nirgends vorkommt, völlig ausschloß und deshalb lediglich mit dem ^ausaliiätsbegriss operirte, wurde dadurch die ganze Entwickelung und Gestaltung seiner Lehre bedingt. Man sieht also, der Gegenstand ist bedeutend genug. Herr Di-. Wetzet setzt nun zuerst die Gründe auseinander, welche Spinoza zur Beseitigung des ihm unbequemen Zweckbegrifses anführt. Dann weist er, unserer Meinung noch im Großen und Ganzen über­zeugend, deren Unrichtigkeit nach, und sucht die Nolhwendigkeit und Unentbehrlichkeit des Zweckbegrifses im menschlichen Leben wie in der Natur darzuthuu. Endlich setzt er die ungemeine Wichtigkeit der Längnung des Zweckbegrifses durch Spinoza für dessen ganze Lehre auseinander: woraus zugleich erhellt, wie ganz anders die Aussassung des Philosophen sich ohne jene Längnung gestaltet haben würde. Dabei ist der Verfasser ein großer Ver­ehrer Spinoza S, seines reinen Charakters, seines tief religiösen Strebeus. Unangenehm ist es uns ausgefallen, daß der Ver­fasser am Eure seiner Arbeit so stark seinen eigenen christlichen, wenn auch freieren Slandpunct betont. Nicht als ob wir nicht

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