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Nr. 15.

Wen, 10. April 1903 - 13. Nissan 5663.

7« Jahrgang

Kinder der Erde.

Von A. Corainit

Kinder der Erde sind wir alle, aus ihr kommen wir, zu ihr gehen wir, mit ihr -teilen wir Lust und Leid, Freude und Schmerz. Und wenn die Sonne nach langen, düsteren Wintermonaten wieder am wolkenlosen, heiteren Himmel erscheint, wenn die Allmutter Erde, von den starren Winterdecken befreit, den belebenden Strahlen entgegenjauchzt und. aus ihrem schwellenden Schosse die in ihrer Tiefe gehegten Kinder, die grünen Halme, die üppigen Blumen, die weisse, unschuldige Lilie, das blaue Veilclien und das goldene Chrysanthemum voll Lebensmut emporschiessen, dann leben auch wir Menschen, wir Kinder der Erde, auf, blühen gleich den Halmen in Lebensmut und Uebermut.

Und dieses Freudenfest der Natur, dieses grandiose Schauspiel, das jahraus, jahrein seit Aeonen sich abspielt, feierten zu allen Zeiten und an allen Orten die Völker, jedes nach seiner Art und seiner Weise. An kein anderes Fest knüpften sich soviel tiefsinnige Legenden, in kein anderes sind so viel Myste­rien, unergründliche, weil aus dem Bronnen der wahren Poesie, des wahren Volkslebens geschöpfte, hinein­gelegt worden, wie in dieses Früklingsfest.....

Aber am schönsten, am herrlichsten, am mensch­lichsten hat diese Auferstehung der Natur, dieses Auf­leben des Individuums, bei dem jüdischen Volke seine Apotheose gefunden. Während bei den anderen Völkern nur das rein natürliche oder das bloss individuelle Moment in Betracht gezogen wurde, haben die Juden, die das historischeste unter allen sind, ein anderes, weit tieferes, viel umfassenderes Moment hineingetragen das nationale ....

Bei keinem Volke sind di& zwei Seiten des menschlichen Lebens, die individuelle und die kol­lektive, die gesellschaftliche, so miteinander verwachsen, beinahe vollständig identifiziert, wie beim jüdischen. Vielleicht waren es die ewigen Kämpfe, die fort­währenden Verfolgungen, vielleicht war es ein ein- gebornes, rassiges, stark entwickeltes Gemeingefühl, wodurch das Individuum an die Gemeinschaft fest geschmiedet wurde aber dies ist der Grundzug des

jüdischen Volkscharakters: Wicht der Jude, sondern das Judentum, nicht der Einzelne, sondern das Volk; dei Einzelne muss sich dem Ganzen fügen, seine Individualität muss sich mit d&m kollektiven Körper ver­schmelzen. .

Und so hat es auch das jüdische Volk ver­standen die beiden Momente in einem Feste zu ver­einigen. Passah wurde das Symbol der Auferstehung der Erde und der Erlösung der Juden, derKinder der Erde". Kinder der Erde! Wie schön, wie sinnif, wi«& poetisch ist diese uralte Volkssage ! Als Pharao dem Befehl erliess, dass die männlichen Kinder der Juden getötet werden sollten, so erzählt die altjüdische L&gende, da bemächtigte sich Verzweiflung und trotziger Mut der Seelen der armen jüdischen Frauen. Und wenn die Stunde kam, und sie sahen, dass ein Knabe ge­boren war, da trugen sie ihn in den Wald, drückten ihr armes Kind an die mütterliche Brust, aus ihren Anigen fielen heisse Tränen auf das Gesicht des Kindes, Tränen der namenlosen Verzweiflung, der namenlosen Sehnsucht und einer mystischen, unklaren, ahnungsreichen Hoffnung und dann überliessen sie das Kind seinein Schicksal. Dann öffnete die Allmutter Erde ihren Schoss, naJim diese armen, verlassenen Geschöpfe auf und nihrte und pflegte sie; und &ls der Frühlingstag kam, als die Sonne der Freiheit ü3>er dem Haupte des jüdi­schen Stammes erglänzte, dl öffnete sich die Erde und Hess die indessen zu kräftigen, gestählten Männern herangewachsenen Kinder heraus und diese Kinder der Erde führten Israel in sein Land, schufen das jüdische Volk.....

Und wie es im Leben des einzelnen Menschen gewisse Kulminationspunkte gibt, gewisse Momente der höchsten Steigerung seiner Lebenskraft, Momente, die ein Markstein und eine unverwischbare Erinnerung sind, so gibt's auch im Leben der Völker Ereignisse, die auf ihr ganzes folgendes Leben den nachhaltigsten Einfluss ausüben, es radikal umformen. Ein solcher Moment war für das jüdische Volk seine erste typische Erlösung aus dem Lande der Knechtschaft, der Momenat, welcher im Passahfeste versinnbildlicht ist. Das ganze übrige Geschiehtsleben der Juden ist eine Variation!)., eine Wiederholung derselben Erscheinung des Ueber- ganges von der Knechtschaft zur Freiheit... Die ganze