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eine Reihe von Dogmen setzte. Renan tritt hier auf die Seite des Judenthums, denn einerseits erklärt erGlauben müssen für widersinnig", andererseits gaben die Dogmen zu zahllosen Schismen und Secten Veranlassung, die für das, die Denkfreiheit wahrende Judenthum nicht vorhanden war. Diesen Gedanken verfolgt nun Renan so weit, daß er ihn zu Jrrthümern, namentlich zweien, verleitete. Doch zuvor noch eine weitere Bemerkung. Es wurde diese Meinung, daß die Dogmenlosigkeit des Judenthums dessen Einheitlichkeit bewirkt habe und bewirken müsse, so oft ausgesprochen, daß sie selbst zu einem gewissen Dogma geworden. Wir sind nicht ganz dieser Ansicht. Es können auch auf dem Gebiete derPraxis", d. h. des Cercmonialgesetzes Schismen und Secten entstehen, und sind entstanden. Man hat die blutigsten Religionskriege über die Frage entstehen und führen sehen, ob das Kreuz mit zwei oder drei Fingern geschlagen werden müsse? Das Schisma der Karäer ging wesentlich auf dem Boden der Praxis vor sich, da die Karäer die traditionelle Auslegung des Gesetzes nicht annahmen. Es gab auch im Judenthume Spaltungen genug, welche anderswo auch der Islam zählt über 70 Secten und ist in zwei große Theile, die Schiiten und die Suniten getrennt feindselige Secten hervorgerufen hätten Daß die Schulen Hillel's und Schammai's, daß die Trennung der sog. Ritus die doch schon bis zu dem Brauche führten, daß die spanisch-portugiesischen Juden sich mit den deutschen und polnischen nicht verheirateten, was erst in der neueren Zeit verschwand daß die zeitweisen rcligionsphitosophischen Streitigkeiten, daß die Kabbala, daß selbst der Chassidismus nicht zu eigentlichen Schismen sich ausbildeten, das ist doch nicht blos dem Mangel an Dogmen zuzuschreiben, sondern dem den Juden einwohnenden Zuge nach Einheit und Einigkeit, einem Zuge, der durch das Geschick, das sie Alle betraf, gefördert und gestärkt wurde. Unterlassen es doch die Wortführer der neueren Hvperorthodoxie nicht, die reformistischen Juden als abfällig vom Judenthume zu erklären also auf dem Felde der Praxis womit sie übrigens bei ihren eigenen Anhängern keinen Anklang finden. Dieser Lies- sittliche Charakterzug verhinderte die Lehrer und Denker, ihre Differenzen auf die Spitze zu treiben, da ihre etwaigen Ver­suche, mit denselben Spaltungen in der Masse hervorzubringen, doch nur mißglückt wären. Hierzu kam die unbedingte Auto­rität, die bis zur neuesten Zeit der Tradition gewidmet wurde, so daß auch die differenzirendsten Geister sich unter diesem schirmenden Dache zusammenfanden. Es ist daher eine un­geschichtliche Auffassung, die Einheit im Judenthume ganz allein der Dogmenlosigkeit zuzuschreiben. Seien wir froh, hier auch eine hohe sittliche Eigenschaft, eine wahrhaft humane zu erkennen, welche die Menschen einigt, wo die Spaltung, der Kampf und die Feindseligkeit so naheliegen. Allein bei genauerer Prüfung ist auch diese Dogmenlosigkeit selbst eine

Illusion. Allerdings war und ist die Einheit Gottes die Alles bedeckende Aegis im Judenthume, und der Talmud geht so weit. Jeden (theoretisch) als einen Juden anzusehen, welcher die Einheit und Unkörperlichkeit Gottes bekennt *). Aber dies hinderte doch die Annahme weiterer Dogmen nicht, wenn sie auch nicht als unbedingte und fest gegliederte Glaubenssätze, sondern in anderen Formeln auftraten. Der Talmud erklärt Denjenigen, der die Göttlichkeit der Thora leugne oder der sage, die Wiederbelebung der. Todten sei nicht von der Thora gelehrt, seines Antheils am ewigen Leben verlustig 2 ). Dies sind also doch talmudische Dogmen in nicht zweifelhafter Gestalt. Bei dem Versuche des Maimonides, die Glaubens­sätze des Judenthums aufzustellen, erscheinen denn auch diese beiden, und bei der Reduction derselben, die Albo vornahm, ist es wenigstens der ersterwähnte, der seine volle Stelle fand, wobei Albo sich ausdrücklich verwahrte, die Wiederbelebung der Todten zu leugnen, wenn er sie unter den dritten Glaubens­satz anBelohnung und Bestrafung" mit subsumirte^). Daß also das talmudische Judenthum nicht ohne Dogmen war, ist eine geschichtliche Thatsache, wenn auch die wissenschaftliche Entwicklung und das veränderte Bewußtsein des Volkes den Glaubenssatz der Wiederbelebung der Todten als von der heiligen Schrift nicht gegeben und begründet, aus dem Juden­thume ausgeschieden, und eine richtige Interpretation gelehrt hat, daß zwar in ihr das Wort Gottes enthalten, daß aber nicht der gesammte Inhalt der Schrift als inspirirt anzusehen ist. Wir haben dies angeführt, um zu zeigen/ daß Renan in seinem Streben, das Judenthum als dogmenlos zu be­zeichnen, viel zu weit geht und sich dadurch, zu Jrrthümern verleiten ließ. Zuerst behauptet er wiederholt, daß das Judenthum den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele nicht anerkannt, ja gar nicht gehabt habe, so daß er die jüdischen Märtyrerohne Hoffnung auf ein zukünftiges Leben das Martyrium bestehen" läßt (p. 250), daß er sie den Zweifel an der Gerechtigkeit Gottes nur mit einer fanatischen Er­gebung in den Willen Gottes bekämpfen sieht. Dies Alles nur, um das Judenthum als der Glaubenssätze baar und im Gegensatz zum Christenthum, dessen Bekenner sich ganz auf die Unsterblichkeit stützten, darzustellen. Er bemerkt nicht einmal, in welchen Widerspruch er sofort geräth, da er selbst dem Talmud nacherzählt, daß, als Akiba unter den furchtbarsten Martern seine Seele in dem Rufe:Gott ist einzig", aus­hauchte, eine Stimme vom Himmel ertönte:Glücklich ist Akiba, der mit dem WorteEinzig" starb!" Worin sollte denn nun das Glück des todten Akiba bestehen, wenn nicht in

1) Kiddusch. 40, 1.

2) Sanhedr. 90, 1. 82N J'KfiT A«

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DWIpöNt Dieser Spruch rührt aus der Zeit vor R. Akiba her, was im Folgenden nicht zu übersehen ist. 92, 2; 99 , r.

3) Albo, Ikk&T IV. 35.