Allgemeine

Zeitung des Iudenthums.

Ein unparteiisches Organ für alles jüdische Interesse.

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Herausgegeben von

Rabbiner Dr. Ludwig Philipps»» in Bonn. GZepeöiLion: Leipzig, Woßplah 17.

In redactionellen Angelegenheiten wende man sich an vr. Philippson in Bonn direct, in allen übrigen an die Verlagshandlung. Beilagen (Gebühr 12 Ä.) sind gleichfalls an letztere einzusenden.

52. Jahrgang. Leipzig, den 7. Juni 1888. Nr. 23.

Inh alt, Leitende Artikel: Schlagwörter unserer Zeit. XVI. Ein Gutachten über den Talmud. Die Verfassung des Volkes Israel. Zeitungsnachrichten: Deutschland: Bonn, Berlin, Frankfurt a. M. Oesterreich-Ungarn: Wien, Pest, Brünn. Frankreich: Paris. Schweiz: Bern. Rußland: Petersburg, Warschau, Riga. Türkei: Salonichi. Bonn: Notizen. Bonn: Literarische Notizen. Feuilleton: Aus der Praxis. (Schluß.) Correspondenz.

Bonn, den 3. Juni.

Lchlagivörter unserer Zeit.

XVI.

Es ist just kein Lob für unsre Zeit, daß das Schlag­wortHammer und Amboß!" mit einer gewissen Ruhe oder Resignation angehört und mit Achselzucken begleitet wird, wenn es zur Erklärung irgend eines Vorganges gebraucht wird. Es drückt doch aus, daß es einen Schläger und einen Geschlagenen giebt, daß nicht das Recht, sondern die Macht den Stiel des Hammers führt und der Geschlagene, wie ein Amboß, der an der Erde befestigt ist, sich die Schläge ge­fallen lassen muß. Es ist dies sein Schicksal. Ja noch mehr, es ist eine gewisse Ironie damit verbunden, denn der Haminer schlägt ja nicht unmittelbar auf den Amboß, sondern dieser dient ihm nur als feste Unterlage zu einem Zwecke, der den Amboß gar nicht betrifft. In dem gegebenen Falle wird also der, welcher hier den Amboß vertritt, als beschränkt genug ver­spottet, daß er Schläge aushält, die ihm nicht zum Nutzen gereichen, ihren Zweck etwa ganz außerhalb seiner Person haben. Es ist dies viel ärgerlicher, als wenn der Lehrer seinen Schüler prügelt und, wenn nicht dessen Besserung, doch dessen Bestrafung bezweckt. So einfach, wie es scheint, ist also dieses Schlagwort nicht, und es betrübt mich inimer, wenn ich es höre und zugestehen muß, daß es nicht un­passend angewendet sei. Es läßt einen tieferen Einblick in

den sittlichen Luftkreis werfen, in welchem auch unsre Gegen­wart noch lebt, und der bei näherer Untersuchung viel mehr Stickstoff und zu wenig Sauerstoff enthält, um schon gesund zu sein. Hammer und Amboß gab es mit dem Beginn der menschlichen Gesellschaft. Kain war Hammer, Abel Amboß. Aber nicht alle Hämmer waren so dumm, ihren Amboß gleich zu zerschlagen, so daß er keine Dienste mehr leisten konnte. Die Griechen, und zwar ihre größten Denker, erklärten dasHammer und Amboß" für ein Naturgesetz: der hellenische Stamm sei von der Natur zum Herrschen, alle an­deren Völker zu Sklaven bestimmt. Es währte aber nicht lange, da erschien Rom am Horizonte, und die Griechen wurden Amboß. Doch auch Rom entging diesem Schicksal nicht, und nachdem es ans so viele Nationen zerschmetternd geschlagen hatte, wurde es viele Jahrhunderte zuni Amboß. Ueber- schauen wir die Geschichte des Alterthums, so bietet uns die­selbe immer wiederholt das Schauspiel, daß kräftige Völker­horden in die Länder eindrangen, die Staaten zerschlugen, um nach einiger Zeit demselben Schicksal zu unterliegen. Es waltet da sichtbar die Nemesis, welche dem Tyrannen die Rolle des Sklaven aufbewahrt. Dies lehrt uns schon die h. Schrift. Wie höhnt der Prophet des gefallenen Babels, das so lange die Völker gemißhandelt hatte (Jerem. 50, 23): Wie ist zerhauen und zerbrochen der Hammer der ganzen Erde! wie zum Ensetzen Babel unter den Völkern geworden!" Jndeß würde der doch irren, welcher die 'Nemesis als durch­gängiges Motiv der Geschichte ansähe. Es giebt z. B. ein Völkchen, welches, nachdem es sich sein kleines Binnenland erobert hatte, niemals den Hammer zu spielen beabsichtigte

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