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Jemand und warum er es gethan hat; unsere übersättigten Mitläufer, die man beileibe nicht die Epigonen eines Nietzsche nennen darf, müssen anch die intellektuelle Beanlagung jedes Politikers, jedes Frondeurs, ja jedes Mörders kennen lernen. Hetzsche auf der eineil Seite und Lombroso auf der anderen naben Schule gemacht, allerdings nicht in dem Sinne, in dem ne es beide gewünscht und gelehrt haben resp. noch lehren, denn unsere Zeitgenossen neigen dazu, nicht nur !a böte buiuaine" mit der Gloireder nothwendigen eanlagnng zum Verbrechen" zu umgeben, sondern Pu förmliches System hierfür zusammenzuklauben. ils Sadi Carnot durch Mörderhand fiel, erging man sich

> ngeblich sine ira et stuclio in endlosen Betrachtungen über ras gesammte Milieu, in dem sein Mörder ausgewachsen war. Zeinahe jeder Schulfreund des elenden Mörders wurde uns ui seinem Seelenzustand aualysirt. Der Mörder selbst ver- ! hwand förmlich hinter seiner Umgebung, noch ein Schritt i eiter, und man hätte dazu kommen müssen, ihn alsProdukt

iner Zeit" ergebungsvoll hinzunehmen. Als dasselbe mtsetzliche Loos Oesterreichs unvergeßlicher Kaiserin beschieden i ar, wiederholte sich das Spiel in geradezu empörender Zeise. Ich erinnere mich an langathmige Auseinandersetzungen der den Einfluß der verschiedenen-Religionsbekennt­

nisse auf die Prädestinirung zum Anarchisten. Mit heiligem "mgenverdrehen und öfter sogar unter Betonung der schließlich doch von jeglicher Religion geförderten Nächstenliebe, suchte der der Nufer im Streite in der Konfession des Anderen

> ach ethischen Mankos, und natürlich wurden dieseKultur- iebatteu" als Ausfluß höchster wissenschaftlicher Vertiefung näsentirt. Der entmenschte Mörder sollte durchaus einer menschlichen Gemeinschaft angehäugt werden.

Aerger noch, viel ärger wird dem schauderhaften Verbrechen unserer Tage, dem Morde an Mac Kinleh, nachgegangen. Es nar kaum bekannt, daß Mac Kinleh von der Hand eines olnischen Anarchisten gefallen wäre, der Präsident kämpfte - och mit dem Tode da begann das widerwärtige Analysiren ?s politischen, nationalen und religiösen Empfindens, da er­sten wir eine neue Auflage der Verbrecherpsychologie, die >ir in vorstehenden Sätzen in Kürze kennen gelernt haben. Nie ktboäus bie salta. War der Mörder nicht ein Pole? olglich mußte nach dem Urtheil der kurzsichtigen Polnischen eitungsschreiber jegliche nationale Zugehörigkeit, jede Ge- einsamkeit mit dem Mörder abgestritten werden.

Und es kam, wie einst im alten Polen. Wenn dort Streit­igen nicht anders geschlichtet werden konnten, dann griff man i dem Stein und warf ihn, nicht etwa auf den direkten Gegner, >man machte den Juden verantwortlich. Mit einem Male imnrde von der kleinen Presse entdeckt, daß der Mörder jüdisch- entscher (sonst sagt man Polnisch-jüdischer) Anarchist wäre, daß iso die Polen gar nichts, die Juden aber viel mehr mit dem Mörder zu schaffen hätten. Und nicht schnell genug wußten ieselben Leute zu berichten, daß Amerika den qu. Einwanderern erschlossen bleiben sollte. Wäre der schöne Wahn von dem imdisch-deutschen Mörder nicht schnell zerstört worden wran die deutsche Presse lebhaften Antheil nahm wir hätten ine Analyse des jüdisch-deutschen Verbrecherthums erlebt, die ' ch von der Theorie der Anarchisten nicht um Haaresbreite unterschieden hätte. Immerhin aber hat die Fabel doch schon weite Kreise ergriffen, und sie wird in der mit Intelligenz nicht sonderlich begabten niederen Bevölkerung fortleben.

O, über die Kurzsichtigkeit, die da eine Abwehr eintreten ließ, wo nicht der mindeste Anlaß dazu vorliegt. Der Präsi­dentenmörder ist ein Pole. Nein, schreit die fragliche polnische Presse, nein, der Mörder ist kein Pole, er darf kein Pole sein. Er kann aber kein Deutscher sein, folglich ist er Jude. Und die Polen, die sonst in dem Geueralistren einer schlechten mensch­lichen Individualität auf eine Gesammtheit Meister sind, die psychologisch z. B. jüdisches Denken u. s. w. charakterisiren, be­weisen aus der Ethik ihrer Religion, ihrer Nationalität, daß ein Pole am wenigste» prädestinirt ist, Anarchist zu werden. Sie ziehen alle Register menschlichen Ueberschwanges, und in­dem sie sich selbst psychologisch förmlich durchleuchten, setzen sie Andere herab. Sie haben immer den Schwächeren getreten, sie reden vom Juden.

Gewiß, es hat an hämischen Bemerkungen gegen die Polen nicht gefehlt, aber die gingen nie von jüdischer Seite aus. Der Hauch der Uebersättigung, der die kleinen Politiker auszeichnet, hat sie gezeitigt. Der psychologische Sport kam hinzu, indessen ist trotzdem für jeden mit gesunden Sinnen begabten Menschen das Eine klar, daß die Verbrecher-Individualität nichts, rein gar nichts mit religiöser, nationaler oder irgend einer Gesammtheit gemein hat.

Wozu nur dieses Ablenkeu, wozu nur das Hineinzerren neuer Momente in eine klare Sache! Sollen wir Inden Lehren daraus ziehen? Das ist nicht uvthig, wirklich nicht nöthig. Nur das Eine wissen wir, daß wäre der Präsidentenmörder Jude dieselben Polen, die jetzt Zeter und Mordio schreien, mit der Verallgemeinerung bei der Hand gewesen wären.

Ich wiederhole, es ist nicht die polnische Intelligenz, von der die Rede ist, es sind die viel mächtigeren kleineren Politiker. Inzwischen aber wird mit der Psychologie der Präsidenten Mörder fortgefahren. L. IM.

Ficht- und Schattenseiten.

dem Jahresberichte des Gymnasiums einer Großstadt, die sich zu den größeren jüdischen Gemeinden zählen darf, fand ich unter den Nebenfächern auch den jüdischen Religionsunterricht aufgefnhrt. Es heißt dort:Der jüdische Religionsunterricht ist fakultativ. Es nahmen an demselben 30 Schüler Theil, die von drei Lehrern unterrichtet wurden." In der Annahme, daß doch hier sicherlich ein Jrrthum vor­liegen müsse, zog ich Erkundigungen ein. Mir wird nun mit- getheilt, leider liege der Religionsunterricht dort sehr im Argen, jeder Schüler habe das Recht, sich dispeusiren zu lassen, und eine gemeinsame Schüler- und Lehrerberathung bestimme die geeigneten Stunden, anch sei es thatsächlich wahr, daß 30 ganze jüdische Schüler von nur drei Lehrern Unterricht erhalten. In einigen Artikeln derZeitung des Judenthnms" wird die definitive Anstellung der Rabbiner seitens des Staates gefordert, um ihnen eine unabhängige Stellung zu verschaffen. Der Ver­fasser des Leitartikels in Nr. 36 derZeitung des Judenthums" muß denn doch die jüdischen Gemeinden schlecht kennen, in denen die Rabbiner lebenslänglich augestellt sind und häufig ein sehr gutes Einkommen haben. Der Herr Verfasser würde auch wohl kaum glauben, daß der famose Drei-Lehrer-Unter- richt in einer Gemeinde ertheilt wird, wo der Rabbiner gleich einem Püpstlein thronet, allerdings anch meist nur dort seine Allgewalt zeigt, wo der jüdische Religionslehrer sie nicht zeigen