trotz ihrer hohen Lage unter uns liegt, dann blicken wir voller Bewunderung auf das herrliche Schauspiel, das sich unter uns auftut. Ein Meer von weißgebauten Häusern, überragt von Türmen und den Zinnen der alten Stadtmauer, die auf hebräischem Untergrund errichtet, die mittelalterliche Stadt mit Kreuzfahrer- und Türkenbauten einschließt. Im Sommer, der den größten Teil des Jahres ausmacht, schweift der trunkene Blick durch die klare und durchsichtige Luft in weite Fernen, die wir nüchterne Nordländer niemals mit bloßem Auge sehen zu können vermeint hätten. Wenn aber der Winter seine Regenschleier über die Berge von Efrajim und Jehuda herabhängt, dann malen die Sonnenstrahlen auf den Wolken eine güldene Krone, die das Haupt von Zion vergoldet. Mit des Künstlers Augen schauen wir in diese von Schönheit durchzitterte Landschaft, wenn wir dem Radierer Lilien folgen.
Als Schwarzweißzeichner ist Lilien bekannt. Als solcher hat er sich einen Namen gemacht, den ihm niemand mehr streitig machen kann. Aber als Radierer war er bisher unbekannt. Wies ihn doch die Buchillustration, in der er so Großes geleistet, direkt auf die Schwarzweißzeichnung hin. Sie steht durch ihre technischen Mittel schwesterlich neben dem Typendrück. Zwar bringt die Schwarzweißzeichnung die Differenzen nicht zum Ausdruck, wie die Radierung, aber in der technischen Wiedergabe durch den Druck erscheint sie im Buche voll und scharf, während die Radierung ihre Lichter und Schwärzen in der Wiedergabe durch den Buchdruck in verschiedenem Grau wiedergeben muß, wie es aus dem Raster hervorgeht. Man führte Liliens hervorragende Leistungen in Schwarzweißzeichnung auf seinen großen dekorativen Sinn zurück, weil ihm niemand solchen abstreiten konnte. Aber dieses Lob schloß
manchmal den leisen Tadel mit ein, daß ihm die Perspektive fehle. Wer seine Radierungen von Damaszener Holzbauten oder von Steinhäusern aus dem Lande Israel anschaut, oder wer mit seinen Radierungen in des Künstlers galizische Heimat geht, findet dort so viel richtig geschaute Perspektive, daß man nicht zu sagen vermag, ob Liliens anerkannter Sinn für das Dekorative nicht beinahe zurückbleibt hinter seinem Sinn und Verständnis für Luft und Raum.
Die Anerkennung, die sich Lilien in schwerer Arbeit und unter unermüdlichem Schaffen erringen mußte, ist ihm nicht in den Schoß gefallen. Aber dieser schwere Kampf hat den zähen Kämpfer nur gestählt. Er hat den ihm angeborenen Reichtum an Ideen und Gestaltungskraft erst herausgebracht, und hat den Meister gezwungen, an sich zu feilen und zu putzen. Und diese innere Arbeit an sich selbst zeugt von viel größerem Fleiß als sogar die feinste Feinarbeit an seinen schönsten Kunstwerken. Es ist einfach erstaunlich, was dieser Mann zu arbeiten vermag, um sich die Kenntnisse zu verschaffen, deren er bedarf, um seine Illustrationen im Sinne der Kunst und vor allem auch der dargestellten Zeit und Landschaft zu geben, ob er nun das alte Aegypten aufleben läßt, in dem Israel in der Knechtschaft schmachtet, ob er hebräische Schönheit im Kampfe mit assyrischer Gewaltherrschaft zeigt oder vor uns die weinenden Frauen der Weggeführten an Iden Wassern Babels ihren Judenschmerz austönen läßt in die ewigen Worte: „Wenn ich dein vergäße, Jeruschalajim, da vergäße meiner meine Rechte!"
Was Lilien heute ist, hat der Künstler in schwerem Mühen aus sich herausgearbeitet. Wie er einst den Zöllner von Klausen in die Welt geschickt hat, dann in seinen Exlibris die weibliche Schönheit seinem Griffel dienst-
Alter Brunnen auf dem Tempelplatz. Das Tal Josaphat.
Zeichnungen von E. M. Lilien.