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scheinlich, um ihn los zu werden; ein Mißbrauch, der zuletzt die Autorität des Rabbiners mindestens auf diesem Felde völlig anullirte noch dazu, da hierbei mannigfache Fäl­schungen vorkamen. Ich machte mir deshalb bald zum Grund­satz, keine Empfehlung zu ertheilen, außer Personen, die ich genau kannte, und dies waren der Menge gegenüber nur wenige. Natürlich kostete dies oft schwere Kämpfe; so ein paar Worte hielten die Leute für ein höchst geringes schul­diges Opfer. Ich habe oben bemerkt, daß diese Bettelei im letzten Jahrzehent merklich abgenommen, und dies wird Jeder bestätigen, der die frühere Zeit noch mit durchgemacht. Die Ursachen hiervon sind mehrere. Gewiß sind viele solcher Bettlerfamilien, die diesen Beruf von Geschlecht zu Geschlecht vererbten, ausgestorbem, und das Fußwandern ist außer Ge­brauch gekommen. Dann ist die polizeiliche Aufsicht über die Vagabonden und Bettler viel strenger geworden und von Osten her läßt man sie jetzt nicht mehr über die Grenze des deut­schen Reiches. Endlich sind in vielen Gemeinden Veranstal­tungen getroffen, dem Durchwandernden ein Zehrgeld zu geben, unter der Bedingung, am Orte nicht zu betteln. Hal­ten die Mitglieder derartiger Vereine streng darauf, dem Bettler nichts zu verabreichen, so entsprechen diese Vereine Zwecke, den jüdischen Straßenbettel zu vermindern, indem er zugleich vielen Subjecten verleidet wird. Immerhin sind die Summen, welche für diesen, in den meisten Fällen durchaus nicht wohlthätigen Zweck, verausgabt werden, nicht geringe. Jedem Einsichtsvollen wird deshalb dieser Weg, gegen die Bettelei zu reagiren, einleuchten. Eine Bemerkung aus neue­ster Zeit will ich nicht verschweigen, nämlich die, daß gegen­wärtig statt der Greise und Frauen allzu häufig junge Männer als Bettler erscheinen, die sich für stellenlose Kaufmanns­gehilfen und dergl. ausgeben. Dies ist gewiß nicht zu be­fördern.

Wenn aber Etwas zum Lobe unserer Gemeinden in ge- gerrwärtiger Zeit gereicht, so ist es das wohlorganisirte Armen­wesen. Wer die Zustände noch vor einem halben Jahrhun­dert kennt, weiß, wie sehr es damals verfallen war. Ich brauche es nicht hervorzuheben, welche große Entwickelung das Vereinswesen zu wohlthätigen Zwecken unter den Juden genommen; wie mannigfaltig die Zweige der Barmherzigkeit sind, welche gegenwärtig gepflegt werden und von welchen unsere Väter keine Ahnung hatten. Man sehe sich mit Ausnahme der Chebroth Kad., die Ursprungszeit unserer Kran­kenhäuser, Waisenhäuser u. s. w. und aller jetzt blühenden Vereine an, und man wird sie allesammt neueren Datums finden. Vor längerer Zeit schrieb mir der sel. Jost aus Frankfurt a. M., ob ich nicht einen Zweck wisse, einen Verein zu bilden. Man wolle einen bilden, aber es gebe dort schon so viele, daß man nicht mehr wisse, welchen. Nun, Jost selbst gründete einen trefflichen Frauenverein, und seitdem sind in

-Frankfurt noch mehrere erstanden, die, wie die thatkräftige 1 Theilnahme des Publikums erweist, nicht wieder entbehrt ! werden möchten. So sieht es jetzt in allen unseren größeren j und mittleren Gemeinden aus, und jedenfalls bildet sich hier- j durch das Feingefühl für die Leiden Anderer und die Energie j zum Kampf gegen die socialen Nebel immer mehr aus. Hinsichtlich des Gemeinde-Armen-Wesens aber war der größte Uebelstand, daß jede Organisation und Controle fehlten. Nach altjüdischer Sitte war der Gabbai ein Vertrauens­mann, der nach Belieben einnahm und ausgab. Wie oft hieraus Jnconvenienzen und überhaupt eine höchst mangel­hafte Verwaltung entsprossen, ist leicht einsichtlich. Es kam vor, daß in einer großen Gemeinde nach dem Tode eines solchen Vertrauensmannes 40,000 Thaler Manquo berechnet wurde. Dabei war der Verstorbene der redlichste Mann von der Welt, der viel eher von dem Seinigen zusetzte, als Etwas veruntreute. Aber es fand eben keine Buchführung statt und nur ausnahmsweise wurden Einnahmen und Ausgaben bunt durcheinander verzeichnet. Die Hinterlassenen ersetzten dieses Manko, aber Niemand wußte, wie weit dieses eigentlich ginge. Dieses Unwesen hat aufgehört; man hat überall das Armen­wesen organisirt, eine angemessene Verwaltung eingesetzt, Revision und Decharge eingeführt; an vielen Plätzen wird den Mitgliedern ein Jahresbericht erstattet, und dies ist von großer Wichtigkeit, da sich dadurch die Mitglieder überzeugen, wozu ihre Beiträge verwendet werden. Was mich anbe­trifft, so sah ich stets darin einen Uebelstand, daß zu viele kleine Vereine neben einander bestanden, nicht selten zu ganz -gleichen Zwecken oder zu solchen, die leicht mit einander zu ! verbinden wären. Es entstehen daraus zwei Unannehmlich­keiten, zuerst daß ein geschickter Bedürftiger von mehreren dieser Vereine Unterstützungen zu ziehen versteht, und dann, j daß die Beitragenden wegen kleiner Beiträge allzu oft be^ lästigt werden und zu der Meinung kommen, daß sie gar zu ! viel ausgäben, während sie mit einem einzigen größeren Bei­trage leicht einverstanden sein würden. Ich versuchte mehrere Male eine Verschmelzung dieser kleineren Vereine zu bewir­ken, drang aber nicht durch warum? kann man sich leicht erklären. Hiermit schließe ich meine kleinen Bemerkungen. Es giebt verschiedene Arten, auf welche derjenige von der Bühne der Öffentlichkeit abtreten kann, welcher eine längere oder kürzere Zeit daselbst verweilte. Nun, ich glaube, die bescheidenen MittheilungenAus der Praxis" nur bescheiden schließen zu dürfen, indem ich den Lesern nur wünsche, auf ihren Wegen durch das practische Leben recht vielen erfreu­lichen Erscheinungen zu begegnen.