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fönen ans der Nachbarschaft. Nach einem den Festact ein­leitenden Gesänge bestieg Herr vr. Löb die Kanzel, um in eindringlicher Rede die Weihe des Aktes hervorzuheben. Es folgten noch mehrere Redner, die Grundsteinlegung selbst und ein heiteres Festmahl. Man schreibt aus Pr. Stargard vom 25. v. M.: Unter allseitiger Theilnahme feierte am ver­gangenen Dienstage Herr Rabbiner vr. Bra nn sein 25jähri- ges Dienstjubiläum. Schon seit dem frühesten Morgen trafen Glückwunschschreiben und Telegramme in großer Zahl ein, bis kurz nach 11 Uhr sich eine Deputation der hiesigen jüdi­schen Gemeinde, geführt von Herrn Fabrikbesitzer I. Goldfarb, zu dem Jubilar begab und ihm eine von Herrn Lehrer Nelke kunstreich verfertigte und von Herrn Buchbinder Wegen ele­gant gebundene Glückwunsch-Adresse, sowie ein Cöln-Minde- ner Prämienloos im Courswerthe von etwa 400 M. als Angebinde überreichte. Kurz darauf erschienen die Schüler und Schülerinnen, nach Klassen geordnet, unter Führung des Herrn Lehrer Saul und sagten dem Jubilar Gedichte auf. Die größere», jüdischen Gymnasiasten traten besonders ein und verehrten dem Herrn vr. Brann einen Lorbeerkranz. Zur Gratulation erschien ferner Herr Pfarrer Block, eine Deputation des Königlichen Gymnasiums, bestehend aus den Herren Direktor vr. Heinze und Oberlehrer Lück, welche als Geschenk des Lehrer-Collegiums ein großes, vorzüglich aus­geführtes Porträt des Kaisers überreichten, ferner Herr Bür­germeister Mörner und viele andere Freunde des Gefeierten. Herr vr. Brann war von den überaus zahlreichen Beweisen allgemeiner Verehrung und Achtung sichtlich ergriffen. An dem um 2 Uhr im Deutschen Hause stattfindenden Festessen nahmen unter vielen anderen auch Herr Superintendent Dreyer, Herr Superintendent Andrie, Herr Bürgermeister Mörner, Herr Direktor vr. Heinze, Rabbiner vr. Werner aus Danzig und der Bruder des Jubilars, Herr Rabbiner Brann aus Schneidemühl Theil. Aus Pest wird uns ge­schrieben: Den 20. v. M. verschied hier im 98. Lebensjahre der geachtete Herr Joachim Bloch, der vor zwanzig Jahren aus Neiern (Böhmen) hierher übersiedelte; bis wenige Wochen vor seinem Tode besuchte er alltäglich den Tempel. Den 25. v. M. verschied Rabbiner Jakob Eisner, seit 38 Jahren Rabbiner in Neubidschow (Böhmen) und den 12. April im Alter von 83 Jahren Rabbiner Simon Frankenstein, seit 38 Jahren Rabbiner in Battelau (Mähren).

Bonn, 29. Mai. (Literarische Notizen.) Unsre Leser wissen, daß wir stets Zeugnisse von dem Aufblühen der jüdischen Kanzelberedtsamkeit in französischer Sprache mit Befriedigung aufnehmen. Hierzu können wir auch die soeben im Druck erschienene Predigt rechnen:Le sentiment de Dignite en Israel. Sermon pronouce au temple israelite de Bruxelles le 1er jour de Pessach 5648, 27. Mars 1888 par J, H. Dreyfuss, grand rabbin de Belgique. Die Syna-

gogenverwaliung von Brüssel hat die Predigt drucken lassen und so wiederum einen Beweis für die sorgliche Pflege ge­geben, welche sie den religiösen Interessen angedeihen läßt. Die Predigt behandelt das Thema von der Auserwählung Israels, und zwar ganz vom biblischen Standpunkte. Der Redner bespricht zuerst den Einfluß, den dieses Dogma auf die Autoren der heiligen Bücher und dann auf den ganzen jüdischen Stamm bis zu unsren Tagen gehabt hat. Er fragt dann, ob dasselbe nicht einen unangemessenen Stolz hätte erwecken können, und meint, daß dies deshalb nicht zu be- ! fürchten war, weil Israel in seiner Geschichte auf jedem Schritte so viel Schwierigkeiten und Gefahren traf, daß es in jener Lehre einen wirksamen Trost, nicht aber einen Grund zur Selbstüberhebung finden konnte. Dann war auch dieser Glaubenssatz an die Bedingung der Heiligung, der Glaubens­und Gesetzestreue gebunden, so daß seine Pflichten jedes Ge­fühl von Stolz zurückdrängen mußten, und daraus lediglich eine moralische Superiorität entstehen konnte. Dafür aber mußte jene Lehre das Gefühl der Würde, das Bewußtsein des Werthes in den jüdischen Geistern befestigen, wodurch allein die wunderbare Lebenskraft Israels erklärlich ist. Der Glaube an die unmittelbare Lenkung Gottes und an den höheren Zweck, den er Israel eingesenkt, war zu aller Zeit die Kraft und die Schutzwehr Israels. Daher kam es, daß, gerade in der Zeit seines Falles, als Nation die bedeutsamste Entwickelung in der Religion und Moral Israels vor sich ging. Der jüdische Stamm hatte Zeiten durchzuleben, in welchen die Völker, in deren Mitte er lebte, die größte Bar­barei und Unkultur bethätigten, und doch erhielt er sich auf der Höhe seiner moralischen Reinheit. Dieses Gefühl seiner Würde, dieses Bewußtsein seines Werthes, führt der Redner weiter aus, machten Israel auch fähig, als die Schranken fielen und die Fesseln, mit welchen man cs belastet, sich mit aller Kraft den Forderungen der Cultur hinzugeben und der Freiheit würdig zu werden, die man ihm endlich gewährte. Niemals ist de» Erwartungen, welche die edelmüthigen Ver­fechter der Emanzipation vor den Juden hegten, in sv vollem Umfange entsprochen worden. Nichts bleibt daher zu wün­schen übrig, als daß dieses Gefühl der Würde auch die Israe­liten der Gegenwart und der Zukunft erfülle. Der Redner sagt hier wörtlich:

So erscheint es uns und Sie werden meine Mei­nung theilen unbegreiflich, seltsam, unschicklich und, um Alles zu sagen, die Würde des Judenthums verletzend, daß ein Israelit, wie gleichgültig er auch sei, den Glauben seiner Väter verrathe; daß ein Israelit die sogenannten Lehrsätze oder vielmehr die Verneinungen des Atheismus annehme; daß ein Israelit, seine Familienpflichten vergessend, sein Heim der Geißel des Witzes oder den Verletzungen der Zucht­losigkeit überlasse; daß ein Israelit strauchele auf dem Wege