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In welche Zwangslage aber <ommt heute bet Rabbiner, der beruflich verpflichtet ist, bei al len Beendigungen — so es gewünscht wird — eine Leichenrede zu halten! Verliert sie nicht ganz ihren Wert, wenn sie dem guten und dem schlechten Menschen in gleicher Weise gewährt wird? In gleicher Weise! Denn sie soll doch die Lichtseiten des abgeschlossenen Lebens aufsuchen, und man erwartet vom Rabbiner „de mortuis nihil nisi bonum" statt „bene". Völlig zu schwe igen von den Großgemeinden, wo der Leichenredner sehr oft gar leine Ahnung hat, wem er den Scheidegruß entbietet, wo er auf Informationen beschränkt wird, die stets im rosigsten Licht gegeben werden!
Sollte da nicht eine Möglichkeit zur Beseitigung dieses unwürdigen Zustandes vorhanden sein? Ich glaube, es dürfte der Würde und dem Ernst der Abschiedsstunde entsprechen, wenn der Rabbiner nach einem Chorgesang nur Psalm und Gebet vortragen würde. Wo es sich aber um Personen handelt, die im Dienst der Gemeinde und der Menschheit gestanden, die aus dem engen Rahmen persönlicher Interessen herausgetreten sind, da soll er in einer Grabrede die Bedeutung des Verlustes schildern und hierzu den Auftrag von den Gemeindebehörden ethalten.. Jene Hinterbliebenen aber, die durchaus auf einer Leichenrede bestehen, haben ja die Möglichkeit, in ihrem eigenen Haus, vor versammelter Familie, vor Verwandten und Freunden eine Trauerfeier zu veranstalten. Und bei einer solchen gewinnen die Worte des Rabbiners an Wert und Bedeutung; sie bekommen einen intimen Charakter und erhalten eine charakteristische Note; sie entfernen sich von der Schablone und verlieren den berufsmäßigen Anstrich. Wie aber die Zustände heute liegen, kann man es nachfühlen, wenn manch einer auf die Leichenrede verzichtet. In der katholischen Kirche, übrigens auch bei den Ostjuden, gehört die Leichenrede zu den Seltenheiten, und trotzdem ist das Leichenbegängnis ernst und würdig; denn hier wirkt die Tatsache, und nicht das Wort.
Sir Woche.
Berlin, den 4. Februar 1919. ie inneren Verhältnisse werden limmter trostloser, man steht vor einem völligen Zusammenbruch. Die Spartakisten herrschen in Bremen, Braunfchweig und Gotha, und die Regierung ist nicht imstande, dem verbrecherischen Treiben dieser Wahnsinnigen zu steuern. Man spricht von einem Wiederaufleben des Terrors in Berlin, und man muh befürchten, daß diese vaterlandslosen Uebeltätev das Zusammentreten der Nationalversammlung in Weimar hindern oder deren Beratungen stören werden.
Nicht minder traurig ist das Treiben der Soldaten- und Arbeiterräte, die, nachdem sie auf das schamloseste mit den öffentlichen Geldern gehaust haben, ihre angemaßte Macht nicht aufgeben wollen und das Eintreten geordneter Zustände in jeder Weise zu verhindern sich bemühen.
Diese entsetzensvollen Zustände werden dadurch noch verschlimmert, daß durch die ArbeitsurWilligkeit, durch die verruchten Streiks die Förderung von Kohle völlig unterbunden zu werden droht und die Gefahr besteht, daß Gas und Elektrizität in wenigen Tagen aufhören werden. Das bedeutet ein völliges Lahmlegen der Industrie, den Stillstand aller Tätigkeit. Dazu kommt die seit einigen Tagen herrschende furchtbare Kälte, so daß wir der entsetzlichen Not, dem vollkommenen Ruin en'tgegengehen.
Der Hunger droht, die Entente in ihrer Dernichtungswut läßt von der Blockade nicht ab, sie behandelt Deutschland völlig als Sklavenland, und wir stehen hilflos und verzweifelt vor einer gänzlichen Vernichtung.
Bei dieser verzweifelten Lage den Mut zu bewahren, geht fast über die menschliche Kraft. Nur mit allergrößter Anstrengung vermögen wir die Ruhe zu wahren, der Zukunft ins Antlitz zu schauen und als unbefangene Chronisten von der Vergangenheit zu berichten.
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Wie furchtbar man gegen die Juden im Wahlkampf gehetzt hat, geht aus folgendem ausführlichen Artikel des „BeÄ. Tageblattes" hervor:
Deutschnationales Schatz käst lein.
Wie die Deutschnationale Bolkspartei sich würdig zur National- versammlung rüstete. Es scheint uns notwendig und nützlich, einige Proben der deutschnationalen Wahlagitation zusammenzu-sto.llen und sie auch für spätere Zeiten auszubewahren. Auch für künftige Historiker wird es interessant sein, zu sehen, wie die Partei, die sich - „deutschnational" nennt, bei den Wahlen für die Deutsche und für die Preußische Nationailversanunlung sich aufgeführt hat, und die Zeitgenossen, können gleichfalls einiges daraus lernen. Wir müssen Ulis darauf beschränken, nur einige Proben aneinanderzu reihen. Zum Beginn möchten wir das Inserat erwähnen, das überall in die Provin.zp-rc.sse gesetzt wurde und lautete: „Die Partei des Judentums ist die Deutsche demokratische Partei. Jüdische! Wähler und Wählerinnen, erfüllt am 19. Januar eure Pflicht!" Es wurde von dem konservativen Annoncenbureau Eduard Poppe, Berlin- Wilmersdorf, den Zeitungen zugeschickt, mit dem Begleitvermerk: „Zahlung erfolgt nach Einsendung des Belegs mit Rechnung abzüglich des üblichen Rabatts beziehungsweise Provision! für meino Expedition." Natürlich sollte es den Eindruck erwecken, als ginge es von jüdischer Seite a>us. Eine kleine deutschnationalo. Fälschung, weiter nichts.
In einem aus rote in Papier gedruckten. Flugblatt -der De.utschl- nationalein Bolkspartei wird sodann versichert, das „Berliner Tageblatt" vertrete „die Interessen des internationalen Börsenkapitals". Ter Kamps „gegen die rote nnd goldene Internationale" wird verkündet. Spätere Geschichtsschreiber dürften nicht sagcn: „Deulfch- land ging zugrunde denn von den Feinden besiegt, ließ es sich von Bolksfremden regieren." In einem in der Druckerei des „Reichs- boten" verfertigten Flugblatt Prangen -an der Spitze -die Worte:
„Tie Partei des Judentums ist die Deutsche demokratische Partei. Indische 'Wähler nnd Wählerinnen, tut am Wahltage eure Pflicht!" So zu lesen in Berliner Zeitungen und ähnlich auf Tausenden von Plaikatcn. Bor diesen Plakaten standen aber überall Juden, -die mit ihren Stöcken, oder Fingernägeln das Wort „Juden" a-uskratzten. Warum diese sonderbare Verschämtheit?"
Nachdem man also das gefälschte Inserat, das die Juden, aus-- forderte, für die Deutsche demokratische Partei zu stimmen, in die Z itungen gesetzt und so getan, als rühre es' von jüdischer Seite her, verhöhnt man die Juden, die -das' aus der gleichen Fälscher- werkstatt stammende Plakat angeblich „mit den Fingernägeln" bearbeiten. Noch einige Stichproben ans demselben Flugblatt. „Die Juden" — ganz allgemein — hätten einen „Landesverrat frevelhafter Art gegen uns begangen." Beweis: Die Bolschewisten sind Juden. Weiter: „Das Judentum" hat „im Weltkriege nicht weniger als 72 Milliarden Mark Prosit gemacht". Ferner: „Die Deutschen aber zersplittern und bekämpfen sich gegenseitig, und nur zögernd geben sie ein Paar Mark zum Kampfe gegen! das Judentum, den gefährlichsten aller Feinde Deutschlands!" Für „ein paar Mark" hat die Teutschnationäle Bolkspartei all diese duftigen Flugblätter und Plakate» hergestellt?
Aus einem deutschnationalen Flugblatt mit der Ueberschrist: „Der demokratische Schafspelz! Deutsche Frauen und Männer scid aus der Hut!" . . . :
„Weil das Großkapital und das Händlertum seine Geschäfte machen wollte, mußte das deutsche Volk den- Krieg verlieren! Und dieses Händlertum mit seinem internationalen Jvbber- und Schachergeist ist die Stütze der Deutschen demokratischen Partei.... Laßt euch nicht betören von. routinierten. VoMaiusbeutern und Bolksbetrügern, die über ihr Tenselsfell den rdemokra-tischen Schafspelz gezogen haben, damit man ihre wahre Statur -nicht sieht!"