Allgemeine
des Iudenlhums.
Ein nnpartciisches Organ für alles indische Interesse.
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Rabbiner Dr. Ludwig Wlippson in Bonn. GZepeöiLion: Leipzig, WotzpLrrh 17.
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51, Jahrgang. Leipzig, den 14. Juli 1887. Nr. 28.
Inhalt. Leitende Artikel: Die Moral des Buches Jesua ben Sirach's. — Die Belehrung im Judenthum. — Lionel Louis Cohen. (Nekrolog.) — Der jüdische Faktor in Galizien. — Zeitungsnachrichten: Deutschland: Berlin, Breslau, Fürth. Oesterreich- Ungarn: Wien, Pest, Krakau, Karlsburg. — Italien: Nom. — Rußland: St. Petersburg, Warschau. — Frankreich: Paris. Großbritannien: Bonn, London. — Türkei: Konstantinopel. — Bonn: Notizen. — Feuilleton: Correspondenz.
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Bonn, 10. Juli.
Die Moral des Huches Iefua ben Sirach's.
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Wenn wir gesagt, daß ein Grundzug der jüdischen Sittlichkeit in der Jdentificirung von Lehre und Leben bestehe, so liegt ein Beweis darin, daß die jüdischen Lehrer der Moral sich nicht bloß mit der idealen Ethik beschäftigen, som dern auch mit dem Verhalten des Menschen in allen Beziehungen und Verhältnissen des gewöhnlichen Lebens, mit seinem Benehmen in den geselligen Kreisen. Dem Hebräer ist ein. wesentliches Element der Weisheit die Lebensklugheit, gestützt auf Lebenserfahrung. Und in der That liegt auch in diesen Momenten viel Sittliches enthalten, insbesondere die Uebung der Selbstbeherrschung, der Mäßigkeit und Mäßigung, der Bescheidenheit, des Wohlwollens, der Nächstenliebe. In dem folgenden Abschnitt (Cap. 8—16) der Spruchsammlung entfaltet deshalb Sirach eine Fülle von Erfahrungen, auf Grund derer er seine Rathschläge, Mahnungen und Warnungen ertheilt. Er bedient sich dabei nicht der einzelnen Sentenz, sondern reiht mehrfache Sätze über denselben Gegenstand an einander. An Wiederholungen, sowie an Anklängen an Salomo fehlt es nicht, aber auch nicht an treffenden Gleichnissen und an kernigen Worten. Er will denjenigen, der ihm Gehör schenkt, vor Schaden, vor sittlichem und weltlichem, schützen und ihm den Weg zeigen, auf welchem er zur
! Reinheit von Sünden und zu Lebensglück gelangt. Er macht ^ ihn mit den Gefahren bekannt, die auf den Menschen lauern,
! sowohl die in der Sünde beruhen, als auch die aus der Un- ! Vorsichtigkeit, aus dem Mangel an richtigem und klugem ! Verhalten entspringen. Ueberall ist ihm Gottesfurcht und Besonnenheit die Grundbedingung des Gedeihens, aber auch die Kenntniß der Menschen, und sich hiernach zu richten, ist unumgängliches Erforderniß. Man erkennt hieraus, daß die Auslassungen unseres Weisen auch einen Einblick in die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse gewähren müssen, also auch von culturhistorischem Werthe sind. Hier fällt es uns nun zunächst auf, wie ausführlich und immer von Neuem Sirach von dem Verhalten den Königen, Mächtigen, Reichen und Richtern gegenüber spricht, auf die großen Machtmittel hinweist, welche ihnen zu Gebote stehen, um den Schwächeren und Aermeren zu unterdrücken, zu überwältigen. Die Gefahren, die Macht und Reichthum mit sich bringen, sowohl für die. welche sie besitzen, als auch für die, gegen welche sie gebraucht werden können, werden nachdrücklich ins Bewußtsein gerufen. Dabei ist hervorzuheben, daß der Spruch' redner sich nicht an die Reichen und Mächtigen selbst wendet, um sie vor dem Mißbrauch zu warnen, vielmehr diejenigen ins Auge faßt, die darunter zu leiden hätten, also den schwächeren und gesährdeteren Theil der Menschen. Es ist darin die Meinung enthalten, daß jene seine Mahnungen doch nicht beherzigen würden, es also mehr darauf ankomme, den letzteren Verhaltungsregeln zu geben, um den Gefahren vorzubeugen und auszuweichen. Wir sehen also die damalige Gesellschaft, selbst in dem kleinen Judäa, nicht minder be-
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