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zum Rabbiner der „Schottländer" Gemeinde in Danzig gewählt und entfaltete dort eine überaus fruchtbare Tätigkeit als Prediger, Lehrer und Seelsorger. Er wirkte aber auch als Volksbildner durch zahlreiche Vorträge, die er in den Bildungs- und Geselligkeitsvereinen der Stadt und Provinz über religions-, kultur- und literaturgeschichtliche Themata hielt, aufklärend und zu idealen Streben begeisternd auf weitere nichtjüdische Kreise. Es gelang ihm, die fünf kleinen Gemeinden, die damals in Danzig bestanden, zu ein e t Shnagogengemeinde zu vereinigen, ihr in der neuerbauten Synagoge den einigenden Mittelpunkt zu schassen und mit dem nach dem Vorbilde Joels bearbeiteten Gebetbuche die sichere Grundlage für einen würdigen Gottesdienst zu geben.
Nur schweren Herzens entschloß er sich nach 17jähriger reich- gesegneter Wirksamkeit in Danzig, der ehrenvollen Berufung zum Rabbiner der israelitischen Kultusgemeinde in München zu folgen, aber er wurde auch hier bald nach seinem Amtsantritte vermöge seiner unermüdlichen Schaffenfreude, seiner rednerischen Begabung und seiner stets zur Milderung der Gegensätze neigenden Friedensliebe in seiner vollen Bedeutung als Rabbiner nnd Menschenfreund erkannt und gewürdigt. In Danzig war er, mit dem Wachstum der Gemeinde fortschreitend, vom Jüngling zum Manne gereift, in München konnte er der Gemeinde auf Kanzel und Katheder die Herrlichen Früchte seiner nun im wesentlichen abgeschlossenen geistigen Entwicklung darbieten. Die reichen Mittel, die ihm hier für wohltätige Zwecke zur Verfügung gestellt wurden, gestatteten ihm, sich noch mehr als früher der Armen und Bedrängten, der Mühseligen und Beladenen, der Witwen und Waisen anzunehmen, die sich mit ihren Sorgen undNöten an ihn wandten und bei ihm stets ein williges Gehör und ein tatbereites Verständnis fanden. Daß er als Vorsitzender der BayerischenRabbiner- konferenz und als Berater der bayerischen Regierung in allen jüdischen Angelegenheiten dem Judentum ersprießliche Dienste geleistet hat, braucht bei der gesetzlich anerkannten bevorzugten Stellung der 'bayerischen Rabbiner kaum hervorgehoben zu iverden. Wohl aber verdient die das Judentum hochehrende huldvolle Gesinnung, die der König Ludwig dem Verewigten durch Verleihung hoher Orden und des Professortitels bewiesen hat, eine Erwähnung. Diese Gesinnung hat sich auch jetzt bei Werners Hinscheiden durch Uebersendung eines Kranzes und eines Beileidstelegramms an die Witwe des Verewigten bekundet, -das folgendermaßen lautet: „Mt lebhaftem Bedauern vernehme ich, daß Sie durch den Heimgang Ihres Gatten, des von mir aufrichtig geschätzten langjährigen Rabbiners der hiesigen israelitischen Kultusgemeinde, in tiefe Trauer versetzt worden sind. Von Herzen spreche ich Ihnen und den Ihrigen mein warmempfundenes" Beileid aus. Ludwig." Nicht nur bei offiziellen Empfängen hatte der König den Verewigten wiederholt ins Gespräch gezogen, sondern auch im Anschluß an
.seine wissenschaftlichen Vorträge in der Orientalischen Gesellschaft ihm in gütigen Worten Dank und Anerkennung ausgesprochen.
Werners Name wird in der Geschichte der Gemeinden Danzig und München fortleben, aber auch die großen Verbände, die alle Richtungen der deutschen Judenheit zu Aufbau und Abwehr zusammenschließen und an deren Gedeihen er mit Rat und Tat lebhaftesten Anteil genommen hat, werden seiner treuen Mitarbeit und seiner überaus wertvollen Dienste stets eingedenk bleiben. Er hat den Rabbinerverband in Deutschland mitbegründen helfen und war viele Jahre hindurch dessen Kassierer und dessen stellvertretender Vorsitzender. Es war seinen versammelten Kollegen eine Freude, ihn reden zu hören, denn er verstand es meisterhaft, auch trockene Beratungsgegenstände durch geistvolle Bemerkungen und launige, stets treffende, nie verletzende Scherzworte zu beleben, vor allem aber die zuweilen hochgehenden Wogen der Erregung durch sein gütiges und klug vermittelndes Wesen zu glätten. Und die Entschiedenheit, mit der für die Wahrung der Würde, des Ansehens und der amtlichen Stellung des Rabbinerstandes eintrat, gewann ihm die Herzen aller Kollegen ohne Unterschied ihrer religiösen Richtung. Die vom Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens herausgegebene Zeitschrift „Im Deutschen Reich" enthält zahlreiche Beiträge aus seiner Feder, die von seiner glühenden Begeisterung für das Judentum und von seiner treudeutschen Gesinnung beredtes Zeugnis ab- legen. Es sind zumeist Vorträge, die er in den Versammlungen des Zentralvereins gehalten hat und die nach Inhalt und Form als Musterbilder einer im edelsten Sinne volkstümlichen Beredsamkeit bezeichnet werden dürfen. Als ein schönes Beispiel seiner lebendigen, schwungvollen und eindringlichen Redekunst sei hier nur der am 9. Februar 1910 in Berlin gehaltene Vortrag „Judentaufen" genannt, der die freudigste Zustimmung ausgelöst hat. Nicht minder opferwillig hat Werner seine Zeit und Kraft in den Dienst des Verbandes der deutschen Juden, der jüdischen Logen und Literaturvereine, der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft deS Judentums und vieler anderer Vereinigungen gestellt, die den idealen Bestrebungen der deutschen Judenheit dienen.
Noch höher aber als fein Lebenswerk steht uns der warmherzige, für alles Gute und Schöne begeisterte sonnige Mensch. Kein Wunder, daß ihm überall die Herzen zuslogen, daß er bei allen Parteien, in allen Bildungs- und Gesellschaftsschichten, unter Juden und Christen dankbare Freunde und Bewunderer gefunden hat, die jetzt um ihn wie um einen nahen Angehörigen trauern. „Die Lehre der Wahrheit war in seinem Munde, und kein Trug war auf seinen Lippen, in Frieden und Geradheit wandelte er mit Gott und brachte viele von der Sünde zurück." Ein echter Jünger des Hohenpriesters Aron, liebte er nach dem Worte Hillels den Frieden und
Rabbiner Dr. Werner.