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weise und das vielleicht nicht nur bei badischen Regimentern."
Uebergehen wollen wir auch nicht, daß die „Nordd. Mg. Ztg." vom 22. November in einem Leitartikel die gedachten Verhandlungen in der Budgetcommission bespricht. Sie sucht ausführlich den Ausschluß Freisinniger aus dem Officier- corps, besonders wegen der Homogenität des letzteren zu recht- fertigen. Mit den Juden findet sich der Artikel dadurch ab, daß er behauptet, es fänden sich in der Rangliste zahlreiche Officiere und Sanitätsoffieiere, die dem Namen nach von jüdischer Familie und Abstammung sind. So Etwas kann leicht behauptet werden, wenn man sich nicht verpflichtet fühlt, Beispiele anzuführen. Wahrscheinlich will die N. A. Z. sich mit der Heranziehung des Sanitätscorps decken, denn in diesem — bis zu einem gewissen Grade — befinden sich allerdings auch Juden, nicht aber in dem activen Officier- corps. Hierzu muß man noch bemerken, daß nach officiellen Auslassungen ein Mangel an Officieren eingetreten ist, der sich bei einer Mobilisirung recht fühlbar machen werde. Ob sich in Kriegszeiten diese Verhältnisse ändern werden, ist für jetzt nicht abzusehen.
Fürstenwalde a. d. Spree, 25. November.
Eine jüdische Taubstummen-Anstalt in Deutschland.
Wir haben, wenn wir von den glänzenden Leistungen der Wiener israelitischen Taubstummen-Anstalt zu berichten hatten, stets bedauert, daß ein solches Institut in Deutschland noch immer gänzlich fehlte. Wir glauben deshalb im Rechte zu handeln, wenn wir hier den Vorstand des desfall- sigen Unternehmens ausführlich berichten lassen. Redaction.
Wir sind heute in der erfreulichen Lage, den Gönnern und Freunden des Vereins „Freunde der Taubstummen Jedide Jlmim" berichten zu können, daß der Verein dem ersehnten Ziele, eine Anstalt für die israelitischen Taubstummen in Deutschland zu haben, nun bedeutend näher gerückt ist.
In der Generalversammlung am 26. Mai d. I. wurde der Beschluß gefaßt, eine Taubstummen-Anstalt zu erbauen. Bereits im Juli wurde von dem Verein ein Morgen großes Parkgrundstück in Weißensee bei Berlin käuflich erworben und schon den 1. August haben die Bauarbeiten begonnen.
Dank dem energischen Vorgehen des Vorstandes ist nunmehr ein, den hygienischen und pädagogischen Ansprüchen unserer Zeit entsprechendes, sehr solides und schönes Gebäude im Rohbau fertig gestellt.
Das Gebäude enthält im Kellergeschoß die Wirthschafts-
räume, die Anstaltsküche, Badezimmer und die Wohnung für den Schuldiener. Im Erdgeschoß befinden sich die Schulzimmer, die Speisesäle und Arbeitsräume für die Zöglinge.
Das erste Stockwerk enthält die Wohnung des Leiters der Anstalt und einen Schlafsaal.
Das zweite Stockwerk enthält die Aula, Schlafsaal und Krankenzimmer.
Für Park- und Gartenanlagen ist noch ein Flächenraum von 1829 Quadratmetern übrig. In diesem neuerbauten Hause ist Raum für etwa 60 Zöglinge.
Es sollen jüdische Kinder aus allen Gauen Deutschlands hier Aufnahme finden, um zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft und zu guten rechten Israeliten erzogen zu werden.
Vor Allem aber sind noch große Mittel für dieses echte Liebeswerk nothwendig, und müßten die Vorstände und Rabbiner der jüdischen Gemeinden in Deutschland dringend befürworten, daß Letztere Beiträge zum Baufond, wie auch feste jährliche Beiträge für diese. Anstalt bewilligten.
Nach Maßgabe der von den Gemeinden dem Vereine zu gewährenden Mittel, kann derselbe deren im bildungsfähigen Alter stehende taubstumme Kinder in Erziehung, Pflege und Unterricht nehmen.
Nicht unerwähnt wollen wir es bei dieser Gelegenheit lassen, daß der unterrichtete Taubstumme in der Regel ein tüchtiger Handwerker wird, der sich sein Brod selbst verdient, während der unausgebildete später den Gemeinden zur Last fällt.
Es wird ja so häufig darüber geklagt, daß jüdische Kinder sich dem Handwerke nicht zuwenden wollen; nun, eine bedeutende Anzahl taubstummer Kinder harrt darauf, sich als Handwerker ausbilden zu lassen. Sollten da nicht die Rabbiner und Vorstände der jüdischen Gemeinden dieser nicht ganz unbedeutenden socialen Frage sich freundlich zuwenden? Das bevorstehende Chanuckafest würde den Rabbinern genügende Gelegenheit dazu bieten, auf ein so humanes Unternehmen hinzuweisen, und sie würden den Zuruf „öffne deinen Mund für den Stummen!" in Wahrheit erfüllen.
An unsere jüdischen Glaubensgenossen in Deutschland.
Schon vor Jahresfrist haben wir die dringende Bitte an alle deutschen Israeliten ausgesprochen, der Hilflosesten unter den Unglücklichen zu gedenken, der jüdischen Taubstummen, deren erschreckend große Zahl diejenige anderer Con- fessioneu im Verhältniß zur Bevölkerungszahl fast um das Vierfache übersteigt. Und doch, wie wenig ist bisher für diese Armen geschehen! Einerseits reichen die staatlichen Anstalten nicht im Entferntesten aus für das vorhandene Bedürfniß und andererseits ist sehr häufig die materielle Lage der Ettern
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