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Kritik der gegen die Juden erhobenen Vorwürfe, im dritten die politischen Bedenken gegen die volle Gleichberechtigung der Juden, im vierten die bürgerliche und staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden mit den Christen, im fünften die Verfassungen der jüdischen Religionsgesellschaften in Preußen und in den anderen Bundesstaaten, endlich im sechstenein­heitliche Organisation des Jndenthums in Preußen." Schon aus dieser Uebersicht ergiebt es sich, daß das Werk eine reich­haltige Sammlung von Material zu einer Geschichte des Judenthums in neuester Zeit, besonders was Preußen be­trifft, enthält. Wenn wir auch bemerken müssen, daß der Verf. nur die Hauptmomente in Betracht zieht, so kann sich doch eine spätere umfassende Darstellung an das hier Gege­bene anlehnen. Für die Leser dieser Zeitung haben wir an dieser Stelle nichts Besonderes herauszuheben, da wir ja in diesem Blatte den faktischen und literarischen Verlauf bis ins Einzelste verfolgt haben. Die Darstellung des Verf. ist überall einfach, klar und präcise und hält sich möglichst an die Thatsachen. Ein besonderes Interesse haben daher für uns nur die Ergebnisse, zu welchen der Verf. gelangt. Selbst­verständlich tarnt er die Reformbestrebungen im Judenthume nicht mit Stillschweigen übergehen. Allein er stellt sich dabei auf einen einseitigen Standpunkt. Er weiß für die Reform­bestrebungen seit den zwanziger und dreißiger Jahren nur sehr äußerliche, ja aus dem religiösen Gesichtspunkte verwerf­liche Motive zu erkennen, und ebenso sind ihm die Ergebnisse nur durchaus äußerliche, nämlich die Veränderungen im Cul- tus. Zu diesem Zwecke berücksichtigt er auch vorzugsweise jene radikalen Bestrebungen, die eine kurze Zeit in Frank­furt a. M. bestanden und sich in der Reformgenossenschaft in Berlin ausprägten. Von der inneren geistigen Reform weiß er nichts oder spricht er nicht, von jener Reform, welche in der Synagoge (durch Wiederherstellung der Andacht und Würde, besonders aber durch die Predigt), im Religions­unterrichte, der so gut wie verschwunden war, und vorzüglich in der jüdischen Literatur, die sie so gut wie neu geschaffen, nachhaltig gewirkt hat. Man braucht nur die Auffassung des Judenthums, wie sie, erstarrt und verknöchert, im vori­gen Jahrhundert vorhanden war, mit der zu vergleichen, welche gegenwärtig allgemein geworden, um die Bedeutung der Reform, welcher sich ja auch die Orthodoxen nicht ent­ziehen konnten, zu würdigen. Das eigentliche Ziel des Dr. Auerbach ist: die Schöpfung einesCentralorgans der jüdi­schen Religionsgemeinschaft" in Preußen. Dieser Gedanke ist natürlich nicht neu, und wir können an das Jahr 1842 er­innern. Damals legte der preußische Cultusminister Eich­horn den Vorständen der größeren Gemeinden und einigen Persönlichkeiten durch einen Regierungscommissar eine Reihe von Fragen vor, in deren Beantwortung die Ansichten und Wünsche betreffs gesetzlicher Anordnungen des Staates aus­

gesprochen werden sollten. Auch wir wurden in dieser Weise befragt, und wir legten einen Entwurf zu einem jüdischen Consistorium für die preußischen Unterthanen jüdischer Reli­gion vor und übersandten denselben auch direct dem Minister, welcher in einem Antwortschreiben eineBerücksichtigung" unseres Entwurfes verhieß. Wir veröffentlichten auch den Entwurf in Nr. 21 des Jahrgangs 1842 dieser Zeitnng und forderten die befragten Gemeinden auf, sich unsrem Entwürfe oder wenigstens dem Gedanken desselben anzuschließen. Wie weit dies geschehen, wissen wir nicht, eine Berücksichtigung in dem schließlich erfolgten Gesetze vom 23. Juli 1847. fand nicht statt. Alles dies ignorirt der Verf., nimmt auch keine Notiz davon, daß vor zwei Jahren die Idee einer jüdischen Centralbehörde für Oesterreich auch in Wien lebhaft ventilirt wurde, insbesondere von unsrem Mitarbeiter Herrn Dr. G. Wolf, ohne daß es zu irgend einer Verwirklichung gekommen ist. Dr. Auerbach ertheilt seinemCentralorgan", welches zur Hälfte aus Rabbineru, zur anderen aus Männern be­stehen soll, welchen die Kenntniß des traditionellen Gesetzes nicht fremd wäre, sehr umfassende Functionen zu, ein ein­heitliches Glaubensbekenntniß, eine einheitliche Gebetordnung, die Aufsicht über eine jüdische Faeultät, Rabbiner- und Lehrer­seminare, Approbation von Rabbinern, Lehrern, Vorbetern, Schächtern u. s. w., die Bestimmung der Gehälter derselben, die Disciplinaraufsicht über sie u. s. w. Auf eine Kritik dieser einem Centralorgan auferlegten Aufgaben lassen wir uns hier nicht ein, weil an eine Verwirklichung des Planes doch nicht zu denken ist. Als wir 1842 unsren Entwurf veröffentlichten, lagen die Dinge ganz anders. Nach dem Edict vom 11. März 1812 gab es für den preußischen Staat keine jüdischen Gemeinden, keine Executive für die Beiträge zu den Gemeindekosten, keine Rabbiner. Die Ge­meinden waren ohne alle Organisation und existirten eben nur auf dem Boden der alten Gewohnheiten. Zugleich war es der Regierung zum Bewußtsein gekommen, daß diese Zu­stände nothwendig eine Religionslosigkeit für die ganze Masse der Juden allmälig herbeiführen müssen. Wir konnten z. B. dem Minister sagen, daß es ganze Gemeinden gebe, nament­lich auf dem Lande, in welchen kein einziges jüdisches Kind die Zehn Gebote kenne. Dies war also ein Zeitpunkt, in welchem der Vorschlag einer jüdischen Centralbehörde reali- sirbar scheinen konnte. Dennoch glückte er nicht. Durch das Gesetz vom 23. Juli 1847 wurden den jüdischen Gemeinden corporative Rechte und eine der Städteordnung analoge Ge- meindeverfassung gegeben, in welche sich nun die Gemeinden des preußischen Staates (alte Provinzen) hineingelebt und organisirt haben. Schwerlich werden sie zustimmen, wenn sie ihre Autonomie in den wichtigsten Theilen aufgeben sollen. Die Mehrzahl derselben hat sich wohl dem deutsch-israeli­tischen Gemeindebunde angeschlossen, der jedoch nur eine be-