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am Grindel, wo der Verblichene im Erbbegräbniß an der Seite seiner Eltern beigesetzt wurde. Als Zeichen der Trauer und Verehrung hatten viele Schiffe im Hafen halbstock geflaggt. Der Verblichene, der sich stets durch große Wohlthätigkeit auszeichnete, soll in seinem Testament die Armen reichlich bedacht haben.

0 Hannover, im August. Immer mehr kommt man in den leitenden Kreisen zur Erkenntniß, daß, um einen Theil unserer Glaubens­genossen zum Handwerk und zur Bodenkultur überzuführen und sie auf diesen Gebieten leistungsfähig zu machen, es erforderlich ist, sie schon in frühester Jugend, womöglich schon in der Kindheit, an praktische Arbeiten zu gewöhnen. Dieses war der leitende Gesichtspunkt bei Gründung der Erziehungsanstalt Ahlem, die den Zweck verfolgt, jüdische junge Leute, welche sich der Bodenkultur widmen wollen, in der Gärtnerei und, soweit es die in dem Besitz der Anstalt befindlichen 80 Morgen Grundbesitz zulassen, auch in Landwirthschaft und Viehhaltung auszubilden. Neben dieser gärtnerischen und kleinlandwirthschaftlichen Lehranstalt ist in Ahlem ein Waisen-Erziehungshaus für Knaben im Alter bis 14 Jahren. Das Zusammenleben der schon älteren, einem ernsten Ziele zustrebendenLehrlinge" mit den kleinen, viel jüngeren Schülern" zeitigt natürlich die segensreichsten Folgen. Die Knaben werden in pädagogischer Weise zu praktischen Arbeiten angehalten. Namentlich werden sie im Sommer in rationeller Weise in Blumenzucht und Gemüsebau und anderen leichten Gartenarbeiten unterwiesen, während sie im Winter Handfertigkeitsunterricht haben. Mit welcher Lust und Liebe gehen die Knaben hier an die Arbeit! Mit welcher Freude handhaben sie Hacke und Spaten. Erscheint ihnen doch diese Beschäftigung als Vergnügen und nicht als Arbeit. Sie selbst bearbeiten den Boden, sehen den Samen keimen, hegen und pflegen die Pflänzlein und dürfen schließlich auch die Früchte ihrer mitunter recht sauren Arbeit ernten. Leider ist die Anstalt gezwungen, zahlreiche Anmeldungen aus allen Theilen Deutschlands aus Mangel an Mitteln unberücksichtigt zu lassen; auch haben sonst noch nothwendige Verbesserungen wegen des chronischen Geldmangels nicht vorgenommen werden können. Um diesem abzuhelfen, läßt der Vorstand, wie im Vorjahre, gelegentlich des Rofch- Haschonoh-Festes eine Sammlung durch Schulkinder veranstalten. Mögen alle Lehrer, die Erzieher unserer Jugend, an die der Vorstand sich ge­wendet hat, der Anstalt ihre Mitwirkung leihen; mögen Alle, die ein warmes Herz für unsere jüdische Jugend haben, gern und freudig durch ihre Unterstützung das Werk fördern.

& 0 Bruchsal, im August. Der elfte Jahresbericht des Landes­vereins zur Erziehung israelitischer Waisen im Großherzogthum Baden berichtet zunächst, daß die fünfte ordentliche Geueralversammlung am 3. Juli 1898 in Bruchsal stattfand. Im Laufe der jetzt zehnjährigen Thätigkeit des Vereins wurden insgesammt 169 Waisen in Fürsorge genommen. Von den seither entlassenen haben 12 Knaben sich dem kaufmännischen, 18 handwerksmäßigen oder technischen Berufsarten, als Bäcker, Metzger, Koch, Schneider, Blechner, Photographen, Zahn- und Elektrotechniker, zugewandt. Dreizehn Mädchen gewinnen ihren Unter­halt als Näherinnen, eine als Büglerin, zwei als Ladnerinnen, eine als Buchhalterin, zwölf in verschiedenen Dienststellungen als Kindermädchen, Köchinnen, Mägde und Haushälterinnen; zehn sind im Hauswesen ihrer Angehörigen thätig. Dreizehn frühere Pfleglinge sind nach Amerika ausgewandert, zwei verschollen, fünf gestorben. Mit sehr geringen Aus­nahmen berechtigen die entlassenen Waisen zu den besten Hoffnungen für ihre fernere Zukunft. Die Thätigkeit des Vorstandes wurde von der Versammlung gutgeheißen, zum Orte der nächsten Generalversammlung Offenburg bestimmt und die seitherigen Mitglieder der Prüfungskommission für die Rechnungen, die Herren Leopold Heinsheimer und Gutmann Strauß, statutengemäß auf zwei Jahre wiedergewählt. Herr Nathan Katz, der sM dem Jahre 1893 das Amt eines Rechners verwaltet hat, legte dasselbe zum 1. September v. I. nieder. Zu seinem Nachfolger wurde in einer an die Generalversammlung sich anschließenden Vorstands- sttzung Herr Emil Marx hier gewählt. Zu den 95 Waisen, die am Be­ginn des vorigen Jahres sich in der Pflege befanden, wurden 21 neu ausgenommen und ebenso viele entlassen. Bon diesen erlernt ein Knabe das Bäckerhandwerk, zwei die Kaufmannschaft. Fünf Mädchen wurden Näherinnen, eine Büglerin, zwei Dienstmädchen, vier kehrten zu ihren Angehörigen zurück, eine wanderte nach Amerika aus. Von den aus der Schule entlassenen, aber noch in Fürsorge befindlichen Waisen er­

lernen zwei Knaben mit Unterstützung des Vereins zur Förderung des Handwerks unter den Israeliten in Freiburg das Sattlerhandwerk, einer mit derjenigen des Vereins in Mannheim die Bäckerei, fünf Mädchen bilden sich in weiblichen Handarbeiten aus. Mit dem Kassen- vorrath am 1. Januar 1898 von 138!2,68 Mark und den Mitglieder­beiträgen und Schenkungen aus den Rabbinatsbezirken besitzt der Verein an Einnahmen 59 099,73 Mark, wohingegen sich die Ausgaben auf 49099,31 M. beliefen. Das Gesammtvermögen beläuft sich auf 156325,02 M. Der Vorstand besteht gegenwärtig aus folgenden Herren: Rabbiner Dr. I. Eschelbacher, Vorsitzender. Moritz Marx, Stellvertreter desselben. Louis Marx, Schriftführer. Emil Marx, Rechner. Ludwig Groß. Alexander Dreifuß. Dr. I. Kusel. Rabbiner Dr. M. Appel in Karls­ruhe. Vorsteher B. Harburger in Gailingen. Vorsteher B. Herzberger in Bretten. Rabbiner Dr. A. Lewin in Freiburg. Rabbiner Dr. L. Löwenstein in Mosbach. Rabbiner Dr. B. Mayer in Bühl. Be- zirksältester I. Nordmann in Lörrach. Rabbiner Dr. M. Rawicz in Offenburg.

, Schweiz.

= Basel, 25. August. Als Nachtrag zu den Verhandlungen des Zionistenkongresses, auf dem übrigens der Präsident Dr. Herzl nicht weniger als dreimal die Kabinetsfrage gestellt hat, mögen hier die wichtigen Bestimmungen des § 1 über den örtlichen Wirkungskreis der Kolonialbank folgen, die in der außerordentlichen Generalversamm­lung nach endlosen Debatten angenommen wurden. Es soll also jetzt die Aufgabe der Bank sein: 1. Zu fördern, zu entwickeln, zu betreiben und zu führen: Kolonisationsarbeiten im Orient, vorzüglich in Palästina und Syrien. Ferner zu sördern> zu entwickeln, zu betreiben und zu führen: Industrien, Unternehmungen in Palästina, Syrien oder, wenn es nach der Meinung des zur Zeit der Gesellschaft angehörenden Auf- sichtsrathes (der in den Original-Gesellschaftsartikeln definirt ist und hier später derRath" schlechtweg genannt werden soll) im Interesse des jüdischen Volkes gelegen ist, auf jede Weise in irgend einem anderen Theile der Welt und an irgend einem Orte oder in irgend einem Lande.

Oesterreich - Ungarn.

Wien, 28. August. Aus unserer Gemeinde ist in dieser Ferien­zeit nichts Neues zu berichten, höchstens, daß am 24. d. in dem nahen Simmering ein neuer Tempel feierlich eingeweiht wurde. Aber desto stürmischer geht es in Nordböhmen zu. Und auch unsere Glaubens­genossen werden bei diesen Kämpfen vielfach in Mitleidenschaft gezogen.- Auch aus Galizien wird wieder ein Fall berichtet, der die dortigen Verhältnisse in erschreckender Weise illustrirt, der Mordprozeß gegen den Todtengräber Bernfeld und den Fuhrmann Helsinger, der auf direkte Veranlassung des Justizministers geführt wurde, den wieder die Anti­semiten dazu gedrängt haben! Der Korporal Stempkovicz wurde in der Neujahrsnacht 1898 im Flur eines Wirthshauses bei Neu-Sandec todt aufgesunden. Die Obduktion ergab Gehirnfchlag. Der Stojalevski-Klub aber behauptete Todtschlag und denunzirte die obengenannten beiden Juden als die Mörder. Bei der Verhandlung in diesem Monat wurde Helsinger freigesprochen, Bernseld zu 6 Monaten schweren Kerkers wegen schwerer Körperverletzung verurtheilt. Auch in diesem Prozeß ist aber wohl noch nicht das letzte Wort gesprochen.Interessante Enthüllungen kommen, ebenfalls aus Galizien, woher man sie sicher am wenigsten erwartet hätte, über den französischen Antisemitenführer Jules Gueri n, der jetzt so viel von sich reden macht durch seinen Krieg gegen die fran­zösische Regierung. DerKur. Lwowski" meldet nämlich, daß Grwrin ein Jndustrieritter der geriebensten Sorte ist, der 1887 in Galizien operirte. Er kaufte Naphthaländereien in Libusza vom Grafen Skrzynsky für 300 000 Francs, gab 50 000 Francs Angeld und begann auf Kredit An­schaffungen von Möbeln, Teppichen und Silber, bis er endlich verschwand. Alle Reklamationen nach Paris, wo der Hauptsitz der SocietsJules Guörin & Comp." war, blieben erfolglos. Endlich schrieb man von dort, daß alle Bücher der Gesellschaft durch Brand vernichtet und des­wegen alle Zahlungen unmöglich seien. Verschiedene jüdische Kaufleute in Krakau sind durch den braven Mann arg geschädigt worden. Ueber eine neue jüdische Sekte" veröffentlicht das ungarische Regierungs­organNemzet" folgende Notiz:Das Ministerium für innere An­gelegenheiten hat vor Kurzem die Statuten einer in der Konstitution be-