Verband der Israeliten Deutschlands.
Ausschußsitzung am März 1901, vormittags ^0 Uhr
in -er Geschäftsstelle -es Zentral-Vereins St. j. Gl.,
^ Uarlstraße 26, II.
^Mnwesend die Herren: Professor Dr. Philippson, Instizrath Bres- lauer. Rechtsailwalt Dr. Horwitz und Rechtsanwalt Dr. Fuchs als o Ausschußnlitglieder, Stadt- und Konferenz-Rabbiner Dr. Phil. Appel aus Karlsruhe für den Nabbinerverbaizd und die Vereinigung Badischer Israeliten, Instizrath G. Meyer für die Neligionsgemeinde Dresden. Justizrath Salz für den Verband der Synagogengemeinde im Reg.-Bez. Posen. Amtsgerichtsrath Glogauer-Tarnowitz sür den Verband der Oberschlesischen Synagogengemeinden, Realschullehrer Feiuer-Ham- bnrg sür den Verband der jüdischen Lehrervereine, Dr. M. Schäfer-Berlin sür den D. I. G. B., Stadtrath Magnus-Königsberg für den Verband der Ostpreußischen Synagogengemeinden, Philipp Schiff für den Vorstand der Synagogengemeinde Frankfurt a. M., Rechtsanwalt Dr. Lewin-Stettin für den Vorstand der Ponnnerschen Synagogengemeinden. Gustav Davidsohn-Danzig für den Verband der West- preußischen Synagogengemeinden, Landgerichtsrath Peltasohn-Brom- berg sür den Verband der Synagogengemeinden im Reg.-Bez. Brom, berg, Bankier Martin Simon für den Vorstand der Jüdischen Gemeinde Berlin, Landtagsabgeordneter Dr. Ed. Wolfs in Lissa.
Nachdem der Vorsitzende, Herr Rechtsanwalt Dr. Horwitz, die Anwesenden begrüßt und über die Beschlüsse der am 27. Dezember v. I. stattgehabten Versammlung referirt hatte, hielt Herr Professor Dr. Philippson eine Ansprache, in welcher er auf die Judendebatten im Abgeordnetenhanse, die jüngsten Ereignisse in Könitz, die Vorgänge im Flottenverein, auf die von zahlreichen jüdischen Gemeinden erlassenen Eingaben sowie auf mehrere Protest-Versammlungen hinwies, um ans der immer wachsenden Nothlage der deutschen Judenheit die Nothwendigkeit zu folgern, deren Gesammtvertretung durch den Zusammenschluß aller bedeutsamen jüdischen Organisationen zu schaffen; dieses Ziel müsse sich in Deutschland ebenso gut erreichen lassen wie in Ungarn, wo die Regierung im vorigen Jahre, selbst aus Grund allgemeiner Wahlen, einen jüdischen Kongreß zusammenberusen habe. Herr Dr. Horwitz verlas darauf mehrere Antworten auf die erlassenen Einladungen und erörterte dann, daß es sich jetzt um Schaffung einer offiziellen Stellung handle, da der Deutsch-Israelitische Gemeinde-Bund nicht in politischer Beziehung und nicht nach außen wirken könne und der Centralverein nur durch die große Menge der Mitglieder eine Autorität besitze, in der Hauptsache aber von dem guten Willen der Behörden abhängig sei, während es in wichtigen Fällen nothwendig erscheine, daß die Behörden es mit einer autoritativen und legitimirten jüdischen Organisation zu thun hätten. Es sei nicht wünschenswerth, daß eine solche jüdische Organisation voll der Negierung ins Leben gernfen werde; dieselbe müßte vielmehr geschaffen werden auf breiter demokratischer Grundlage nicht als Verein, nicht als Vereinigung vieler, sondern aller jüdischen Gemeinden. Die Idee des Judentags sei bis auf Weiteres abgethan und werde nur noch in Zionistenversammlungen vertreten. Dem Wunsche des Herrn Rechtsanwalt Bodenheimer-Cöln. zu der heutigen Versammlung Vertreter der Zionisten einzuladen, habe nicht entsprochen werden können, da die Einladungen auf Grund der Beschlüsse der am 27. Dezember stattgehabten Versammlung erfolgen mußten.
Im Namen des Pommerschen Synagogenverbandes erklärte sich Herr Rechtsanwalt Dr. Lewin-Stettin gegen die Schaffung einer ständigen Organisation, welche einen Staat im Staate bilden könnte und überflüssig sei. wenn der D. I. G. B. seine früheren Befugnisse Herstellen, beziehentlich seine jetzigen erweitern wurde.
Dem Wunsche des Herrn Dr. Fuchs, die Diskussion aus die Be- rathung des vorliegenden Statuts zu beschränken, erklärte der Vorsitzende nicht entsprechen zu können; die Beschlüsse der vorigen Versammlung könnten angesichts der veränderten Lhatsachen eine solche Beschränkung nicht rechtfertigen.
Herr Justizrath Salz-Posen schloß sich dieser Ansicht an, indem er darauf hinwies, daß zur Schaffung einer neuen Organisation die Uebereinstimmung der "meisten deutschen Gemeinden nöthig sei. Eine Zusammenfassung einzelner Theile der Judenheit schaffe keine Gesannntorganisation und könne nichts Besseres leisten, als was jetzt
schon durch den Centralverein und den Deutsch-Israelitischen Gemeindebund geleistet worden. Es sei ein Sprung ins Dunkle, und er halte es für empfehlenswerter, wenn der Centralverein sich durch Zuziehung der Gemeinden weiter ausbaue.
Herr Konserenzrabbiner Dr. App el-Karlsrnh e versicherte, der Idee der Neuorganisation sympathisch gegenüberznstehen und Zn bedauern, daß preußische Herren sich gegen dieselbe ablehnend Verhalten. Die Süddeutschen, insbesondere die Badenser, hätten am wenigsten Grund, die gegenwärtigen Verhältnisse zu beklagen; sie wünschen die Organisation aller deutschen Juden nur im gemeinsamen Interesse und deshalb, weil die Vorstände der bestehenden großen jüdischen Organisationen selbst erklären, daß sie den Allsbau derselben in Politischer Hinsicht für schwierig, beziehentlich sür unmöglich halten. Er selbst erkläre sich sowohl im Namen der Vereinigung badischer Israeliten als auch des Nabbinerverbandes sür die Vorlage.
Herr Professor Dr. Philippson führte hierauf aus, daß die früheren Satzungen des D. I. G. B. sür die Beurtheilung der Frage nicht mehr maßgebend seien, da derselbe seitdem das Recht der juristischen Person erlangt, ein Vermögen voll einer halben Million zu verwalteil habe und 8 2 der neueren Statuten die Diskussion politischer Fragen allsschließe. Eine Aenvkrung des Statuts würde die Genehmigung der Negierung kaum erlangen, jedenfalls aber die Existenz des Gemeindebnndes und dessen segensreiche ThätigkeiL auf anderen Gebieten gefährden. So müsse man zu anderweiter Organisation schreiten. Die Anwesenden möchten der Vorlage kein kaltes Nein entgegenstellen, sondern einen Weg bahnen helfen, der gangbar sei.
Herr Rechtsanwalt Dr. Fuchs bemühte sich insbesondere die Bedenken der Herren Rechtsallwalt Dr. Lelvin-Stettin lind Instizrath Salz-Posen zu widerlegen, indem er darauf hillwies, daß es sich nicht um Veranstaltungen von Volksversammlungen, nicht um eine neue vierte Vereinsgrundnug, sondern um Einsetzung eines Allsschusses handle, der als eine stille Behörde daran arbeite, ein Bindeglied zu den großen jüdischen Organisationen zu schaffen und eine Solidarität der arbeitenden Beamten zu ermöglichen. Die berufenen Vertreter des Centralvereins, des Deutsch-Israelitischen Gemeindebnndes, des Nabbinerverbandes, des Verbandes der jüdischen Lehreroereine sind davon überzeugt, daß ein solches Bindeglied mindestens sür Preußen nöthig ist. Diese Zusammenfassung möge inan nicht hintertreiben.
Herr Gustav Davids oh n-Danzig erklärte sich im Namen des Westpreußischen Verbandes gegen die Vorlage, in welcher derselbe nur die Begründung eines vierten Verbandes erblickt. Kann sich der D. I. G. B. nicht weiter ausgestellten, so sei dies dem Centralverein gewiß möglich. Die Vereinigung und die Vertretung aller deutschen Gemeinden werde immer ein frommer Wunsch bleiben, denn es sei unmöglich, alle Juden unter einen Hut zu bringen. Wolle man dies, dann darf man auch die Zivilisten nicht ausschließen. Er aber betrachte ein Zusammenarbeiten mit ihnen nicht als räthlich und kaum als möglich.
Herr Landgerichtsrath P e l t a soh n--Br 0 m b erg bezeichnete die Einigung der in den großen jüdischen Organisationen enthaltenen heterogenen Elemente als nicht durchführbar. Der D.J. G. B. möge die Vertretung der Juden nach innen, der Centralverein dieselben nach außen behalten. Der von dem Redner vertretene Bromberger Verband habe sür eine neue Organisation keine Sympathie und würde selbst wenn er sich anders verhielte, kaum die Zustimmung der einzelnen Gemeinden erhalten. Die geplante Organisation würde seiner Meinung nach nur den Antisemiten die gewünschte Gelegenheit bieten, das deutsche Judenthnm der Absicht zu zeihen, einen Staat im Staate zu bilden.
Herr Realschullehrer Feiner-Ham bürg führte ans, daß der Verband der jüdischen Lehrervereine der geplanten Organisation volle Sympathie entgegenbringe, und jedenfalls sei der Versuch zu machen alle jüdischen Gemeinden für eine Vereinigung aller Organisationen zu gewinnen.
Herr Martin Simon sprach sich im Namen und Allstrage der Jüdischen Gemeinde Berlin ebenfalls ans das Energischste für die Zusammenfassung der jüdischen Organisationen aus und bedauerte, daß der Plan auf Widerspruch stoße. Der Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Berlin stehe im Allgemeinen dem Plan sympathisch gegenüber und halte nur die direkte Beteiligung der Gemeindevorstände für unthunlich, weil diese sich nicht mit Politik beschäftigen