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An diesen Ausführungen, die im ganzen als richtig an- zuerkennen sind, ist zweierlei bemerkenswert: zunächst, daß hier­in einer amtlichen Veröffentlichung wiederholt von der jüdischen Rasse die Rede ist, während das Judentum sonst offiziell in der Regel nur als besonderes Religionsbekenntnis charakterisiert wird. Dagegen verdient es hervorgehoben zu werden, das; der Verfasser der amtlichen Veröffentlichung die Tatsache, daß beit Inden der Eintritt in einige Berufe, so z. B. in den Offizier­stand, erschwert ist, auf ein herrschendes Vorurteil zurückführt, das er augenscheinlich mißbilligt!

Unverkennbar zeigt der Prozentsatz der jüdischen Studierenden die Tendenz, sich allmählich zu vermindern: Der Anteil der reichs­inländischen Juden betrug im Durchschnitt der Studienjahre von 1886/87 bis 1891 11,95 v. H., in dem Studienjahr 1899/1900 aber nur noch 9,52 v. H. Diese Erscheinung hängt ebenso wie die analoge Er­scheinung bei den Schülern der höheren Lehranstalten mit dem relativen Rückgang der jüdischen Bevölkerung zusammen, der sowohl in Preußen wie i'lberhaupt im Deutschen Reiche wahrzunehmen ist. Im Jahre 1880 hatte Deutschland eine Bevölkerung von 45,2 Millionen, unter denen 562 000 Juden waren, die 12,4 vom Tausend der Ge- samtbevölkerung ausmachten. Im Jahre 1900 hatte das Deutsche Reich 56,5 Millionen Einwohner, darunter 587 000 Juden, oder 10,4 vom Tausend. In Preußen waren die Juden 1880 mit 13,3, 1900 nur noch mit 11,4 vom Tausend an der Gesamtbevölkerung be­teiligt? lieber die Gründe dieses Prozesses gibt die Statistik vollen Ausschluß. Wenn auch die jüdischen Mischehen und die Judentaufen eine abbröckelnde Wirkung ausüben, wenn ferner auch infolge der Auswanderung eine nicht geringe Zahl von Juden Deutschland ver­lassen hat ihre Zahl wird für die Zeit von 1880 bis 1890 auf 20 000 geschätzt, so ist der Grund für die langsamere Vermehrung der jüdischen Bevölkerung doch hauptsächlich inj der Abnahme des Geburtenüberschusses zu finden. Uebrigens bleibt in Preußen schon seit 50 Jahren die Geburtenziffer der Juden hinter der der christlichen Bevölkerung zurück. Von 1820 bis 1866 kamen auf 1000 Juden jährlich 37,2 Geburten, 1878 bis 1882 nur noch 30,32 und 1893 bis 1897 sogar nur noch 22,25, während die Ziffer bei der christlichen Be­völkerung 38,15 betrug. Wie stark der jüdische Geburtenüberschuß sich in den letzten 20 Jahren vermindert hat. zeigen folgende Zahlen:

1880 1900

Es wurden geboren ... 11 175 7668

Es starben. 6 295 5868

Geburtenüberschuß 4 880 1800

Die natürliche Vermehrung ist also in 20 Jahren fast auf ein Drittel herabgegangen trotz der verminderten Sterblichkeit. Jedoch kann mall bis jetzt nur von einer relativen Abnahnre der Juden in Deutschland sprechen, nicht von einer absoluten. Wenn die jetzt ein­flußreichen Momente aber fortwirken, wie angenommen werden darf, so muß in absehbarer Zeit auch die absolute Zahl der Juden sich bei uns vermindern.

Unter diesen Umständen ist zu vermuten, daß der Anteil der Juden am Universitätsstudium in den nächsten Jahren einen weiterell Rückgang erfahren wird.

Unsere Gegner dürfen sich freuen; sie haben mehr erreicht, als sie in ihren kühnsten Träumen zu hoffen wagten.

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Die Vereinigung von Handelskammern des niederrheinisch­westfälischen Jndustriebezirks, bestehend aus den Handels­kammern zu Bochum, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Mülheim a. d. R., Osnabrück und Ruhrort, hat sich an den Reichskanzler mit einer Eingabe gewandt, in der empfohlen wird, die wechselseitige Behandlung der Geschäftsreisenden bei dem Abschluß neuer Handelsverträge zu regeln.

Die größten Erschwerungell bereitet dem Eintritt und dem Verkehr ausländischer Geschäftsreisenden das liebe Rußland. Dort muß jetzt jeder Reisende eine Grundgewerbesteuer voll 150 Rubel und außerdem noch eine Ergänzungssteuer, den Kommisschein und Komrnunalsteuern zahlen, so daß sich der

Betrag für die Zulassuilg zur geschäftlichen Tätigkeit bis auf 300 Rubel, in einzelnen Füllen noch darüber hinails steigert. Für jüdische Geschäftsreisende ist die alte Grundgewerbesteller von 500 Rubel beibehälten lvorden, so daß sich für sie eine Gesamtsteuer ergibt, die sich auf mehr als 700 Rubel beläuft, sogar bis auf 874 Rllbel steigen kann.

Die Schwierigkeiten, die sich einer günstigeren Behandlung ausländischer Geschäftsreisender in den Ländern, welche deren Tätigkeit besteuern, entgegenstellen, beruhen vor allem darin, daß diese Lällder selbst nur wenig Reisende aussendell und deshalb kein Interesse an wechselseitiger gleichmäßiger Be­handlung haben. Das gilt besonders von Rußland. Deshalb lvürde auch Preußell, wenn es von: Gesetze von dem Jahre 1876, das ihm Gegenuiaßregeln gestattet, Gebrauch machen wollte, einen Erfolg nicht erzielen.

Wohill aber diese Verhältnisse führell, zeigt folgende Mit­teilung der Zentralstelle für Vorbereitnng von Handelsver­trägen :

Wie dringend notwendig es ist, im neuen Vertrage mit Rußland die Frage der Besteuerung der Geschäftsreisenden ausführlich zu behandeln, zeigt der Umstand, daß über das, was augenblicklich zu Rechte besteht, noch immer Zweifel vorhanden ist. Bezüglich der Be­steuerung von Handlnngsreisenden jüdischer Konfession hat der Sektionschef der vierten Sektion der Handelsabteilung des russischen Finanzministeriums dem österreichisch-ungarischen Konsulat in Peters­burg schriftlich bestätigt, daß dieselben, gleichviel ob sie jüdische oder christliche Geschäftshäuser des Auslandes vertreten, in allen Fällen einen Firmenhandelsscheiu für 500 Rubel zu lösen haben, da dies durch das Gesetz genau bestimmt sei. Die Konfession des Handlungs­reisenden, nicht des Firmeninhabers soll also entscheidend sein, damit stimmt aber ein weiterer Bescheid derselben amtlichen Stelle nicht überein. Der Sektionsches erklärte mündlich, daß hinsichtlich der Frage, ob ein christlich er Reisend er, welcher ein jüdisches Haus vertritt. 500 oder nur 150 Rubel für den Firmenhandelsschein 31t zahlen habe, keine präzise»! gesetzlichen Bestimmungen beständen. In der Praxis »verde jedoch seitens der in Frage kommenden Behörden von Reisenden christlicher Konfession, welche Firmen mit ausgesprochen jüdische»« Namen vertreten, immer die Zahlung von 500 Rubel gefordert, weil eben der Handelsschein für die Firma gelöst werde. Erkläre sich der Handlungsreisende mit dieser Forderung nicht einverstanden, so habe er den Beweis zu erbringen, daß die von ihm vertretene Firma beziehungslveise sein Prinzipal christlicher Konfession sei. Hier wird also nach dem entgegengesetzten Prinzip verfahren, nicht die Konfession des Handlungsreisenden, sondern die des Firmeninhabers soll ent­scheidend sein.

Mit der Eingabe der niederrheinisch-westfälischen Handels- kanimern kann sich daher jeder, der die möglichste Hinweg­räumung der den internationalen Verkehr hemmenden Schranken will, nur einverstanden erklären.

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In mehreren französischen Blättern, die sich früher bloß mit antissmitischen Hetzereien beschäftigten, macht sich seit einiger Zeit auch eine Protestantenhetze bemerktich. Neuestens hat sich auch derFigaro" diesem Treiben angeschloffeu -und die französischen Protestantenals die eigentlichen Urheber und Träger des Kampfes gegen die katholische Kirche" bezeichnet. Nun erhebt sich derTemps" gegen diese Anklage in einem Das Erwachen der Freiheit" überschriebenen Artikel und schreibt:Alle stiuunen darin überein, daß der französische Protestantismus an keine Revanche oder an Repressalien denkt, daß er die Partei der freien Prüfung, der Duldsanikeit und der Freiheit ist und bleibt; daß er die Plackereien, denen die Katholiken ausgesetzt si»id, nicht »ninder tadelt als die, deren Opfer er einst war; daß er die notwendige Herstellung des religiösen Friedens zuversichtlich erhofft und darauf hinwirken will." Genau dasselbe können auch die Juden von sich