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selten wiederholten. Zn Frankreich, England und Italien kann man unsre Glaubensgenossen nicht genug anfeuern, mit ihren besten Kräften so viel wie möglich in die Sphären der Oeffentlichkeit und des öffentlichen Dienstes zu treten. Sie werden damit dem Vaterlande, aber auch zugleich ihrer Glaubensgenossenschaft die besten Dienste leisten. Anders verhält es sich in Deutschland. Man mag darüber urtheilen, wie man will, die Dinge liegen aber einmal so. In Deutschland sicht man es nicht gern und findet es lästig, wenn Juden allzu sehr in die Oeffentlichkeit treten und Anerkennung und Dank sich erwerben. Was man dann dem Einzelnen zu- geftehen muß, rechnet man der jüdischen Gesammthcit gewissermaßen als Schuld an. Dies darf selbstverständlich uns niemals verhindern, dem allgemeinen Wohl all' die Dienste zu leisten, die uns möglich sind, unsre Kräfte zu widmen, soweit es uns gestattet wird. Aber es mahnt uns doch, uns möglichst zurückzuhalten, eine gewiffe Reserve zu beobachten, uns nicht vorzudrängen, sondern uns suchen zu lasten, niemals auszubleiben, wo eine Forderung an uns herantritt, aber nicht allzu eifrig die Gelegenheit zu suchen, wo wir thätig seien und uns bemerklich machen. In einer Zeit der Parteiung ist es natürlich, daß der Parteimann heftig angegriffen wird, und Parteimann ist Jeder und muß Jeder sein. Aber — und es hilft nichts, sich dieses zu verhehlen — in Deutschland wirft sich Alles b-.sonders auf den Juden, wenn er sich als Parteimann auszeichnet, und es ist charakteristisch, daß die eigene Partei cs ungern erträgt, in einem Juden ihren Führer zu haben. Steht daher Jemand in einem solchen Verhältniß, so ist die Reserve doppelt und dreifach geboten. Wir brauchen hierüber nichts mehr zu sagen. —
Vor Kurzem richtete ein jüdischer Student der Philologie an uns die Frage, ob wir glaubten, daß er in diesem Fache eine Zukunft habe, d. h. eine Anstellung an einer öffentlichen Lehranstalt erhoffen dürfe? Für den subjectven Fall ist eine bestimmte Antwort zu geben unmöglich. Denn es giebt doch immerhin viele Wege, auf denen ein begabter und pflichtgetreuer Mann jüdischer Religion sich eine Wirksamkeit erwerben kann. Aber im Allgemeinen konnten tvir keine Hoffnungen wecken. Nachdem der gegentvärtige Unterrichtsminister unumwunden erklärt hat, daß nicht blos die Elementarschule confessionell sein muffe, sondern auch die höheren Lehranstalten zur Eonfessionalitat zurückgcsührt werden sollten, ist wohl in Preußen für den jüdischen Gymnasiallehrer kaum noch ein Platz vorhanden. Man muß bedenken, daß der geschichtliche Verlauf bis jetzt in Preußen die sog. liberalere Aera nur zur Ausnahme machte. Rach dem Edict von 1812 wurde die Anstellungsfähigkeit jüdischer Lehrer nach kurzer Zeit ausdrücklich wieder ansgehoben. Das Gesetz von 1847 sprach in § 2 die Ausschließung der Juden von allen Lehrstellen mit Ausnahme einiger Universitätsfächer und der Handels- und
Kunstschulen förmlich aus, und auch nachdem die Verfassung die Gleichberechtigung aller Preußen anerkannt hatte, inter- pretirten die Ministerien dies so, daß die Specialgesetze, also das Gesetz von 1847 in Kraft bleibe. Wir haben also für eine liberalere Auslegung nach dieser Richtung hin in Preußen kaum ein Jahrzehnt, und schon ist der Wendepunkt wieder eingetreten. Nun giebt es Manche, welche glauben, daß das neu eingetretene Regime nicht von langer Dauer sein werde. Wir gehören nicht zu diesen. Was auch unsre Gegner schreien, wer die thatsächliche Lage genauer kennt, weiß, daß, abgesehen vielleicht vom juristischen Fache, nur eine sehr geringe Anzahl von Juden eine Anstellung im öffentlichen Dienste fand. Dennoch hat schon dieses geringe Verhältniß die öffentliche Meinung auf's Aeußerste erregt und es wird daher nicht aus- bleiben, daß dies, selbst wenn freisinnigere Männer wieder in die einzelnen Restorts eintreten sollten, auf lange Zeit nachwirken wird. Wir sind in unsrer Ueberzeugung Optimist; aber wir wissen, daß die Entwicklung nur sehr langsam vorwärts schreitet und daß man dahet den' Thatsachen, der Wirklichkeit stets scharf in's Auge schauen muß. Für eine Gesammtheit bringt es stets großen Nachtheil mit sich, wenn sie sich in Hoffnungen wiegt, die sich noch lange nicht erfüllen. — Wir haben in diesem Blatte dem Hofprediger Stöcker weder eine Entgegnung, noch auch nur eine Kritik angedeihen lassen. Denn daß derselbe an zwei Stellen einige aus dem Zusammenhänge geriffene Sätze von uns citirte, von denen der zweite Passus gar nicht über die Juden allein, sondern über die ganze Schwindelperiode von 1873 handelte, konnte uns nicht dazu bewegen, denn das geschieht jedesmal, wenn ein christlicher Theologe von uns Notiz nimmt. Auch nicht, daß er über das. Judenthum, das orthodoxe wie das reformistische , mit einer kindischen Nonchalance wegurtheilt, daß man nur fragen könnte, was zerbrecht Ihr Euch so viel den Kopf mit diesem Judenthume, das Ihr für so bedeutungslos ausgebt? Denn auch hierin unterscheidet sich Stöcker von seinen Standesgenoffen nicht. Es läuft immer auf jene komische Figur hinaus, welche, was sie nicht zu überwältigen vermag, mit einer Handbewegung beseitigt zu haben glaubt. Wir meinten vielmehr, daß nicht das Geistesproduct Stöcker's, sondern nur seine AgitationSweise, seine Art, in öffentlichen Versammlungen den Haß der untersten Elasten gegen die Juden anzufachen, gefährlich sei und solches Vorgehen kann durch keine Erwiderung oder Kritik bekämpft werden. Solche Agitation ist vorzugsweise von" örtlicher Bedeutung und örtlich muß ihr entgegcngetreten werden. Wer die Reden Stöcker's liest, tvird von deren Gehaltlosigkeit, von der darin herrschenden Begriffsverwirrung, von der jesuitischen Schlauheit der Phrasen neben dem Mangel an allen Beweisen überrascht. Dem tieferblickenden Leser wird nur Folgendes klar. Den protestantischen Pietisten schmerzt nichts mehr, als den Ultramontanen, worin