Rekruten auf deu Fahneneid im Tempel durch den Rabbiner regelt. Ferner ist ungeordnet, daß den israelitischen Soldaten einmal im Monat ohne besondere Bitte Gelegenheit zum Besuche des Sabbath- gottesdienstes gegeben werde. Außerdem wird alljährlich das Datum der hohen Festtage und des Passahfestes dem Generalkommando mit- getheilt. und die Bitte um Beurlaubung der israelitischen Soldaten ausgesprochen, worauf stets die Antwort erfolgt, daß „die Trnppen- theile des Armeekorps angewiesen worden sind, die Mannschaften israelitischen Bekenntnisses während der fraglichen Feiertage, soweit dies der Diel,st gestattet, zu berücksichtigen."
Ich glaube, wenn die Regelung dieser Frage im Sinne der betheiligten Soldaten in Württemberg möglich ist bei voller Handhabung der Disziplin und des Dienstes, so sollte es auch der preußischen Heeresverwaltung nicht unmöglich sein. Ich bin gebeten worden, diesen Wunsch heute im Reichstag wieder vorzubringeu, und erachte es als ein Gebot der Gerechtigkeit, einem solchen, von erhabener religiöser Ueberzengung getragenen Ersuchen zu willfahren. Als Katholik erblicke ich darill eil, Appelliren au religiöse Duldsamkeit und Nächstenliebe, an die Achtbarkeit der Religion Andersgläubiger. Gefühle, die auch eine Heeresverwaltung beseelen müssen. Wir beklagen es ja Alle, daß insbesondere bei den Juden der religiöse Sun, sehr sinkt (sehr richtig in der Mitte), und ich glaube, die Maßnahmen, die gegen die Juden insbesondere während ihrer Militärdienstzeit ergriffen werden, tragen dazu nicht wenig bei. Meine persönliche Auffassung ist die, daß, wenn überhaupt etwas Schimpfliches darin liegen könnte, Jude zu sein, der erst recht ein „Jude" ist. welcher seinen Glauben ableugnet und sich zu einer christlichen Religion bekehrt lediglich ans Opportunitätsrücksichten, aus niederer Berechnung, um Karriere zu machen, oder ans anderen ähnlich schätzbaren Gründen. Aber dies nur nebenbei. Ich schließe in der Zuversicht, daß von Seiten der Militärverwaltung endlich einmal den unstreitbar berechtigten Wünschen, die ich hier vorzutragen mich beehrt habe, ent- gegengekommen wird."
Die Antwort des Generalleutnants v. Biebahn auf diese treffliche Rede haben wir bereits in Nr. 9 mitgetheilt. Sie war in jeder Beziehung entgegenkommend. Die von dem Departementsdirektor im Kriegsministerium erwähnte Kabinets- ordre, daß die Vorbereitung zur Vereidigung der Rekruten in den Synagogen durch den Rabbiner stattzufindeu hat, ist allem Anscheine nach ganz neuen Datums, da ihrer weder irr den Bescheiden der Militärbehörden auf die Eingaben des elsässischen Petenten, noch in der vorjährigen Antwort des Kriegsministers an den Abgeordneten Dr. Lingens Erwähnung geschah. Auch hätte sonst gewiß eine militärische Stelle der „Straßburger Post" eine Berichtigung gesandt, und der General v. Viebahn den Abgeordneten Vonderscheer berichtigt. Daß die Vorbereitung auf die Vereidigung bisher bei weitem nicht überall in den Synagogen durch deu Rabbiner erfolgte, ist allgemein bekannt. Mall ersieht aber auch aus diesem Einzelsall, wie nothwendig eine Gesammtorganisation der deutschen Juden ist, die derartige Dinge leitet, so daß nicht mehr Einzelne genöthigt sind, sich ihrer anzunehmen und sie durchzuführen.
Berlin, 17. März.
der Antisemitismus eine Zukunft? Diese ebenso wichtige wie interessante Frage suchte — Herr Stöcker in der Tonhalle, der Stätte seiner ehemaligen Triumphe, am 8. d. M. zu beantworten. Nach einem Bericht im „Volk" sagte er auf die Frage, ob der Antisemitismus eine Zukunft habe:
Der deutsche Na sse u a n ti sem i t isrnns gewiß nicht. Widerspruch.) Ich habe ja schon bewiesen, daß er unhaltbar ist. Warum haßt er denn deu Japaner nicht? (Ruf: Weil er uns nicht gefährlich
werden kann.'). Der Rasfenantisemitismns. der die Juden nicht blvs bekämpft, sondern beleidigt, kann keine Zukunft haben, weil er geistig nicht berechtigt ist. Menschen soll man überhaupt nicht hassen, sondern Mächte. Ich habe nie die Inden persönlich gehässig bekämpft. — Auch der Antisemitismus, der das Alte Testament in den Kampf zieht, hat keine Aussicht, eben so wenig der Geschäftsanti- semitismus. Wenn man hört, daß Leute, die sogar als Antisemiten im Vordergrund stehen, heimlich auch für jüdische Blätter arbeiten, dann packt einen der Menschheit ganzer Jammer an! (Beifall.) — Die Möglichkeit eines erfolgreichen Kampfes besteht nur darin, den deutschgesinnten Männern und Frauen das Jndenthum als eine Gefahr für den deutschen Geist zu zeigen. Leider sind noch sehr viele national und christlich gesinnte Menschen voll dieser nationalen, religiösen und sittlichen Gefahr nicht überzeugt. Typisch für diese Gefahr ist der Fall Sternberg. Ich kann nur nicht vorstellen. daß ein Mann deutscher Abkunft und christlicher Religion so tief sinken könnte. (Herr Stöcker springt hier wieder einmal sehr leichtfertig mit der Wahrheit um. Ist ihm unbekannt, daß Hunderte und tausende Männer deutscher Abkunft und christlicher Religion wegen der scheußlichsten Sittlichkeitsverbrechen ins Zuchthaus gewandert sind? Eine solche Unwissenheit ist dem Hosprediger a. D. doch kaum zuzutranen.) Bei Sternberg kommt ja nicht in Betracht, daß er getauft war, denn ans Ueberzengung kann das nicht geschehen sein. Wenn der deutsche und christliche Geist genügend erstarkt, so sind damit die Gefahren des Judenthums schon verschwunden. Wenn kein Christ einen Fuß in ein jüdisches Kaufhaus setzt, einen jüdischen Mann wählt, ein jüdisches Blatt hält, dann verschwinden diese Dinge ganz von selbst. (Beifall.) Aber es giebt selbst liebe Christen, die täglich solches Gesudel lesen. Noch hat aber unser Volk einen gesunden Kern, wie ich auf meinen Reisen immer wieder sehe, und so wollen wir den Kampf für die höchsten Güter unseres Volkes ohne Gehässigkeit, ohne Gemeinheit weiterführen. Es ist kein Zweifel, daß dieser Antisemitismus eine große Zukunft hat. (Lebhafter Beifall.)
Also doch der Geschäftsantisemitismus! Nicht bei Juden kaufen, keine „Jndenblätter" lesen, das ist die ganze Aufgabe des Antisemitismus nach Herrn Stöcker. Fürwahr ein großes Ziel! Im Uebrigen erklärt auch der frühere Hofprediger, daß nach seiner Meinung die Aufhebung der Judenemanzipation heute nicht mehr durchführbar sei. Das Schönste bei der Sache ist, daß die Vertreter sämmtlicher von Stöcker abgelehnten Arten des Antisemitismus ihm ihre „volle Ueber- eittstilnmuug" zu seinen Ansichten aussprechen.
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Vor kurzem ging durch die Blätter die Notiz, daß der Stadtrabbiner von Mannheim Dr. Steckelmacher seine Mitwirkung bei der ersten Feuerbestattung im städtischen Krematorium abgelehnt habe. Wie nunmehr berichtet wird, hat der Großherzogliche Oberrath der Israeliten voll Baden den ihm unterstellten Rabbinern gestattet, künftig bei Feuerbestattungen in gleicher Weise wie bei Erdbestattungell ihres Amtes zu walten. Eine einheitliche Regelung dieser Materie wäre sehr erwünscht. Es wäre das eine dankbare Aufgabe für den liberalenRabbinerverband, von dessen Arbeiten wir bis jetzt noch wenig gehört haben.
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Einen Bischof über den Ritnalmord sich aussprechen zu hören, ist immer interessant und wichtig zugleich, zumal wenn ul dem Sprengel dieses Kirchenfürsten sich die Gemeinde — Polna befindet! Wie österreichische Blätter berichten, hat der Bischof von Königgrätz Dr. Brynych beim Schöffengerichte m Mainz gegen die verantwortlichen Redakteure der Frankfurter „Kleinen Presse" und der Wiesbadener- Zeitung „Der Freidenker" eine Nerleumdungsklage eingereicht, dle folgende, mit dem Hilsner-Prozesse zusammenhängende Vorgeschichte hat: In einigen deutschen Zeitungell, darunter