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,Die 2> Welt'*
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„als dem modernen Geiste zuwider", aus dem Gottesdienste zu beseitigen. Ferner wird der ausschliessliche Gebrauch der hebräischen Sprache beklagt und die Uebersetzung aller Gebete, mit Ausnahme des „Schema" und „Kaddisch", ins Französische verlangt. In dem Schlussworte des „Programmes" wird darauf hingewiesen, dass schon Abraham Geiger die Klagen über die Entfernung von Palästina, die Bitten um Rückkehr, um Sammlung in Jerusalem u. s. w. nicht dulden wollte . . . Die Assimilantenschaft teutonischer und gallischer Nationalität hat eben seit Abraham Geiger nichts gelernt und nichts vergessen.
Petersburg. (Aufenthaltsverbot gegen jüdische Schüler.) Der „Woschod" weist auf die Notwendigkeit hin, das Gesetz über das jüdische Ansiedlungs- gebiet zu revidieren, weil es Lücken aufweist, in deren Folge Massnahmen ergriffen werden, die den Motiven, denen das Gesetz entsprungen ist, nicht entsprechen. So z. B. werden den jüdischen Schülern höherer technischer Schulen, welche sich behufs praktischer Beschäftigung in das Innere des Landes begeben, von den Behörden wegen des Aufenthaltes Schwierigkeiten gemacht. Die Schüler wissen sich dem gegenüber nicht zu helfen. Praktische Beschäftigungen müssen sie absolvieren, weil sie bei den Entlassungs-Examina praktische Kenntnisse aufzuweisen haben, und doch wird ihnen andererseits unmöglich gemacht, sich diese Kenntnisse zu erwerben. Das Aufenthaltsverbot verfügt die Polizei auf Grund des. Art. 157 des Passgesetzes, welcher den Juden, die nicht das Recht der freien Bewegung für ganz Russland besitzen, nur Fahrten in das Innere des Reiches in Handels-, Gerichts- und Erbschafts-Angelegenheiten gestattet. Dieser Artikel bedürfe einer Vervollständigung und Ergänzung, wie der Fall mit den jüdischen Zöglingen es darthue.
Moskau. (Eine beachtenswerte Zuschrift) erhalten wir von unserem ausgezeichneten Gesinnungsgenossen, dem Mitgliede des zionistischen Actions-Comites, Dr. E. W. Tschlenow in Moskau. Wir bringen diese Zuschrift im Nachfolgenden zur Kenntnis unserer Leser : „Am Tage meiner Abreise aus London habe ich von einem der Delegierten meines Rayons, Herrn E. Kaplan, der durch ein ernstes Familienerreignis dem Congresse beizuwohnen verhindert war, 300 Frcs. als Theilbetrag der entfallenden Reisekosten erhalten. Herr Kaplan widmete die Hälfte den Zwecken des Zionismus, die zweite Hälfte zugunsten der Centrai- Bibliothek in Jerusalem. Seinen Wunsch erfüllend, schicke ich beiliegend 150 Frcs. zur Verfügung des Wiener Actions-Comites, < 4 ie übrigen werden den Anfang der dritten Sendung (bisher sind durch mich zu diesem Zwecke 2776 Frcs. 70 Cts. geschickt worden) bilden, die ich in kurzer Zeit der Bibliothek zur Verfügung zu stellen hoffe.
Mit Zionsgruss
Dr. E. W. T s c h 1 e n o w." Kiew. (Jüdische Schüler.) Der „Woschod" stellt fest, dass auch in diesem Lehrjahre die Mehrzahl der jüdischen Schüler auf ihre Fortbildung in den Mittelschulen, Polytechniken und Universitäten verzichten müssen. In die Kiewer Universität wurde weniger als die Hälfte der jüdischen Gymnasial-Abiturienten, die sich angemeldet hatten, aufgenommen, und in das dortige Polytechnische Institut fand nur ein Fünftel der Angemeldeten Einlass. In anderen Städten werde es, meint der „Woschod", nach der Erfahrung in früheren Jahren, ebenso sein. Die Vorschrift, jüdische Lernende nur bis zu einem gewissen Percent der Gesammt- zahl der Lernenden aufzunehmen, wird gerade jetzt streng befolgt. In den Mittelschulen herrscht die Percentnorm noch mehr als in den höheren Lehranstalten, da die jüdischen Schüler einer doppelten Sichtung unterworfen werden. Personen, welche z. B. sechs Classen einer Realschule absolviert haben und somit als Absolventen des vollen Curses
gelten, können in die siebente Ergänzungsciasse nicht ohne- weiters eintreten. Sie werden als Neueintretende betrachtet und darum auch nach der Percentvorschrifc aufgenommen. In letzter Zeit ist das Bestreben bemerkbar, von den Eltern der jüdischen Schüler ein schriftliches Versprechen zu erlangen, dass ihre Kinder auch am Samstag schriftliche Schularbeiten verrichten werden, so wie ihre christlichen Kameraden. Auch diese Massnahme dürfte nicht ohne Wirkung auf den Schulbesuch der jüdischen Kinder bleiben.
Dwinsk. (ZionistischeMassenversa mm lun g.) Sonntag den "1. September um 8 Uhr abends fand in dem grossen Tempel unserer Stadt auf Initiative des hiesigen Zionisten-Vereines eine Massenversammlung statt, in der unser Delegierter, Herr Rabbiner H. Ratner. über den IV. Zionisten-Congress in London Bericht erstattete. Anwesend waren ungefähr 2000 Personen aus allen Schichten der hiesigen zionistischen Bevölkerung. Besonders zahlreich war die Arbeiterschaft vertreten. Der grosse Synagogensaal war gedrängt voll. Der Referent gab ein übersichtliches Bild der Verhandlungen des Congresses und erntete stürmischen Beifall. Sodann bestieg unser wackerer Gesinnungsgenosse Herr Josef Elchanan Melamed die Tribüne und hielt einen formvollendeten zündenden Propagandavortrag. Redner polemisierte hauptsächlich gegen die Einwände der Orthodoxen, die den Zionismus vom religiösen Standpunkte bekämpfen.
Dwinsk. (Einej üdischeLesehalle.) Auf Initiative der hiesigen zionistischen Intelligenz wurde vor kurzem in unserer Stadt eine jüdische Lesehalle gegründet, die sich regen Zuspruches erfreut.
Lodz. (Auszeichnung einesjüdischenHand- werkers.) Herr Emanuel Sadokierski, ein Jude, Inhaber der hiesigen „Leipziger Buchbinderei", wurde auf der Pariser Weltausstellung mit der goldenen Medaille ausgezeichnet.
Sofia. (Gründungeines jüdischen Colon i- sations -Vereines.) Vor kurzem wurde hier eine Colonisations-Gesellschaft gegründet, die den Titel „Prince of Wales", u. zw. mit Genehmigung Sr. königl. Hoheit, führt und den Zweck hat, arme Juden aus den Balkanstaaten, die zur Auswanderung gezwungen sind, in Canada anzusiedeln.
Colon. (Republik Columbia, Süd -Amerika.) Die Nachricht, laut welcher während der jüngsten politischen Wirren in Centrai-Amerika zwölf Juden verhaftet und zwei von diesen hingerichtet wurden, ist völlig aus der Luft gegriffen. Die in Panama wie in Colon ansässigen Juden stammen grösstentheils aus Curacao (Holländ. Columbien), aus dem dänischen St. Thomas, sowie aus Jamaica. Einige sind auch aus Europa, oder aus den Vereinigten Staaten in Panama eingewandert. Es geht ihnen in ihrem neuen Wohnorte gut. da sie daselbst grosse Geschäftshäuser besitzen und von niemandem verfolgt werden. Trotz ihrer erheblichen Anzahl und ihrer Wohlhabenheit, haben sich die Juden von Panama bisher noch nicht zu einer Gemeinde organisiert und besitzen weder einen Rabbiner, noch eine Synagoge.
Rossland (Canada). [Orig.-Correspondenz.] Eine grosse Anzahl der nach Canada eingewanderten rumänischen Juden hat in verschiedenen Städten des Landes Arbeit gefunden. Es ist Aussicht vorhanden, dass auch diejenigen unter den Einwanderern, denen es bisher nicht gelang, sich hier eine Existenz zu schaffen, nach und nach in geordnete Verhältnisse kommen werden. Die canadischen Juden nehmen sich ihrer Brüder sehr warm an ; namentlich haben sich die hierländisehen Zionisten in dieser Beziehung hervorgethan. Ihnen ist es auch zu verdanken, dass die Hindernisse, welche die Behörden der Landung unserer armen rumänischen Brüder in den Weg gelegt hatten, beseitigt werden konnten. Interessant ist die Thatsache, dass einzelne Tages-