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Jeuilleton.
Die Unruhen in Alexandrien. |
Das Journal „l’Egypte“ in Alexandrien vom 23. bis 26. ! März giebt folgenden Bericht:
Nicht weit von der Zapthie, in einer Parallelstraße von der Frankenstraße, wohnte eine griechische Familie, die aus der Insel Kreta stammte. Dieses Viertel wird hauptsächlich von Israeliten bewohnt. In demselben Hause und auf demselben ! Flur wohnte eine jüdische Familie, Bater. Mutter und zwei Kinder von 10 und 11 Jahren. Tie griechische Familie bestand aus Costi Argoustaki und seiner Frau, die aus erster Ehe ein Kind hatte, den jungen Evangeli Fournaraki, jetzt Jahr alt. Die beiden Familien wurden bald befreundet. Ihre Kinder wurden Kameraden und theilten oft dieselbe Mahlzeit mit einander. Bor einiger Zeit .mußte die griechische Familie die Wohnung wechseln, wodurch ihre Beziehungen zu einander abgebrochen wurden, nur die Kinder suchten sich noch gegenseitig auf. Am letzten Freitag ging der junge Evangeli um 4 Uhr unter dem Borwande von Hause fort, in die Kirche gehen zu wollen — was vielleicht wahr war — und um 6 Uhr begab er sich zu seinen Freunden, mit denen er bis zum Augenblick des Diners spielte. Da es schon dunkel ward, befahl der Bater des Freundes vom jungen Evangeli seinem ältesten Sohne, ihn bis zum Ausgang des Viertels zu begleiten und gab ihm ein Ende Licht, um ihm unterwegs zu leuchten. Einige Augenblicke darauf kam das Kind zurück und sagte, der junge Evangeli setze seinen Weg fort, um nach Hause zu gehen. Seitdem hat man ihn nicht wieder gesehen. Samstag und Sonntag vergingen in fruchtlosen Nachforschungen. Die Polizei wurde von diesem Verschwinden benachrichtigt, aber ihre Bemühungen führten zu keiner Entdeckung. Einige Fanatiker sprachen den Gedanken aus, daß das Kind einem gewaltsamen Tode unterlegen sei, daß sein Leichnam versteckt gehalten werde und daß die jüdische Familie allein an diesem Frevel schuld sei. Die Bewegung griff schnell um sich. Man erklärte das Ereigniß auf tausend verschiedene Arten und kam zuletzt zu der Annahme, daß das. Christenblut zu irgend einem schrecklichen Feste dienen sollte. Der Aberglaube erhielt die Oberhand, der Fanatismus half dabei, zwei- bis dreihundert Personen begaben sich gestern gegen 11 Uhr auf das griechische Consulat, um die Bcstrafuug der Schuldigen zu fordern. Herr Ranghabe that alles Mögliche, um die Geister zu beruhigen, die sich durch kein Argument überzeugen laffen wollten. Herr Ranghabe mußte auf die Zapthie gehen, wohin die Menge ihm voraufgegangen war. Er blieb dort anderthalb Stunden mit dem Gouverneur, um die Klagenden anzuhören, um das Verhör der Mitglieder der jüdischen Fa
milie vorzunehmen, welche die Polizei hatte arretiren müssen, um sie vor der Wuth der Menge zu schützen. Aber nichts ging aus diesen Nachforschungen hervor und kein stichhaltiger Beweis führte die Polizei auf die Spur des unglücklichen Kindes. Die Aufregung der 3- oder 400 aufgewiegelten Menschen war ziemlich bedeutend. Die Polizeiposten wurden verdoppelt, das Viertel bewacht und man nahm von Neuem Nachforschungen vor. Das griechische Consulat telegraphirte nach Athen, um zu erfahren, ob Evangeli Fournaraki sich nicht am Bord des Dampfers de la Khedivieh befände, der letzten Samstag abgefahren, denn es wurde auch von einer Entführung gesprochen. Instructionen wurden überallhin ge- ! sandt, nach Cairo wie nach Port-Said, damit die Polizei ! dem Kinde nachspüre. Angesichts einer Volksbewegung, die im Falle eines schlimmen Ausganges eine größere Ausdehnung annehmen konnte, forderten die Consulen, welche sich fast alle auf die Zapthie begeben hatten, um Kenntniß von der Angelegenheit zu nehmen, den Gouverneur auf, Truppen aus Cairo kommen zu laffen. um die Ordnung aufrecht zu erhalten. So weit war mau mit den Vorsichtsmaßregeln für die öffentliche Ruhe, welche durch Menschen bedroht wurde, deren Intoleranz in Glaubenssachen ihre ganze Religion ausmacht, als am folgenden Morgen um 7 Uhr ein Italiener, ein Seemann, im Dienste des Kapitains Sal- vatore Pisano, im Caracole der Marine erschien, um zu erklären, daß er, während er das Canot seines Schiffes reinigte, zwischen dem Schiffe und dem Molo den Leichnam eines Kindes schwimmen gesehen. Sofort unternahm der Chef der Marinesection, Ali Zulficar Effendi. eine 4lach suchung und zog dicht bei dem Molo den Leichnam heraus, den er auf das Caracole bringen ließ, wohin sich sofort der davon benachrichtigte Gouverneur begab. Der Leichnam des Kindes trug keinerlei Spur einer Gewaltthat; es ist augenscheinlich ertrunken, als es an den Quais vorbeikam, um seine Wohnung zu erreichen. Am folgenden Tage war die Bewegung groß und gestern noch lebhafter. Jeden Augen- blick bildeten sich Versammlungen. Beim geringsten Lärm wuchsen die Gruppen sofort an. Man erzählte sich, der Leichnam des Kindes sei anfgefunden, verstümmelt sagten die Einen, blutleer versicherten die Anderen. Leute aus den befferen Kreisen bezweifeln noch jetzt, daß der Tod durch einen unglücklichen Zufall herbcigesübrt sei.
Die Autopsie des jungen Evangeli fand unter der Leitung des Arztes des griechischen Hospitals und in Gegenwart von fünfzehn anderen Aerzten versänedcner Nationalität statt, und ihr Bericht vom 24. März erklärt einstimmig !den Tod durch Ertrinken. Am 25. Morgens 10 Uhr fand im Gouvernementsgebäude eine Versammlung sämmtlicher
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