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dies zu motiviren, muß man erweisen, daß das Beschränken eine sehr heilsame Maßregel für den Staat und die Juden selbst ist. Herr v. Z. zeigt daher zuerst, daß die Ertheilung der Gleichberechtigung in Großbri- tanien und Frankreich sehr leicht gewesen, weil es da wenige Juden gäbe. Wir wollen nicht rechten, daß er dabei die Zahlen viel zu gering greift: wie aber ist es in Holland? wie in Preußen, wo es eine Viertel Million, im norddeutschen Bunde, wo es 320,000, in Oesterreich, wo es 1,000000 Juden gibt? Da ist überall das numerische Verhältniß der Juden zu den Christen durchaus kein geringeres als in Rußland, und die Emancipation ist in Holland über 70, in Preußen und Oesterreich beinahe 20 Jahre alt, und diese Staaten gehen nicht rückwärts, sondern räumen auch die letzten Ueberreste der Beschränkung hinweg. Also auch dieser Fundamentalsatz des Herrn v. Z. ist nichtig. Freilich beruft er sich darauf, daß Napoleon 1808 beschränkende Vorschriften für die Juden im Elsaß erlassen hat; aber nur mit dem lebhaftesten Widerspruche in seinem Staatsrathe selbst, wie wir neulichst erst in d. Bl. dokumentirten; und als die zehn Jahre dieses Erlasses vorüber waren, dachte in Frankreich kein Mensch daran die Ordre zu wiederholen, da man ihre völlige Zwecklosigkeit längst erkannt hatte. Es mag sein, daß rheinische Kreistage in Preußen darum petitionirt haben — nun, auch in der Rheinpro- vinz gab es damals Mitauische Bürgermeister, und dieselben Provincial- und Kreisstände haben von 1840 bis 1848 die bürgerliche Gleichstellung der Juden ganz ausdrücklich immer wiederholt verlangt. Man sieht, Herr v. Z. hat entschiedenes Unglück mit seinen Beweisen.
Jndeß der Herr Bürgermeister gibt sich noch nicht geschlagen. Er will beweisen, daß die das Gewerbe, das Handwerk, das Besitzrecht, die Niederlasiung und die Eheschließung betreffenden Beschränkungen einen erziehenden und bildenden Einfluß auf die Juden üben. Zu diesem Zwecke geht er auf die frühere Gesetzgebung namentlich in den deutschen Ländern zurück. Abgesehen von einzelnen Unrichtigkeiten begeht er hier die Täuschung, die alten mittelalterlichen Vorschriften und die Gesetzgebung vor 1848 miteinander zu vermischen, um so die Juden unter dem Einflusie dieser Beschränkungen erziehen zu lassen. Er gibt hiermit stillschweigend zu, daß die Juden gegenwärtig wohlerzogene Leute seien. Er muß es wohl, denn wenn die Juden seit 1848 in allen europäischen Staaten außer Rußland und dem Kirchenstaate emancipirt sind, und nirgends, nirgends ein
Verlangen nach Widerruf sich verlautbar macht, sie aber früher in einer Erziehungsanstalt gewesen sein sollen, so muß mit dem Jahre 1848 ihre Erziehung vollendet gewesen fein. Wenn aber Herr v. Z. ehrlich zu Werke gehen will, fo muß er zugeben, daß schon im Anfänge dieses Jahrhunderts, in Preußen z. B. schon 1812, die drückendsten Beschränkungen aufgehoben wurden, daß in fast allen deutschen Städten schon in den Zwanzigern, dann in den Dreißigern, z. B. selbst in Sachsen immerfort Beschränkungen aufgehoben wurden, immer mildere Gesetze an die Stelle traten, bis 1848 die letzten Schranken fielen. Sollte also in jener Zeit eine Erziehung der Juden stattgefunden haben, so geschah diese dadurch, daß die Beschränkungen immer mehr wegfielen, also gerade das Entgegengesetzte, was der Bürgermeister von Mitau will, die Juden durch immer größere Beschränkungen zu erziehen. Ja, wir gehen weiter und sagen, die Erziehung oder vielmehr die wachsende Bildung der Juden auf allen Gebieten des Lebens ist weder durch die Beschränkung noch durch die Wegräumung der letzteren vor sich gegangen, sondern trotz den Beschränkungen, deren Hinwegräumung durch die gewachsene Bildung der Jude» zur unvermeidlichen Nothwendigkeit wurde. Alle jene Abzahlungen an Recht und Billigkeit, welche bis 1848 von Regierungen und Kammern geschahen, waren keine Ausflüffe einer politischen Pädagogik, sondern — weil man nicht anders konnte als sie, selbst wider Willen, zugestehen, weil der Geist des Rechts zu stark, weil die Ueberzeugung, daß den Juden Unrecht und der Gesellschaft Schaden geschähe, zu zwingend geworden. Man hat zwar hie und da die Sparsamkeit, mit der man den Juden Rechtszugeständnisse machte, öfter mit pädagogischen Motiven zu beschönigen gesucht, aber zu schnell mußte diese Sparsamkeit aufhören, als daß jenes Motiv für stichhaltig gelten könnte. Man kann wohl sagen, daß man durch Beschränkungen die Menschen in ihrer Entwicklung und Bildung zurückhalten wolle, aber sie durch solche erziehen, ihnen „schädliche Elemente" nehmen zu wollen, ist entweder Heuchelei oder Unverstand. Wem ich die Hände binde, dem lehre ich den Gebrauch derselben nicht, sondern das Gegentheil. Soll Jemand vorwärts wandeln, so darf ich seine Füße nicht mit Ketten feffeln, oder ihn an einen Pfahl schließen. Der Bürgermeister von Mitau hat das Gegentheil von dem bewiesen, was er beweisen wollte. Daß die Juden im letzten Jahrhundert so außerordentlich vorwärts schritten, daran sind der in ihnen erwachte Bildnngsdrang, die in
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