Nr. 17
„Die $ Welt»
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Wtft-Sbi'ODik.
Moritz (Moses) Lazarus, ist geboren in Filehne, einem kleinen preussischen Städtchen an der polnischen Grenze der Provinz Posen aus 15, September 1824i Sein Vater, ein reicher, gelehrter Kaufmann, R. Aron Lazarus gab ihm eine echt-religiöse, jüdische Erziehung. Ol) wohl ursprünglich für den Kaufmann stand bestimmt, wandte sich der junge Moritz Lazarus bald den Studien zu und promovierte im Jahre 1850 an der Berliner Univ&xsität als Doktor phil. Im Jahre 1850 trat er mit einem Werke? über die „Sittliche Berechtigung Pieussens in Deutschland" hervor. Dann veröffentlichte er seine erste Studie über »Die Idee und die Möglichkeit derWUsenschaft der Völkerpsychologie". Im Jahre 1856 veröffentlichte er sein Hauptwerk „Das Leben der Seele in MonographienDas Buch erregte grosse Aufmerksamkeit und dm Jahre 1860 wurde er als Professor der Psychologie nach Bern berufen, wo ei im Jahre 1863 zum Dekan und 1861) zum Rektor gefüllt wurde. Im Jahre 1859 begründete er mit Steinthal die „Zeitschrift für Völkerpsychologie". Im Jahre 1867 kehrte er nach Berlin zurück und dozierte an der Universität. Seit einigen Jahren zog er sich von der Lehrtätigkeit zurück und lebte in M er an a wo er auch am 17. April d. J. starb* Seine Gattin ist die bekannte Nahida Ruth Remy, die zum Judentum übergetreten ist. Seine Hauptwerke sind: „Das Leben der Seelfe c , „Ideale Fragen*, a ,Treu und Frei", „Die Ethik des Judentums", „Der Prophet Jeremias", „Schiller-Stiftung" u. s. w. „Treu und Frei* enthalten seine jüdischen Reden, die er als Präsident von zwei Synoden und auch sonst hielt,
Todesfall. Am §0. Nissan 5663 (17. April 1903) starb in Wien nach langen*, schwerem Leiden der Kandidat der Medizin Nathan Bariach in seinem 28. Lebensjahre.
Geboren in Oßfcgalizien, absolvierte der Verblichene das Obergymnasium %u Brzezany mit Auszeichnung und widmete sich dann mit Eifer und Vorliebe medizinischen Studien an der Wiener Universität.
In seinem jugendlichen, heissfühlenden jüdischen Herzen weckte die Botschaft von der Wiedergeburt seines Volkes ein mächtiges Echo. Bar dach wurde Mitgründer der Vereinigung jüdischer Hochschüler au.s Galizien „Bar Kochba" in Wien, in der Folge deren Präses und Ehrenmitglied. Im Jänner 1890 verschwand er plöLÄlich aus Wien, einen Brief an seine Bundesbrüder hinterlassend, worin er ihnen mitteilte, er reiße nach Palästina, um ein simpler Ackerbauer auf dem .Boden seiner Väter zu werden. Zwei Jahre weilte er im heiligen Lande, erst in 3 , Sichron Jakob", dann in der galizischen Kolonie „Machnaim*. Als dies letztere Unternehmen (ein Privat versuch eines galizischen Vereines) scheiterte, kehrte er nach Wien zurück und nahm die unterbrochenen Studien wieder auf. Knapp vor Ab- schluss derselben er&ilte ihn der Tod. Er war ein Idealist im schönsten Sinne des Wortes und blieb es bis zu seinem letzten Lebenshauche- Ehre seinem Andeuücen!
Am achten Pasisahtage wurde er zu Grabe getragen. Die Bar Kochbaner und einige Bekannte und Freunde gaben ihm das letzt* Geleite. Am offenen Grabe hielt Ephraim Waschitis einen tiefempfundenen Nachruf.
Ein 200jähriges Jiiiiiläum. Die älteste öffentliche Heilanstalt Berlins, das Krankenhaus der jüdischen Gemeinde in der Auguststrasse hat in diesem Jahre zwei Jahrhunderte hinter sich. Im Jahr-e 1703 wurde es von der jüdischen Gemeinde unter der Bezeichnung „Kranken-Verpflegungsanstalt der Berliner Judenschaft" auf einem Grundstücke am Alten Spandauer Heerweg gegründet, Anfangs war es in primitiven Gebäuien untergebracht; im.Jahre 1756 wurde ein gänzlicher Neubau nötig. Ein Jahrhundert später, in den Jahren 1858 bis 1861 wurden die noch heute benutzten Gebäude von dem Baurat Knoblauch in der Auguststrasse U/15 erbaut. Das bis vor einigen Jahren im Neben
hause Nr. 16 befindliche Siech Auhaus für jüdische Sieche beiderlei Geschlechts, eine Stiftung der Gebrüder B e n d i c und H, Ad. Reiehenheim, ias in Verbindung mit dem Krankenhause stand, ist nach ier Oranienburgerstrasse 3L verlegt, selbständig gemacht und das vorhandene Gebäudes für Zwecke des Krankenhauses umgebaut worden.
Eine originelle Versicherungsgesellschaft ist in Warschau ins Leiben gerufen worden. Es handelt sich darum, jüdischen Gymnasiasten eine Gewähr für ihre akademische Laufbahn zu schaffen. Nur ein kleiner Perzentsatz der Juden, die in Russland Gymnasien endigen, wird zum akademischen Studium zugelassen, viele Abiturienten müssen jahrelang warten, bis eine Vakanz für einen Juden auf einer der russischen Universitäten frei wird, wenn sie es nicht vorziehen ins Ausland zu gehen, oder überhaupt die Fortsetzung ihres Studiums aufzugeben. Infolgedessen sind Warschauer Juden auf den Gedanken gekommen, eine besondere Gesellschaft zur Versicherung solcher Glaubensgenossen zu gründen, die den Eintritt in höhere Lehranstalten nicht erlangen können, Jeder Schüler mosaischer Konfession soll während seines Verweilens im Gymnasium 5 Rubel jährlich zahlen. Aus den* auf diese Art gesammelten Kapital sollen den Schülern, die in russischen Universitäten keine Aufnahme finden, Unterstützungen zum Zwecke ihrer Ausbildung im Auslande erteilt werden. Die Urheber des Planes haben sich mit einer Eingabe um Erteilung der Konzession für das eigenartig« Unternehmen an die Regierung gewendet. Der traurige Entstehungsgrund, wie der Zweck dieser Versicherung, die Schutz durch die Möglichkeit einer Flucht aus dem Vaterlande bietet, gehören woLl zu dem kulturgeschichtlichen Merkwürdigkeitenunserer Tage,
Das Ritualmordmärchen des deutschböhmischen Abgeordneten Stein. Der Ministerpräsident Dr, Körber beantwortete am 21. April eine Interpellation der Abg. Stein und Genosse^ in welcher verlangt wurde, dem Abgeordnetenhause die Ergebnisse der Untersuchung bekanntzugeben, welche ans Anlas« der Beschuldigung, dass; dem Dienstmädchen Marie Hanel in Jägerndorf angeblich zu rituellen Zwecken Blut abgezapft worden sei, eingeleitet worden war. Der Ministeir gibt bekannt, dass aus Anlass dieser Beschuldigung eine eingehende und umfassende Untersuchung stattgefunden hat, welche ergab, dass die Beschuldigung jeder Grundlage entbehrte. Marie Hanel, welche sich anlässlich ihrer wieder-r holten Einvernehmungen fortwährend in Widersprüche verwickelte und deren Aussage a.uch mit den Angaben ihrem Mitbediensteten in keiner Weise übereinstimmte, wies zwair an den Fusssohlen verschiedene Verletzungen auf, aus denen aber mach Aussage der Sachverständigen höchstens einige Tropfan Blut geflossen sein können, so dass die Verletzungen zu einer Blutentnahme ganz ungeeignet waren. Ueberdies sei es ausgeschlossen, dass .die Verletzungen der Marie Hanel von dritter Hand zugefügt worden seien, Die Erhebungen haben auch zweifellos ergeben, dass Marie Han&l sich die Verletzungen selbst beigebracht hat, und zwo' wahrscheinlich aus Hass gegen ihren Dienstgeber, der ilii den Dienst gekündigt hatte und dem sie Unannehmlichkeiten bereiten wollte. Gegen Marie Hanel wurde deshalfc auch auf Grund des erdrückenden Beweismaterials wegen falscher Zeugenaussage, Verbreitung eines falschen, beunruhigenden Gerüchtes und wegen Ehrenbeleidigung dte Anklage erhoben und sie wurde auch zu vier Monaten Kerkers verurteilt, welche Stiafe die Genannte bereits abbüsst.
Was deutsche Abgeordnete iiir Sorgon haben. (Aus einer Interpellation der AbgeordnetenN ovak, Prade und Genossen, welche Nr. 79 der „Deutschen Volkszeitung ic zitieren.) „Viele unserer ^Mitbürger mosaischer Konfession 6 glauben allem Anscheine nach, dass die Segnungen dw Natur nur für sie allein da sind. Von verschiedenen Seitem kamen uns schon wiederholt Klagen zu, dass das Gebaren* einzelner Juden und Jüdinnen, sowie deren Kinder und deren tschechischen Dienstmädchen geradezu anwidernd ist. Sie benehmen sich, als ob sie allein den Volksgarten und die Waldwege gepachtet hätten, als ob sie die Herren wären, die da herumkommandieren und denen alles auszuweichen und Platz zu machen hat. Wenngleich wir leider nicht die Macht haben, ihnen dieses zu wehren, so müssen wir docli entschieden dagegen Stellung nehmen, dass durch ein paar Hebräer, deren Frauen und Kinder, Reichenberg der Stempel einer tschechischen Stadt aufge dlrückt wird. Denn im Volksgarten wie im Walde kann man oft genug die Wahrnehmun g machen, dass ganze jüdische Gesellschaften die Bänke belagern und in lautester Weise, jedenfalls ihrer tschechischen Dienstboten halber, tschechisch sprechen. Also ganz abgesehen davon, dass die Juden ohnehin den Hauptteil der