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hiermit ganz besonders dem wohlthätigen Sinne unserer bemittelten Glaubensgenossen in Polen. Bekanntlich müssen ganze Schaaren armer Kranker in. Auslände, namentlich in deutschen Bäeern, Hülse suchen , da in Rußland und Polen ungenügend sür diese Kategorie von HülfSbedürfligcn gesorgt wird. — Die Herren Advocat Kramstück, Redacteur Peltyn, Prediger l)r. Cylkow, Curator des Armenhauses Nußbaum von hier, D. H. Bock in Wloclawek, Mamrot in Kalisch sind als Mitglieder des Vereines zur Verbreitung der Bildung unter den Juden des russischen Reiches, neu ausgenommen worden. Leider sehen wir uns wiederholt zu der Bemerkung genöthigt, daß der so segensreich wirkende Verein hier noch immer nicht diejenige Theilnahme gefunden hat, die er in so hervorragendem Maße verdient. Etwas mehr Gemeinsinn! — Wie seiner Zeit der „Negierungsbote" gemeldet, sind die Herren Lesser Levi von hier l Bruder des unlängst in Berlin verstorbenen Magnus Levi) und Jakob Polakow zu Taganrog, Kaufleute 1. Gilde, in Anbetracht ihrer Verdienste um Handel und Gewerbe, vom Kaiser zu Cemmer- cienräthen ernannt worden.
Die bereits gesammelten Fonds zum Synagogenbane belaufen sich gegenwärtig auf die namhafte Summe von 50,000 Rubeln ; in zwei Jahren hofft man, den Bedarf vollständig gedeckt zu haben, und an die Ausführung des Baues gehen zu können. Die in Folge des ausgeschriebenen Concurses eingegangenen Zeichnungen und Projecte sind, sechs an der Zahl, in dem Vereine für die schönen Künste ausgestellt, und erregen auch Seitens des christlichen Publicums das lebhafteste Interesse. Sie nehmen die ganze Front in der Gallerie ein, und sind beständig Gegenstand der aufmerksamsten Betrachtung, sowohl des kunstsinnigen, wie des Laienpublicums. Der niedrigste Kostenanschlag der mit ausführlichen Beschreibungen versehenen Pläne beziffert sich auf 150,000 Rubel, der höchste auf 250,000 Rubel.
Von dem seligen Leon Löwenberg ist dem Vorstande auch eine sehr reichhaltige jüdische Bibliothek zum Geschenk gemacht worden.
Zum Schlüsse noch folgende Miltheilung des warschauer „Israelit" aus Zgiersch. Die Tochter eines warschauer Bürgers heirathete nach Zgiersch. Die junge Ehefrau trug mit Genehmigung ihres Mannes ihr eigenes Haar, was natürlich die heißblütigen Frommen des Städtchens in krankhafte Aufregung versetzte. Solche Schandthat war noch nicht geschehen in dem zgiersch'scheu Israel, und mußte schwer gezüchtigt werden. Am ersten Tage deö verflossenen Festes fand man denn auch sowohl am Laden des kühnen Besitzers der waghalsigen jungen Frau, sowie an der Synagogenthüre eine Bekanntmachung, welche der Welt kund und zu wissen that, daß jener nebst ganzer Familie, der an- und abwesenden, der gegenwärtigen und zukünftigen, nebst Hans und Hof in den Bann gcthan sei, daß Jeder mit ihm und Allem, was ihm gehört, jedwede Berührung zu meiden habe. Der schwer gekränkte Gatte eilte zum Rabbiner, der über
die unwürdige Handlungsweise der fanatischen Ehassidim (ob Ihre Frommen in Deutschland nicht mit diesen sympathisiren?) sehr aufgebracht war. Tags darauf, als der Rabbincd zur Thora aüsgerufen wurde, ließ er der betreffenden Frau einen Mischeberach machen, sprach der Gemeinte entschieden seine Mißbilligung über das Vorkommniß aus, und nölhigte den Schämest, ungeachtet des Feiertages das Epcommunicationsdecret herunter - zureißen Diese letztere Thatsache, wenn wahr, und nicht vielleicht durch polizeiliche Intervention herbeigeführt, würde einen anerkenncnswerthen Much der belheiligten Personen bekunden.
St.-Pvtersburg , Anfang Juli. lPrivatmitth.) In der Eulmrentwickelung, der Juden Rußlands giebt es drei bedeutungsvolle Phasen: von 1804— 1S35; von 1S35— 1844 und von 1S44— 1874. Durch das Gesetz vom 0. December 1801 sind den Juden die Lehranstalten des Staates zugänglich gemacht worden; durch die Verordnung vom 13. April 1835 wurde über die Frage der Qualifikation der Juden znm Staatsdienste entschieden; die Bestimmungen vom 13. November 184 ! haben daö System der specifisch jüdischen Lehranstalten geschaffen, welches zum größten Theile noch jetzt in Geltung ist. Es ist nun der Gedanke angeregt worden, daß der 9. December 1874 als der Tag feierlich begangen werde, an welchem vor 70 Jahren die Enlturentwickelnng der Juden ihren Anfang nahm. Cs sind zu diesem Behnfe vielerlei Borschläge von hervorragenden Glaubensgenossen gemacht worden, und werde ich seiner Zeit nicht verfehlen, Ihnen Näheres zu berichten, wenn die Bestimmungen desinitiv geworden sein werden.
Auch in diesen Blättern war, nach der Mittheilrmg eines russischen Blattes, vor längerer Zeit berichtet, daß eine Deputation aus Jalta hier angelangt sei, um gegen die dort stattgc- habte.Wahl eines Inden zum Trichter beim Schwurgerichte, zu protcstircn, und ihre Annullirunz herbeizuführen. Dies erwies sich hinterher als ein Manöver der gedachten russischen Zeitung, resp. ihres sauberen Correspondcnten. Die Wahrheit ist folgende: Herr Jacobson, Candidat der Rechte der St.-Pereröburger Universität, ist bereits zum vierten Male von der Gemeinde, in welcher nur ein jüdischer Wähler sich befindet, gewählt worden, und hat diese Wahl auch die Bestätigung des Senates erhalten, ohne daß es der Gemeinde eingefallen wäre, gegen die Wahl zu protestiren, oder dem Srüule, sie zu beanstanden.
Bei Berathung des neuen Militärgesetzes, das im nächsten Jahre in Kraft treten soll, hat sich leicer herausgestellt, daß für eie Juden wieder einige Beschränkungen ausrecht erhalten bleiben. Es wurde nämlich in den betreffenden Commissionen die Frage erörtert, ob die Bestimmung, nach welcher Freiwillige, die ein Gymnastum, Progymnasinm oder eine Elementarschule absol- i'ivt haben, nach einer bestimmten Zeit Officiere werden können, auch auf Israeliten Anwendung zu finden habe. Der Vorsitzende beider Commissionen und viernndzwanzig Mitglieder waren der Meinung, daß, da Juden im Kriegswesen es seither nur bis zum