Die Propheten nach ihrer politischen Wirksamkeit.

(Schluß.)

Wie in dieser einzelnen Frage, so ist ihnen über­haupt nicht die physische Macht des Staates und der daran hängende äußere Wohlstand der maßgebende oder gar höchste Gesichtspunkt, sondern über diesen steht der Gotteszweck, daß das geistige Leben gedeihe, Erkennt- niß und Furcht Gottes, Rechtschaffenheil und Friede un­ter den Menschen sich mehre und das Reich Gottes wachse. Die Macht des Staates ist auch den Prophe­ten ein Gut. Nie wollten sie, daß man schmachvoll dem Andrang des Feindes weiche; so tief als die besten Pa­trioten empfanden auch sie jede Beleidigung von Frem­den ihrem Volk oder seinen Gliedern angethan, und fanden es unbedenklich, sie durch Krieg zu rächen; auch sie verehrten in David, der in Abwehr ungerechter An­griffe alle die umliegenden Quäler und Feinde seines Volks niedergesiegt und unschädlich gemacht hatte, das Muster eines Regenten, und erstrebten es als ein Ziel, daß Israel stark, wie der Löwe unter den Thieren, un­ter den Völkern dastehe lMich. 5, 7); auch sie wußten Heldenmuth, welcher ungerechten Angriff bis zu den Thoren des Feindes zurücktreibt, als eine herrliche Tu­gend zu schätzen (Jes. 28, 6; Mich. 5, 4 ff.), und er­kannten es als eine besondere Gottesstrafe, wenn ein Volk seinen Feinden zur Beute wird und Fremde seine Kraft verzehren. Und doch, als die Könige Juda's und Israelis im Wetteifer mit den großen Mächten ihrer Zeit, den Aegyptern und Affyrern, die physische Wehr­kraft ihres Landes in übermäßiger Weise zu steigern suchten, da sprach Niemand lauter als eben diese Pro­pheten dagegen; nicht etwa, weil dadurch zu drückende Lasten dem Volk auferlegt wurden, obwohl auch dage­gen sie keineswegs gleichgültig waren, sondern weil eine falsche Richtung des Geistes sich daran heftet, die einem Gottesvolk und seinem Fürsten nicht anstehen.Israel hat seinen Schöpfer vergessen und Paläste gebaut, Juda der befestigten Städte viel gemackt, darum sende ich Feuer in seine Städte, daß es.verzehre seine Pracht­bauten," ruft Gott bei Hosea (8, 14);Gott hat sein Volk verstoßen müssen, weil sein Land sich gefüllt hat mit Silber und Gold und mit Schätzen ohne Ende, weil sein Land sich gefüllt hat mit i Kriegs-) Rossen und seiner (Kriegs-) Wagen kein Ende" klagt Jesaja (2, 6 ff.; s. weiter Hos. 10, 23 ff.; Mich. 5, 9 ff.; Zach. 9, 10; io, 5). Wo eines Volkes Macht so gesteigert

wird, daß es jeder möglichen Gefahr gewachsen zu sein glaubt, da nimmt die Furcht vor Gott, das Vertrauen auf Gott, das Rechtsgefühl ab; wo so viele physische Kräfte in der Hand eines Herrschers vereinigt sind, da 'ragt er nicht mehr, was er darf, sondern was er kann; die Selbstherrlichkeit, der Stolz der eigenen Machtvoll­kommenheit, Druck nach innen und Eroberungslust nach außen heften sich fast immer daran;seine Kraft wird ihm zu seinem Gott" (Hab. 1, 11), und seinen Unter- thanen stellt er ein goldenes Bild als Abgott hin, daß sie es anbeten und davor niederfallen (Dan. 3). Und wieder wo der äußere Wohlstand, Handelsgewinn und Erwerbung von Reichthümern so zärtlich gehegt wird, da breitet sich fast mit Nothwendigkeit jener Geist aus, den Hosea kurz zeichnet, wenn er sein Volk ausrufen läßt:ich bin doch reich geworden, habe mir Vermögen erworben; alle meine Reichthümer werden mir keine Schuld zuziehen, die zu büßen wäre" (Hos. 12, 9), zu­gleich der Geist der Ueppigkeit und Genußsucht, der den Sinn für das Ewige ab stumpft und gegen die höchsten Güter gleichgültig macht. Jedes Volk hat solche Zei­ten, wo es verführt durch zeitweiliges Glück die Götzen der Macht und der materiellen Wohlfahrt anbetet, den Sinn für Recht und Wahrheit und Gottesfurcht ver­liert; aber wo es soweit mit einem Volke gekommen ist, da kann der Prophet nur das göttliche Verwerfungs- urtheil ausrufen: Gott wird wieder drein fahren, mit gewaltigen Schlägen ihm seine wahre Aufgabe wieder zum Bewußtsein bringen. Als der judäische Staat un­ter König Uzzia, der israelitische unter dem zweiten Je- robeam in voller Blüthe seiner Macht stand, die Feinde niedergesiegt, der größte Gebietsumfang erlangt, Reich­thum in Menge bei den höheren Ständen aufgehäuft war, das Leben sich zusehends verfeinert hatte, man mit den gebildetsten Nationen in Sitten, Moden und Kün­sten wetteiferte, eine Gefahr nirgends her drohte, die schlechten Propheten (ungefähr dasselbe, was jetzt die schlechte Tagespresse) Machthaber und Volk in süße Träume von Glück, Frieden und Sicherheit einwiegten, da trat ein einfacher Hirte, Amos genannt, aus einem jüdischen Landstädtchen, auf und rief in die beiden siche­ren Staaten das Donnerwort hinein:wehe den Siche­ren!" (6, 1.)Gott gibt Befehl und schlägt das große Haus (d. i. Reich) in Trümmer und das kleine in Risse" (6, 11). Warum das?weil sie das Recht zu Gift verkehrt haben und die Furcht der Gerechtigkeit zu Wer- muth; weil sie sich freuen über ein Unding, weil sie sa-