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Die $s Welt"

Nr. 46

Zionisten, rühret Euch! Wie Ihr es verstanden habt, mit dem heiligen Feuer im Herzen und dem flammenden Worte auf den Lippe« lodernde Begeisterung für unser Zion, für das Allerheiligste des jüdischen Volkes zu wecken, so müsset Ihr wieder unter d;is Volk treten, um in ihm die Liebe für göttliches und menschliches Wissen, für die heilige Sprache und die profanen Disciplinen wachzurufen. Volksbildner heraus! Wo eine zionistische Organisation existiert, müssen sofort Lehr- und Vortragscurse errichtet werden. D i e Cultusrepräsentanz will ich kennen lernen, welche für eine solche Institution die nöthige Subvention zu verweigern wagen wird.

Im jüdischen Manne, auch in dem schlichtesten und ärmsten, lebt der Drang nach Wissen. Er horcht mit wahrer Andacht, wenn man von fremden Ländern spricht und ihren Sitten und Gewohnheiten, von der Achsendrehung der Erde und dem Planetensystem, von dem Gesetze der Schwere und der Zusammensetzung der Luft und des Wassers. Erzählt man gar von der Geschichte unseres Volkes, von seinem Leidenswege durch zwei Jahrtausende, von der spanischen Inquisition und der grossen Pest, von den zahllosen Scheiterhaufen, auf denen glaubenstarke jüdische Männer den Märtyrertod fanden, dann schleicht sich ihm gewiss eine stille Thräne ins Auge und er fühlt etwas in seinem Herzen, was Rührung und Stolz zugleich ist, das ihn stärkt für des Tages Mühsal.

Einen sorgfaltig gepflegten Lesetisch mit Jargon- lectüre und, wenn möglich, auch mit hebräischen Werken . und Zeitungen, soll jeder Zionverein sein Eigen nennen. Der Samstag Nachmittag soll stets dem Vortrage und der Discussion gewidmet, sein. In jeder Vereinigung finden sich einige Gebildete, welche das Lehramt übernehmen müssen : ich sage müsse n. Denn, gerade heraus gesagt, die Thätigkeit unserer Vereins vorstände darf nicht darin aufgehen, zum grossen Congresse einen Schönredner zu entsenden, der dort mit gefalteter Stirne und düster empor­gezogenen Brauen Rechenschaft fordert vom Actions- Conirte. Jeder kehre vor seiner Thüre, aber gründlich. Wer es ernst meint mit dem jüdischen Volke und mit der zionistischen Sache, muss sich stets vor Augen halten, dass die ideale Colonisation wenn ich so sagen darf, die geistige Hebung des jüdischen Volkes eine unerläßliche Vorbedingung ist für die Erfüllung der jüdischen Heimals­idee, für die reale Colonisation.

In Städten mit grösserer jüdischer Einwohnerzahl und demzufolge auch mic stärkeren und verzweigten zionistischen Organisationen müssen auf zionistischer Grundlage ruhende förmliche Volksbilduugsvereine 'mit Statut und Programm ins Leben gerufen werden. In Russ­land, wo sich in einer Stadt oft acht bis zehn zionistische Vereine befinden, können alle zusammen eine gemeinsame Institution begründen. Sache der Districts- und Landes­verbände ist es, die Directive zu ertheilen und für die Durchführung des genau entworfenen Planes zu sorgen.

Was die Volksbildungsvereine für den Zionismus schaffen können ? Diese Frage wird gewiss Mancher auf­werfen. Nun denn, der Zionismus ist nicht Selbstzweck. Aber, was dem jüdischen* Volke nützen kann, ist Zionismus, Sein letztes Ziel verlieren wir nie aus dem Auge. Im Gegen - theile: reorganisierte Chedarim, Volksbildungsvereine u. a. m. sind die Bausteine, welche wir für unser Werk zusammen­tragen. Lasset uns ein sicheres Fundament errichten ! Ihr sollt dann sehen, wie der Bau förmlich über Nacht ent­stehen und stolz in die Lüfte ragen wird.

Die Aufgaben der jüdischen Turner. Von Dr. S- Edelstein (Bonn). Die November-Nummer derJüdischen Turn­zeitung- in Berlin bringt einen Aufsatz des Dr. Edel­stein (Bonn) über dieAufgaben der jüdischen Turne r-, den wir im Nachstehenden auszugsweise wieder­geben :

Die Judenfrage ist, was unsere Assimilanten völlig verkannt haben, alles zugleich: eine sociale, Racen- und Nationalitätsfrage.

Die J u ü e n frage geht uns alle persönlich an, und wir müssen mit unserer Person, leiblich, geistig und moralisch dafür ein­stehen, dass sie gelöst wird.

Unsere Jugci.d hat bei der Lösung dieses grossen Problems eine äüssserst wichtige Rolle zu spielen, sie hat einen eigenen grossen Antheil daran zu nehmen, und mit diesem Theilbetrag erfüllt sie ihre Pflicht hinlänglich. Denn heute tritt, mehr als jemals, die ernste Mahnung an unsere

Jugend heran: Werdet Männer! In der Weise, wie das künftige Judenthum sich äusserlich und innerlich seinen christlichen Freunden und Feinden darstellen wird, wird es seine Freunde mehren und seinen Feinden eine Hauptwaffe abnehmen, die Caricatur nämlich, die vornehmlich in Deutschland den Juden schon mehr geschadet hat, als die feindseligsten Artikel und Broschüren. Unsere Jugend muss durch sorgfältige Körperpflege wieder, um mit Nordau zu reden, ein Muskeljudenthum schaffen. Freilich sollen und werden unsere Kämpfe nicht mit der Faust ausgefochten werden, es müssen vornehmere Waffen sein, die wir führen wollen. Aber eben darum müssen wir des alten Spruches : orandum est, ut sit mens sana in corpore sano eingedenk bleiben und dürfen nicht mehr, wie seither, den Geist auf Kosten des Körpers pflegen. Wir müssen wieder physisch erstarken, wir müssen dies sogar in erster Linie, damit wir nicht der Gefahr der Degeneration anheimfallen. Wir müssen wieder physisch erstarken, damit wir wieder Selbstbewusstsein gewinnen, das auch der vollen Ab Wehrkraft sich bewusst ist, die physich und sittlich starken Menschen eigen ist Die besten Kämpfe sind die, welche physisch und geistig gleich stark sind. Geistig gewappnet waren ja unsere Vorfahren, oft*".'weit besser noch, als wir, und sie haben mit ihres Geistes Waffen unsere Art erhalten bis zu diesem Tag. Es darf aber nicht geleugnet werden, dass eine Race, die Jahr­tausende lang Hirnarbeit producierte. die Jahrhunderte lang nur den Geist pflegen konnte und von barbarischen Feinden an jeder körperlichen Uebung gehindert ward, schliesslich eine Nachkommenschaft erzeugen muss, die physisch ver­kümmert, womit zugleich auch der geistige Tod eingeleitet wird. Und wenn es auch glücklicherweise nicht wahr ist, was ich, falls meine Zeit es erlaubt, in einer grösseren Arbeit nachzuweisen versuchen werde dass wir degeneriert sind, es zeigen sich leider Degenerierungssymptome, An­zeichen, die eine Degeneration einleiten. Auf moralischem Gebiet: die feige Fahnenflucht aus eigenem Lager, das Sichhinüberschmuggeln ins Christenthum, auf geistigem Gebiei : die erschreckende Zunahme der Nervosität und des Irrsinns, auf leiblichem : der bedeutende Procentsatz, den wir zur Tuberculose und zur Diabetes stellen.

Deshalb tritt in ernster Eindringlichkeit an die jüdischen jungen Leute beiderlei Geschlechtes die Pflicht heran, den Wandel zum Besseren anzubahnen. Ihr jüdische junge Männer und Mädchen allzumal, Ihr könnt Euch recken und dehnen. Ihr könnt Euch kräftigen, wie es seit Jahr­hunderten keinem Eurer Vorfahren gestattet war. Drum, meine Brüder, stählt Eure jugendlichen Glieder in physischer Arbeit, im Garten und Feld, am Sägebock, und wo sonst es gilt, die Menschen zu stärken, im Turnsaal, auf dem Fechtboden wie in der Schwimmschule. Werdet flink und gelenkig, muskelstark und muthvoll, wie Eure Vorfahren waren ! Leset die jüdische Geschichte, die Kämpfe, in denen ein Jephta, ein Saul, ein David, ein Simson geglänzt, leset die Kämpfe der Hasmonäer, der Makkabäer, bis zu einem Bar Kochba, die in nichts den Heldenkämpfen aller Nationen nachstehen, Ihr weidet darin einen Sporn finden, dieser ragenden Gestalten würdig zu werden. Und Ihr, Ihr Töchter Isr aels, in Eurer Ahnenreihe gab es eine Miriam, eine Deborah, eine Judith, eine Ruth und eine Esther, deren Namen nimmer erlöschen weiden. Betheiligt Euch an allem, was Eurem Körper Kraft, Behendigkeit und Anmut verleiht! Werdet uns ein starkes u;.d gesundes Geschlecht, und auch Ihr habt alsdann ein gut Theil beigetragen zur Lösung jener Frage, die man heute Judenfrage nennt.

Wieder dieAllianz".

Wie wir in unserer - vorletzten Nummer mitgetheilt haben, ist von 50 Mitgliedern derIsraelitischen Allianz zu Wien" der schriftliche Antrag gestellt worden, es möge eine ausserordentliche General-Versammlung derAllianz" einberufen werden zur Besprechung des scandalösen Verhaltens einzelner Vorstandsmitglieder derAllianz* gegenüber den rumänischen Auswanderern. Diese Eingabe ist vor nunmehr vier­zehn Tagen überreicht worden, harrt aber noch immer der Erledigung. Statutengemäss ist der Verstand verpflich­tet, einem solchen, von 50 Mitgliedern ordnungsmässig unterzeichneten Antrag Folge zu geben. Einige Mitunter­zeichner des Antrages, die sich um dessen Schicksal kümmern, haben nun in sichere Erfahrung gebracht, dass der Vorstand derAllianz" die statutarische., Bestimmungen