und Gesängen bloss der Singsang geblieben, erst seitdem Israel anstatt o^nn, Psalmen zu singen, ß^nn» Psalmen zu sagen anfing, sind aus seinen Gotteshäusern Rhythmus und Melodie entflohen, entflohen vor dem Schlendrian, der das Zepter ergriff und den Herrscherstab nicht aus der Hand gelegt, bis am Ende des vorigen Jahrhunderts die Freiheit Israels wieder ihre Schwingen regte und mit ihr auch der Ghorgesang in vereinzelte Synagogen einzog. Aber woher kommt es, dass das Lied bei uns nicht heimisch werden will; woher kommt es, dass der Chorgesang hier vernachlässigt wird und dort wieder auf 4en heftigsten Widerstand stösst? Weil, so werden mir verschiedene antworten, weil die Gemeinde zu der Rolle einer Stummen verurteilt ist, weil die Orgel sich etwas zu breit macht, weil sie mehr als gebührlich sich vernehmen lässt. Gewiss sind das Gründe, welche mit die Schuld daran tragen, dass der Gesang bei uns, den sogenannten Modernen, nicht zum Gebete werden kann, aber der Hauptgrund liegt doch viel, viel tiefer, und den will ich im folgenden Teile meiner Ausführungen aufdecken.
II
Was die Lieder Israels im allgemeinen und seinen Freiheitsgesang am Meere im besonderen von denen anderer Völker und anderer Literaturen unterscheidet und auszeichnet, das ist ihr religiöser Charakter. Es gilt als ein längst gelöstes Rätsel, warum fast in allen nichtjüdischen Gotteshäusern gerade die Psalmen Davids gesungen werden, warum die älteren und neueren Gesangbücher bei näherer Betrachtung bloss als schwache Nachklänge unseres grossen biblischen Gesangbuches sich erweisen; denn man weiss es ja schon seit langer Zeit, dass die Seele umso höher emporsteigt, je tiefer der Glaube ist, von welchem sie erfüllt und getragen wird. Dass wir Juden nicht ein Volk der Religion, sondern das Volk der Religion sind, beweist nicht bloss die Thora Moses, sondern auch der Psalter; rw^n na» D'Snn "^Da onao won ( 10 min nWDin ^ie ^ ün ^ Bücher der Psalmen, sie entsprechen den fünf Büchern der Thora, denn beide, die Thora und der Psalter, legen Zeugnis dafür ab, dass die Religion Israels nur deshalb so hoch in den Himmel hineinragt, weil der Glaube an den einig-einzigen Gott seine Wurzeln in die jüdische Volksseele so tief hinabgesenkt hat. Man betrachtet es gewöhnlich als ein charakteristisches Merkmal hervorragender Menschen, dass sie grosse Gegensätze in sich vereinigen; nun, wenn diese Annahme auch von Völkern gilt, dann darf Israel als ein sehr grosses Volk bezeichnet werden; denn es gibt keine zweite Nation auf Erden, welche jemals auf der einen Seite so gedrückt und so geknechtet und auf der anderen Seite wieder so gehohen und so frei gewesen wäre, wie Israel, seitdem es aus Egypten heraus gezogen. Bei diesem Auszüge nämlich ward Israel nicht bloss frei von jedweder Bedrückung, sondern auch von jedwedem Drucke, frei, nicht bloss von den einengenden Fesseln roher Menschengewalt, sondern auch von der Furcht und Angst vor blinden, tyrannischen Schicksalsmächten. Dadurch hat Israels Gesang von vornherein einen Doppelquell zum Ursprung gehabt, neben dem Quell der Freiheit auch den Quell des Glaubens. < n ^ m)n nTl ^ n n $ ^ <WÖ nn p* TH Damals sangen Moses und die Kinder Israels dieses Lied dem Ewigen. Schon die Alten stossen sich an diesem Wörtchen 1$ damals, aber dieses will uns eben sagen, dass
') Vgl. Schoch. tob Kap. I.
wir, um die himmelanstrebende Gewalt dieses Freiheitsliedes zu begreifen, wissen müssen, was dem Liede unmittelbar vorausgegangen TS m5 , Wö:w * M
( u "131 M n wo vw Das Volk glaubte an ^en Ewigen und an Moses seinen Kriecht, damals sangen Moses und die Kinder Israels dieses Lied dem Ewigen. C 2 nvv inöav^npn rrn owbynw nyiöit Der Gottesglaube hatte sie mit dem heiligen Geiste erfüllt und sie mussten ein begeistertes Lied anstimmen. Ohne den endlich erwachten tiefen Gottesglauben hätte dieses Lied nie und nimmer entstehen, ohne diesen Glauben an einen allgerechten und allgütigen Gott hätte weder Deborah noch David Siegeslieder singen, ohne diesen befreienden und erlösenden Glauben hätten keine Psalmen, keine hebräische Jubelhymnen, keine hebräische Dithyramben gedichtet werden können. ( 13 nvv iöiS prnp njo» twnö Israel kann nur
singen, wenn es von seinem Glauben zu hochragender Bergeßhöhe emporgetragen wird. Und damit habe ich auch den Hauptgrund aufgedeckt, warum in den neuen jüdischen Gotteshäusern der Gesang nicht heimisch werden kann. Der Tiefquell, aus welchem das religiöse Lied emporsprudeln soll, er ist, wenn auch nicht versiegt, so doch mit Stein und Gerölle bedeckt. Wir deutschen Juden sind wohl frei, wir hätten wohl in der Freiheit einen Quell des Gesanges, aber es fehlt uns, wenn auch nicht der Glaube, so doch die Glaubensinnigkeit; dadurch muss der Gesang ins Stocken geraten, denn ohne den rechten Glauben an Gott hört auch die Freiheit allmählich auf, ein Tiefquell des Gesanges zu sein. Wir können nicht singen, wenigstens unserem Gotte keine Lieder singen, weil unserer Seele die Schwungkraft fehlt, um ihre Fittige zu erheben. Oder dürfen jene, welche so wohlwollend und entgegenkommend, so freundlich und liebenswürdig sind, nicht bloss in weltlichen, nichtjüdischen Gesangsvereinen, sondern auch in einem Gotteshause mitzuwirken, dürfen die wenigen, die sich noch in solchen Räumen hören lassen, mit Moses und mit Deborah sprechen: ( 14 >^ nvtPK ^ s * n g e dem Ewigen? Oder könnte etwa der jüdisch-religiöse Gesang wirklich gar in solchen Gemeinden gedeihen und emporblühen, wo dem Judentum die mehr als zweifelhafte Ehre zuteil wird, dass man den Gott Israels durch bezahlte nichtjüdische Sänger und Sängerinnen verherrlichen lässt? Wenn einst die jüdische Geschichte unseres Jahrhunderts geschrieben werden wird, dann wird der unparteiische Historiker es leider eingestehen müssen, dass man in den mit so grossem Kostenaufwande erbauten neuen Gotteshäusern weniger gebetet, sondern weit mehr vorgebetet, dass man Triller geschlagen und Kadenzen geschmettert, dass man dem lieben Gott von Zeit zu Zeit etwas Schönes vorgesungen hat. Dem heutigen Israel fehlt die rechte Tiefe des wahren Glaubens an Gott, und ganz besonders der Glaube, dass es aus der Knechtschaft des Mittelalters durch den Gott befreit wurde, welcher unsere Ahnen aus Egypten herausgeführt, darum kann das heutige Israel nicht beten und nicht singen, oder doch nicht so beten und so singen, wie es unsere Ahnen einst vermocht. Soll es nun anders, soll es besser werden, dann muss die heranwachsende Jugend anders erzogen werden, dann müssen unsere Kinder, Knaben und Mädchen, nicht bloss in der Religionsschule Gebete übersetzeu,
u ) II. B. M. 14, 31; 15, 1.
12 ) Rabbah z. St.
13 ) Ebendaselbst.
u ) II. B. M. 15, 1 b und Richter 5, 3.