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Die # Welt"

Nr. 1-7

das ist sie, in deren Küche sie mit christlichein Blute backen."

Frauen, die früher mit ihren kranken Kindern zu ihr gekom­men waren, mieden sie jetzt mit erschreckten^ hasserfüllten Ge­sichtern. Kleine Kinder, die ihre süsseste Ruhe in ihren sanften Armen gefunden hatten, versteckten sich; vor ihr hinter den Rücken ihrer Mütter. Einmal, als sie ein Kind, das in einen Morast geraten war, zu seinen Eltern zurückführte, entriss es ihr ein fremder Landmann mit den Worten:Ha, Judenweih, willst du dieses auch abschlachten?'*

Nach Monaten unerträglicher Misshandlung wurden die Leute von der Gass* endlich zu einem planmässigen Protest auf­gerüttelt und ein feierlicher Rechtfertigungs-Gottesdienst wurde in der Synagoge abgehalten. Alle hohen christlichen Personen des Gerichtssprengeis waren anwesend, die Mitglieder der jüdi­schen Gemeinschaft erschienen so wie am Versöhnungstage in ihren Sterbegewändern und einer nach dem anderen stieg zum Altar hinaul und schwor einen mächtigen feierlichen Eid, dass er unschuldig sei an dem Morde der iDienstmagd Jule.

Es war ganz nutzlos.

Der verehrungswürdige Weise, der Rabbi Reb Josehe Levi- sohn, reiste zum gräflichen Richteramt, um Zeugnis abzulegen, und vor dem Gerichtshofe schwor er auf die Gesetzesrollen mit Scham und Schrecken, dass die Juden kein christliches Blut für ihr Osterbrot gebrauchen. Es war vergebens!

Und das Zeitalter des Dampfes und der Elektrizität, das Zeitalter der Freiheit und Gleichheit, wurde Zeuge eines un­glaublichen, undenkbaren Schauspieles: ein hoher Gerichtshof, mitten im zivilisierten Europa, führte eine Untersuchung gegen eine alte, gottesfürchtige Gemeinschaft über die furchtbare An­klage des Ritualmordes.--

Schimmele betet.

An einem Sonntag Morgen, nicht lang nach Beendigung des Passahfestes, kehrten Mechel Katzew und sein Weib Rachel vom gräflichen Richteramt zurück, wo sie unter der grässliehen Be­schuldigung des Mordes an ihrer Dienstmagd Jule im Gefängnis gesessen waren. , ~ > :

Rachel hatte die Nacht, in der das Verbrechen geschehen war, ruhig neben ihren Kindern schlafend verbracht und Mechel, als Mitglied der örtlichen Chewra Kadischa *) einer Gesellschaft, deren Funktion darin bestand, bei Krankheiten und Todesfällen Dienste zu erweisen hatte zusammen mit neun anderen Männern am Bette eines kranken Mannes gewacht und gebetet. Das alles war bei der Untersuchung unumstösslich bewiesen worden; die beeideten Zeugen der Anklage, geistlose Werkzeuge der Bosheit und des Hasses, waren geständige Meineidige. Rachel und Mechel wurden freigesprochen, aber nicht in Ehren, sondern nur wegen ungenügender Beweise.

Nahezu die ganze Gass', mit Mechels Kindern an der Spitze, war ihnen entgegengegangen und es war eine tränenreiche Jubel­prozession, die den Weg in die Synagoge nahm, wo ein Dank- Gottesdienst angesetzt war.

Die zivilisierten Elemente des christliehen Maritz freuten sich offen mit der Gass* wenn auch vielleicht aus besonderen Gründen'. Aber beide dankten Gott, dass man Gerechtigkeit geübt hatte, die einen, dass ihr Heim, die anderen, dass ihre gerühmte Aufklärung von dem Makel eines Justizmordes verschont geblieben war. Aber der grössere Teil der Bevölkerung sah mit finsteren Blicken drein und murmelte Verwünschungen.

Am Nachmittag nach der Messe, als die Männer sich in den Wirtshäusern versammelten, erschien plötzlich wieder der Send­ling des jetzt berüchtigtenDresch-Grafen". Von einem erhöhten Platze auf einem Tische, in einem Räume, der von unwissenden Menschen angefüllt war, die vor Hunger und religiösem Hasse und schlechtem Branntwein fieberten, schleuderte er seine Feuerbrände von Beschimpfungen und Verleumdungen hervor; und das alberne Volk schwankte bei seinen Worten wie Schilfrohr im Winde.

*) Heilige Brüderschaft.

Sie haben euch ausgesaugt, und nun essen sie, während ihr vor Hunger zugrunde geht. Nehmt zurück, ich sage es euch, nehmt zurück, was euch gehört. Warum sollt ihr- Mitleid mit ihnen haben? Haben sie Mitleid mit unserm lieben heiligen Heiland gehabt, als sie ihn an das Kreuz schlugen? Ihr seid verkauft verkauft," brüllte er.Ihr, eure Weiber und Kinder, verkauft an diese verdammten blutsaugenden Juden!"

Da erhob sich Starek, der bejahrte Wagner.

Halt, Bursche," rief er,das ist nicht wahr; die Juden trinken nicht Christenblut, der Gerichtshof hat sie freigesprochen. Es ist genug; ich bin für Ordnung und Frieden!"

Der Gerichtshof hat gelogen," brüllte der Agitator aufs neue. Er ist gekauft, die Presse ist gekauft, ja, die ganze Regie­rung ist von dem verfluchten Gesindel gekauft. Nieder mit den Juden! Nehmt Kniittel und Dreschflegel und Heugabeln zu ihnen zu ihnen hört ihr ? Es muss bluten, das elende Judenpack! Wir müssen schlagen, sehlagen, schlagen, bis das schmerzende Geschwür die Judenheit aus dem Lande ent­fernt ist!"

In der Dämmerung dieses Tages wurde der erste Stein durch ein Fenster in der Judengasse geworfen und neben dem alten Tor sah man ein Plakat angebracht, das in roten Buchstaben die Worte enthielt:Tod den Juden!*

Die Gass' war stumm, von Entsetzen erfüllt. Eine Abord­nung wurde zum Bürgermeister, eine andere zum Rabbi geschickt. Beide kehrten mit tröstenden Bescheiden zurück. Aber in der Gass' standen Gruppen mit bleichen Gesichtern.

Leben wir im Mittelalter?" riefen die jüngeren Leute. Wir stehen gleich allen anderen unter dem Schutze des Kaisers und des Gesetzes. Sie sollen es nur wagen!"

Nein, lasst uns heimgehen und Frieden halten," sprachen die älteren.

Die Leute gingen heim, aber nicht zu Bette. Sie sassen bleich und mit schwerem Herzen da, wachten und beteten, um das Ende einer Nacht, die eben erst begonnen hatte.

In Mirjams Haus war es auch finster und still. Mirjam hatte Schimmele zu Bett gebracht und sprach ruhig mit ihrem Sohne, dem blinden Jossef, der zufällig im Städtchen war.

Bah," was ist da zu fürchten!" sagte Mirjam mutig, obwohl sie beunruhigt und ihr Gesicht blass war. ? ,Em Haufe von Gassenjungen, die kleine Kinder misshandeln; morgen, so Gott will, wirst du Schimmele auf die Pachtung zurücknehmen. Es ist hier in Maritz nicht mehr angenehm."

Die Welt," sagte Jossef nachdenklich,erinnert mich an einen jener* täuschenden Holzäpfel. Sie sehen hübsch und rot aus, aber wenn man hineinbeisst, ist er bitter wie Galle, weil er nicht reif ist. Ja, auch die Welt ist an der Oberfläche schön und heiter anzusehen, aber sie ist nicht reif nein, die Welt ist noch nicht reif."

Vetterl," kam eine leise Stimme aus dem Bett,was heisst das: die Welt ist noch nicht reif?"

Warum schläfst du nicht, Schimmele?" fragte Mirjam. Es ist Zeit, dass du schlafen sollst!"

Bitte, Vetterl, was heisst das?"

Schaf, Schimmele, morgen ist auch ein Tag, morgen werde ich dir's sagen."

Armes Schimmele dieses Morgen kam nie und nie hat es ihm Jossef erklärt. Es war das Leben und die Zeit, es war bittere Sorge und harter späterer Kampf, die es schliesslich Schimmele klar machten, was Jossef gemeint hatte, wenn er sagte:Die Welt ist noch nicht reif."

Eine Stunde vor Mitternacht kam ein Mann, der laut durch die Gass' schrie:Lauft, lauft, rettet euer Lebett!"

Was gibt es?" rief Mirjam von ihrem Haustör aus 1 .

Sie kommen mit Knütteln und Aextenf Lauft- reitet euch!"

Zu beinahe gleicher Zeit drang aus den* nördlichen Ende der Strasse das Gebrüll vieler Stimmen.