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„Die # Welt?*
Nr. 14
Juden und ihren Feinden wissen darf. Ein Abwehrverein ist solchen Politikern schon eine bedeutende Leistung — natürlich müssen an der Spitze eines solchen Vereines ein paar bekannte christlich-arische Männer stehen. Nur nichts Jüdisches, das schreckt ab, so lautet der ewige Befrain dieser Uebervorsichtigen.
Hat diese Politik der Leisetreterei, dieses fortwährende Betteln um, fremde Hilfe, diese ängstliche Scheu vor jeder jüdischen Organisation etwas genützt? Die Ereignisse sprechen gewiss nicht dafür. Seit jener Zeit sind traurige Geschehnisse in Fülle zu verzeichnen. Das Ritualmord- märchen wird weiter kolportiert. Die Dummen glauben nach wie vor daran, die Gescheiten zucken die Achseln und schweigen. Und erheben sich einmal Proteste, so sind sie einfach beschämend. Beschämend nicht für uns Juden, sondern für die Völker, unter denen sich kaum einzelne finden, die den Mut; haben, diese Niedertracht zu verdammen, die jährlich hunderte jüdischer Existenzen ruiniert, und unbescholtene, wackere Männer in Todesgefahr oder mindestens vor ein hochnotpeinliches Gericht bringt. Nein! Die paar mutigen Männer können uns nicht helfen. Und auf die Heroen zu warten, die wie Zola der verkommenen Gesellschaft ihr donnerndes „J'aecuse" zurufen, das darf man dem jüdischen Volke heute nicht mehr zumuten. Wir wollen uns auch selber verteidigen. Wir wollen es laut, öffentlich und als Gesamtheit tun; denn wir haben wahrhaftig niemanden zu scheuen.
Die Lage unseres Volkes ist sehr ernst. Das Elend in Russland, Rumänien und Galizien, die Einwanderungsverbote kontinentaler und überseeischer Staaten, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Boykottierung selbst in sogenannten konstitutionellen Ländern, das ist der Hintergrund, der zu dem immer wieder auftauchenden Blutmärchen gehört, ohne den es gar nicht denkbar ist. Und dagegen gibt es nur ein Mittel, das mindestens eine gewisse Aussicht auf Erfolg gewährt — die Selbsthilfe, die Organisation des jüdischen Volkes.
Freilich, Voraussetzung dieser Selbsthilfe ist der Glauben an die Lebenskraft unseres Volkes. So lange wir nicht durchdrungen sind von diesem Glauben, so lange uns das Be- wusstsem unserer Kraft, der Wille, sie zu stärken, fehlen, so lange ist an eine Volksorganisation nicht zu denken. Gerade unser Passahfest aber sollte selbst die Zaghaftesten ermutigen. Ein Volk, das jahrtausendelang seine Befreiung aus der Knechtschaft als heiliges Fest begeht, ein Volk, das in seiner tiefsten Erniedrigung die Hoffnung auf endliche nochmalige Befreiung nicht verloren hat, ein Volk, das von dem „Brot des Elends" isst und dabei an das Wunder seiner Erlösung denkt, ein solches Volk muss das Schwerste überdauern und darf eine schönere Zukunft erhoffen.
Drum soll uns unserer Feinde Drohen nicht erschrecken. Mögen sie Blutmärchen erfinden, mögen sie Böses sinnen und auszuführen suchen, wir glauben an uns selbst und an unsere Befreiung aus dem Lande der Knechtschaft, aus dem Sklavenhause.
Offener Brief des Schul - Komitees in Philippopel (Bulgarien) an den Präsidenten des Zentralkomitees der ,Alliance Israelife Universelle' in Paris.
Philippopel, den 4./17. März 1903. Herr Präsident ! Seit mehr als zehn Jahren hat man in jeder der sieben Klassen unserer Mädchenschule 4 bis 5 von den 33 Lehr- stunden der Woche dem Unterrichte des Hebräischen gewidmet. Diese 4 Stunden sind nicht genügend, und die
Resultate, die man erzielt, sind gleich Null. Beim Beginne des laufenden Schuljahres haben wir die Zahl der dem Hebräischen gewidmeten Lehrstunden vermehren wollen.' Sie haben sich entschieden dieser Vermehrung widersetzt, und da wir wissen, dass sie niemals mit den Gemeinden zu diskutieren belieben, sondern Ihre Befehle erteilen, und wenn der geringste derselben nicht ausgeführt wird, sofort 'Mit der Entziehung deT Subvention drohen und ddese Drohung auch auszuführen pflegen, da wir alles das wissen, haben wi. es für das Klügste erachtet, die Aenderung für dieses Schuljahr zu unterlassen und das Programm im statüs quo ante zu lassen.
Den 5. November 1902, d. h. mehr als 2 Monate nach dem Beginne des Schuljahres haben Sie an die Leiterinnen und Leiter Ihrer Schulen ein Zirkular erlassen, in welchem Sie ein neues Programm für den Unterricht des Hehräischen an den Knabenschulen und an den Mädchenschulen erlassen. Durch dieses Programm dekretieren Sie, dass an den Mädchenschulen das Hebräische bloss in den vier oberen Klassen und nur in 2 Stunden in der Woche gelehrt werden solle. Gleichzeitig mit dem Eintreffen des Zirkulars kam auch an unsere Mädchenschule der Befehl, das Programm sofort in Anwendung zu bringen. Wir haben uns gleich darauf an Sie mit der flehentlichen Bitte gewendet, eine so grosse Verminderung im Unterrichte des Hebräischen an den Mädchenschulen nicht zu f ordern, und wir haben uns erlaubt, Ihnen das Vorwort Ihres eigenen Zirkulars in Erinnerung zu bringen, welches lautet:
„.....dieses Programm ist ein Minimum ....
Wir beabsichtigen nicht das Niveau des Unterrichtes in jenen Schulen herabzusetzen, wo derselbe unser Programm übertrifft, aber dieses Programm soll das mittlere Mass des Unterrichtes des Hebräischen an unseren Schulen festsetzen, insbesonders für jene, wo das Hebräische gegenwärtig nicht mit genügender Sorgfalt betrieben wird."
Sie haben uns geantwortet, dass diese Stelle sich bloss* auf die Knabenschulen bezieht, und nicht auf die Mädchenschulen, und dass für diese zwei Stunden in der Woche in vier Jahrgängen das Maximum und das Minimmm seien. Wir haben dagegen die Einwendung erhoben, dass wir zu Beginn des Schuljahres die Frage im Einvernehmen mit Ihnen studierten, und das Programm für das laufende Schuljahr du diesem Einvernehmen festgesetzt und das nötige Personal angestellt worden sei, wir haben daran noch mehrere andere Erwägungen angeschlossen, aber sie alle wurden von Ihnen nicht einmal der Beachtung gewürdigt, denn Sie haben Ihre Entscheidung aufrecht erhalten und durch einen Brief vorn 2./1S; 1. M. hat die Leiterin unserer Schule Ihre Anordnung zu unserer Kenntnis gebracht, den Unterricht im Hebräischen nach den in Ihrem Zirkulare gezogenen engeren -Grenzen von diesem Tage an zu restringieren, und sowohl die übrigen Klassen als die Lehrer des Hebräischen unbeschäftigt zu lassen. Wir haben uns dieser Anordnung auf das Lebhafteste widersetzt, und da die Schulleiterin bereits dieBefehle zur Einführung dieserAende- rung erteilt hat, haben wir uns an sie mit der Bitte gewendet, ihre Anordnungen zu sistieren. Da sie es nicht wollte, haben wir uns in der unangenehmen Lage gesehen, diese Sistierung serlbst zu verfügen. Darauf ist die Frau Direktorin von der Leitung der Schule zurückgetreten — das ist ihre Sache. Unsere Sache war es, den regelmässigen Gang der Schulangelegenheiten auch nach dem Bücktritt der Leiterin zu sichern, was wir dadurch zu erreichen anstrebten, dass wir die dienstälteste Lehrerin zur provisorischen Sehul- leiterin ernannten.
Das ist die wahrheitsgetreue Schilderung der Vorgänge. Es erübrigt uns nur noch die folgenden Bemerkungen anzufügen: