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Falle hatte der Minister wieder die Bedürsnißfrage vorgekehrt und diese verneinend die Bestätigung ver­sagt. Ueber die weiteren Schritte des Dr. Jolowicz in dieser Angelegenheit behalte ich mir vor zur Zeit zu berichten.

Ocsterreichischer Kaiserstaat.

Wien, 29. October. (Privatmitth.) Der vr. Wolf hat für seine Schrift zu Mannheimer's lüstern Geburtstage ein sehr anerkennendes Schreiben vom Staatsminister von Schmerling erhalten.

Es sind jetzt einige Jahre her, daß auch in diesen Blattern von dem denunciatorischen Treiben des hie­sigen Geldwechslers Ignaz Deutsch zur Zeit, als er unter dem früheren Regime dazu Spielraum fand, die Rede war. Damals durfte man über die Schmach, die dieser Mann der orthodoxen Partei, zu deren Füh­rer er sich aufgeworfen, anthat, nicht mit der offenen Sprache heraus, war auch nicht im Besitze der dahin einschlägigen Correspondenz. Jetzt kommt das Getreibe dieses Mannes immer mehr zu Tage. So veröffent­lichte man in diesen Tagen folgenden Artikel:

Folgendes Schreiben vom 18. October 1858, ge­richtet an den ehemaligen Cultusminister, dürfte mit Rücksicht auf eine bekannte Polemik nicht ohne Jnter- effe sein:

Eure Excellenz! Seit Monaten beschäftigt sich die auswärtige Presse mit der bekannten Sache der israel. Familie Mortara in Bologna in einer Weise, welche in allen kirchenfeindlichen Kreisen die heftigsten Aus­lassungen hervorgerufen hat.

Da nun aus diesem Anlasse die jüdischen Neolo­gen allerwärts eifrig bemüht waren, die altgläubigen Juden, namentlich die Rabbiner derselben, zu einem gemeinsamen Vorgehen zu vermögen, was durch alar- mirende Artikel in der Philipp son'schen Zeitschrift un­terstützt wurde;

da ferner von derselben Seite durch ihre Gesin­nungsgenoffen in Oesterreich alles ausgeboten wird, um die Taufe des zwölfjährigen israelitischen Knaben, welche am letzten Ostersonntage wider den Willen seiner El­tern in Wien vollzogen wurde (von welcher ich seiner­zeit Eurer Excellenz genau zu berichten die Ehre hatte und die man bisher der öffentlichen Besprechung sorg­

fältig entzogen hat)*), vor das Forum derOeffentlich- lichkeit zu bringen, um diese Angelegenheit mit dem Geschehenen in Bologna zu identificiren und mit zu verwickeln: so glaubte ich es nicht versäumen zu dürfen, Eurer Excellenz von allem, was mir über diese ganze Ansicht bekannt geworden ist, und namentlich wie sich die altgläubigen Rabbiner in Oesterreich bei dieser Ge­legenheit benommen haben, durch beigefügte Copie ehr- erbietigst Bericht zu erstatten.

Mit der innigsten Verehrung und mit der tief­sten Ergebenheit Eurer Excellenz treu gehorsamster I g. Deutsch."

Dieses Schreiben, welches vom religiösen Stand­punkte sowohl für die Orthodoxen als für die Anhän­ger des heutigen Judenthums einen wahren Verrath enthält, kann fteilich denjenigen nicht auffallen, welche die Schrift:Judentaufen in Oesterreich von G. Wolf" Seite 164 gelesen haben, wo ein Schreiben deffelben Geldwechslers andie altgläubigen Rabbiner" abge­druckt ist, in welchem er alle Rabbinen auffordert, auch nicht den geringsten Schritt zu Gunsten des Mortara zu thun, weil sie sich dadurch mit denNeologen" ver­brüdern würden und die österreichische Regierung solche Schritte nicht gern sähe. Die politischen Verdächti­gungen spielen darin eine Hauptrolle. Nun hätte eS bei den orthodoxen Rabbinern einer solchen Aufforderung zur Unthätigkeit gar nicht bedurft, und der genannte Geldwechsler kann diese nicht einmal als Wirkung sei­nes Circulärschreibens ansehen. Aber es charakterisirt doch das Gebühren dieses Mannes und seines ganzen Gelichters, denen bei ihren Bestrebungen nichts ferner liegt als das Heil der Religion und der Glaubensge- nossenschast. Nur das Eine ist uns ftaglich, ob man dem Manne nicht zu viel Ehre erweist, wenn man noch jetzt auf seine Scripturen zurückkommt.

Rußland.

Schauleu, Ende September. (Privatmitth.) Wäh­rend der vergangenen Feier-, bei uns zugleich Ferien­tage machte ich einen kleinen Ausflug nach den nahe­liegenden Gouvernementsstädten. Das Hinein- und Hinauskommen ist in Wilna jetzt infolge des Belage­rungszustandes mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Unter anderm darf in der Nacht sich nach dem Zapfen-

*) Wir erinnern uns auch nicht, daß davon damals etwas in die Oesfentlichkett gekommen. Die Red.