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»Die & Welt"

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Zum vierten Congress.

Brüder!

Seid mir gegrüsst!

Die Ihr aus allen Gegenden der Welt, Aus Ost und West, aus fernem Nord und Süd. Zum grossen Volksverband Euch eingestellt. Von einem einzigen Gefühl durchglüht Seid mir gegrüsst!

Gesandte, ach, der Thränen und der Schmerzen,

Des Leids Vertreter und des Elends Boten,

Wart Ihr erschienen mit bewegten Herzen

Im Namen der Bedrängten und Bedrohten;

Als eines Volkes rings zerstreute Glieder

Habt Ihr versammelt Euch, um zu berathen

Das harte Schicksal Eurer armen Brüder

Und aufzuschwingen Euch zu Rettungsthaten:

Als Kinder, die der Mutter treu geblieben,

Wenn auch getrennt im wirren Weltgewühle.

Wart Ihr vom gleichen Sehnsuchtsdrang getrieben.

Der heissen Sehnsucht nach dem gleichen Ziele!

Und bei dem Anblick des Familienkreises,

Den Israel geschlossen hat aufs neue

Beim Anblick dieses lebenden Beweises

Der Bruderliebe und der Brudertreue

Beim Anblick dieses Werks, das wir erbauen,

Beim Anblick dieses Bands, das uns umflicht,

Stieg in die Seele neues Selbstvertrauen,

Stieg in die Seele neue Zuversicht!

Denn, seht, es war kein Traum, was wir gewoben,

Kein Truggebilde der Vergänglichkeit,

Kein Hirngespinst, das in ein Nichts zerstoben . . .

Nein, nein, es war lebendige Wirklichkeit!

Denn was im tiefsten Innern wir empfinden,

Was uns als Ideal vor Augen schwebt,

Das Volksgefühl, das laut und stolz wir künden,

Wir sahen, wie es athmet, wie es lebt!

Ob auch getrennt durch Sprache, Brauch und Grenzen,

Wir sahen doch voll zauberlichten Scheins

Das Morgenroth der Einheit uns erglänzen,

Und fühlten als ein Volk uns waren Eins!

Wir sahen eine Volksvertretung tagen,

Ein eigenes nationales Parlament,

Und fühlten unsere Pulse lauter schlagen

In diesem weih'voll herrlichen Moment.

Wir sah'n die Volkstribüne aufgerichtet,

Wir sahen, wie ein Volk zu Völkern spricht

Und für sein Recht, das die Gewalt vernichtet.

Für seine freie Selbstbestimmung ficht.

O zionistischer Congress,

Sei mir gegrüsst!

Versammlung eines Volks, das freiheitsglühend Zu neuem, kräft'gem Leben drängt und spriesst, Symbol der Einheit, die aufs neu' erblühend Uns Juden aller Länder fest umschliesst, Sei mir gegrüsst!

Im Schweizerland gekeimt und aufgegangen,

Wardst Du nach Englands mächtfgem Reich verpflanzt,

Wo herrlicher und schöner noch Dein Prangen.

Wo Du noch einen festern Boden fandst;

Wo britische Humanität und Güte

Umflossen Dich mit ihrem warmen Strahl,

Dort, wo der Freiheit ewige Wunderblüte

Weit üppiger gedeiht als überall;

Dort, wo Gerechtigkeit und Milde thronen,

Wo sich die Grossmuth stets geoffenbart,

Wo schwachen und bedrückten Nationen

Ein fester Beistand stets und Hilfe ward:

Dort, wo man den erhabenen Ideen.

Sinn und Begeisterung entgegenbringt

Dort könnt' man auch das jüdische Volk verstehen,

Das um sein Dasein, seine Freiheit ringt!

England!

Sei mir gegrüsst!

Du standest jederzeit nur auf der Seite Des Rechtes, dem sich nie Dein Herz verschliesst, Du hilfst auch diesmal uns im heiligen Streite Sei mir gegrüsst!---

London, 16. August 1900. Heinrich Grünau.

Die Schwestern.

Erzählung von S. Gordon.

(Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.)

Leise liebkoste Zillah die kleine Gestalt, die sich vor ihr niedergekauert hatte und nun müde fortfuhr:Ich kann es nicht begreifen, warum Dich Gedanken heimsuchen, die mit Deinem Leben so gar nicht in Einklang stehen. Was hat sie heraufbeschworen ? Hast Du eine Sünde begangen ? Dann muss es eine schwere gewesen sein, da Deine Strafe die härteste ist, die ein menschliches Wesen treffen kann gegen sein Schicksal zu kämpfen."

Ach Salka! Ich kämpfe aber für mein Schicksal, nicht dagegen. Wenn man einem nicht gibt, was man er­sehnt, so muss man versuchen, es sich zu nehmen. Beweist nicht schon das blosse Verlangen darnach, dass es für mich bestimmt ist?"

Salka schüttelte den Kopf.

Ich weiss nicht, wie ich Dich überzeugen soll," sagte sie traurig,ich weiss nur, dass Du Unmögliches anstrebst. Ich hab' Dich so lieb, dass ich, wenn Du nur die geringste Hoffnung hättest, die Erste wäre, Dich anzuspornen: daran kannst Du ermessen, wie theuer Du mir bist. Sag' mir was ist zu thun?" .

Ja was ist zu thun ?" wiederholte Zillah me­chanisch.

Höre mich an, Schwester, und Du wirst sehen, dass ich recht habe," fuhr Salka eifriger fort.Du bist eine Tochter des Volkes, welches der Welt gezeigt hat, was Ent­sagung heisst das Geheimnis, stark zu sein in der Schwäche und stolz in der Demuth. Dieses Geheimnis, Zillah, ist ein Theil unseres Erbes warum solltest Du es nicht auch besitzen ? Suche es in Dir, und Du wirst es finden."

Und wenn ich es gefunden habe?" Dann wirst Du den Mann heiraten, den der Vater für Dich gewählt hat, und Du wirst ihn zu Deinem Vasallen machen. Er wird eine Königskrone auf Dein Haupt setzen und Dich anbeten."

Und wird er dafür nichts von mir erwarten ?" Nichts als dass Du ihn glücklich machst." Jawohl, das wird er wohl erwarten," sagte Zillah nachdenklich,vielleicht gar als sein Recht verlangen. Aber das ist kein ehrlicher Tausch, denn seine Aufgabe würde leichter sein als die meine."

Wie kannst Du das vorher wissen ?" fragte Salka eifrig.Die Zeit wird Deine seltsamen Phantasiegebilde schon aus Deinem Kopfe verscheuchen, Du wirst nach und nach Freude an Deinem Haushalt, an den Geschäften Deines

Mannes gewinnen, und wenn erst Kinder kommen--*

Ich höre Stimmen, aber der Rest ist Finsternis," sagte jemand an der Thür.

Salka fuhr mit einem leichten Schrei empor, Zillah aber blieb sitzen, und ihre Stimme klang ganz ruhig und alltäglich, als sie sagte:

Mache Licht, Salka, der Spitzbube von einem Jeiteles kommt wie gewöhnlich zu spät zurück; er ist gewiss ein wenig zu seiner Mutter gegangen."

Während sie noch sprach, hatte Salka die beiden Gasflammen angezündet, deren sich der Laden rühmen durfte. Auf der Schwelle stand lächelnd- und in der plötz­lichen Helle blinzelnd der Commissär.

Ich habe offenbar etwas von einer Geistererscheinung an mir, aber das liegt an der Umgebung," sagte er munter, und seine weissen Zähne wurden sichtbar.Ich muss