Nr . 13 Seite 7 . Im Laufe dieser Woche hielten sich viele Deleginc auf ihrer Durchreise in Wien auf . Die meisten brachten Petitionen , Zustimmungsadressen und Vorschläge , die mit Tausenden von Unterschriften unterzeichnet sind . Von Ru¬ mänien sind allein 9000 Petitionen eingelaufen . Der Dele - girte Hr . Pineles mußte sich bequemen , diese Petitionen im Gewichte von 80 Klgr . per Eilgut nach Basel aufzugeben . Londoner Eindrücke . Von Leo Rafaels . Es ist nicht meine Gewohnheit , allzugroße Ansprüche an meine Mitmenschen zu stellen , und dem entsprechend passirt es mir nicht gar zu oft , über ihre Schlechtigkeit und Beschränktheit jammern zu müssen . Aber die Kurzsichtigkeit mancher englischen Stammesgenossen übertrifft Alles , was ich in nieinem Leben an überlegener Dummheit gesehen habe ; da ist es schon sehr schwer , den Gleichinnth zu be¬ wahren . Was der „ Daily Chronicle " voriges Jahr in der Besprechung des „ Judenstaates " mit beißender Ironie sagte , das reden die guten Leute nüt rührender Naivität nach : „ Was brauchen die Juden Jerusalem ? Johannesburg ( die englischen Blätter schreiben nicht selten JewHannesburg ! ) ist das Jerusalem der Juden im neunzehnten Jahrhundert . " Ungefähr so , wenn auch mit etwas anderen Worten , er¬ klären die wohlhabenden Juden Englands und Schottlands den zionistischen Gedanken für eine sehr überflüßige Ge¬ schichte . Sie haben zu essen und zu trinken , eine Loge im Theater , ein Boot auf dein Flusse oder gar eine Nacht auf der See , einen Sitz im Tempel und einen liebenswürdigen Rabbiner , der nicht Alles sieht und gelegentlich krumm ge¬ rade sein läßt — was kann ein Jude niehr vom Leben und von seinem Gotte verlangen ? Freilich hört der Glück¬ liche manchmal wie im Schlafe die Namen Pobedonoszef und Lueger , und es legt sich ein Alpdrücken fürchterlich aus die Brust — seine Stammes - , nein ! seine Glaubensgenossen in Rußland , Oesterreich . Deutschland werden verfolgt , wie traurig ! ivie unendlich traurig ! Der englische Jude ist bei¬ leibe nicht schmutzig und gefühllos , er hat seine Freigebigkeit und Humanität den Kretensern und Armeniern gegenüber bethätigt , und er hält die Tasche nicht zu , wenn es gilt , verfolgte , aus ihrer Heimat vertriebene Juden nach Amerika zu befördern . Aber was hat er im klebrigen mit diesen armen Teufeln gemein ? Lächerlich ! Dieser schwarze , schä¬ bige , großnasige Mann aus einem unaussprechlichen litthau - ischen Neste , der auf den Namen Naphtali Beständig hört , was hat der mit dem Gentleman in weißer Weste und glänzendem Cylinder , ivas hat er mit Stanley Morris , dem Stockengländerzu thun ? Wie lächerlich , wie urkomisch , diese zwei Menschen als Volksgenossen , als Brüder zu be¬ zeichnen , ihnen ein gleiches Ziel , die gleiche Hoffnung zu - schreiben zu wollen ? Ich habe dieser Tage Gelegenheit gehabt , mit Glau¬ bensgenossen der unterste » , mittleren und obersten Schichten zu sprechen und das Ergebniß war für die Reichen so be¬ schämend wie nur möglich . Die Armen hörten erstaunt zu , als ich ihnen von unseren Hoffnungen erzählte , itnb schüt - lelten ungläubig den . Kopf . „ Tvo gootl to be true “ , sagte ein Handelsreisender ; der Traum war ihm zu schön , um jemals Wirklichkeit zu werden . Die alte Geschichte . „ Sie hörten ihn nicht wegen kurzen Athems und schwerer Arbeit . " Der Mann konnte nicht genug fragen ; er war in tiefster Seele aufgeregt , und immer wieder murmelte er „ zu schön , schön ! " Ganz anders ein Tuchhändler aus Leeds . „ Ich bitte Sie ! Ich will nicht unhöflich sein ; aber ivie kann ein gescheidter Mensch wie Sie einen solchen Un¬ sinn mitmachen ? " Wenn mir einer sagt , ich sei doch sonst ein gescheidter Mensch , so weiß ich , daß er mich für den dümmsten Kerl auf Gottes Erdboden hält . Leider hat der Mann ein Recht dazu , mich für blitzdunnn und sich für superklug zu halten , denn er ist ein Millionär und ich — habe noch keine ganze Million . „ Gestatten Sie mir , Mr . Abrahams , in gut jüdischer Weise eine Frage mit einer anderen zu beantworten . Ob unsere Hoffnung ein Unsinn ist , wie Sie nieinen , oder Hochsinn und Weisheit , wie wir glauben , das wollen wir ja vernünftig discutiren ; aber sagen Sie mir vor allem , warum Sie sich von vornherein so sehr darüber aufregen ? Sie ärgern sich ja , als wäre der Zionismus für Sie persönlich ein Schimpf und eine Beleidigung . Wo ist da Ihre englische Ruhe und Kalt¬ blütigkeit ? " „ Mir scheint , Sie werden ironisch ; aber Sie irren sich , ich ärgere mich gar nicht , ich bin ganz ruhig . " „ Na also . Schön . Wo ist da , ganz praktisch gespro¬ chen , der Unsinn , wenn wir den Versuch machen wollen , der bisher ziel - und planlos betriebenen Auswanderung der Juden einen erstrebenswerthen Mittelpunkt zu geben , wenn ivir uns anstrengen , die Kräfte von Tausenden , die sich unnütz zersplittern und in allen Gegenden der Welt ins Leere verpuffen , zu sammeln und mit ihrer Hilfe endlich einmal etwas Großes , Dauerndes für unsere Enkel und Urenkel zu schaffen ? " „ Und bei einer solchen Sprache soll man sich nicht aufregen ! Sie thun ja gerade so , als hätten wir hier in England alle die Jahrhunderte über geschlafen und bedürfte » dringend der Erweckung durch den Zionismus . Wir haben Großes und Dauerndes geschaffen ! Schauen Sie sich unsere Spitäler an , gehen Sie hinaus nach dem Osten und be¬ trachten Sie das Haus der Board of Guardians - was soll ich früher nennen von den vielen Instituten und Ge¬ bäuden , die unsere Enkel und Urenkel überdauern werden ? Dazu brauchen wir doch nicht nach Zion zu gehen ! " „ Sie geben sich die größte Mühe , mich mißznverstehen , Mr . Abrahams , und Sie sind doch sonst ein so scharfsinni¬ ger Kopf . Waisenhäuser , Spitäler und Tempel haben die englischen Juden schon vor 900 Jahren geballt — war das etwas Großes , etwas Dauerndes ? Waisenhäuser , Spi¬ täler und Tempel hatten auch die spanischen Juden geballt — aber nicht für sich ! " Mr . Abrahams machte sehr große Augen uild wurde dann sehr roth im Gesicht . „ Ich lveiß llicht , was Sie mit den englischen Juden vor 900 Jahren sagen wollen , das geht mich auch gar nichts an . Aber Ihre Anspielung auf Spanien verstehe ich : ich würde mich sehr über Sie ärgern , wenil das nicht gar zu lächerlich wäre ! England und Spanien ! Sie sind eben ein Ausländer . " — Mr . Abrahams legte in das Wort Foreigner die ganze Geringschätzung , das ganze Mitleid eines Stockengläuders hinein — „ und können sich keinen Begriff machen von einenl freien Volke , einem freien Lande wie England . Wir englischen Juden sind Vollbürger und Vollengländer wie nur irgend ein Lord oder Markgras es sein kan » , und wehe dem Manne , der es versuchen feilte , an unseren Rechteil auch nur mit einem Worte zu rühren ! Soll ich Ihnen Beispiele geben ? Wo soll ich anfange » , wo anshören ? Sehen Sie sich den Bürgermeister von Lon¬ don an — mehr brauche ich wahrhaftig nicht zu sage » . Gekrönte Häupter aßen an seinem Tische , ihre Majestät die Königin überhäuft ihn nüt ihrer Gunst , mld das Volk jubelt ihm zu , wo immer er bei einer öffentlichen Eeremonie erscheint ! Das erinnert nicht sehr an Spailien , sollte ich meinen . " „ Mr . Abrahams , ich wünsche Ihnen lind uns Juden insgesammt Glück zu dein hochsinuigen Bürgermeister von London , der seinem Volke zur größten Ehre und in dieser schweren Zeit uns allen zum Tröste gereicht : wir freuen uns überall mit Euch , daß es noch einen Punkt auf Gottes Erde gibt , wo es dem Juden gestattet ist, ' : seines Lebens froh zu werden . Aber Ihren Optimismus in Bezug auf die allgemeine Lage der Juden in England kann ich leider nicht theilen . Ihr habt das Jtlbiläum der ' sechzigjährigen Regierung euerer Königin mit grenzenlosem Enthusiasmus gefeiert ; ebenso schön als begreiflich . Eure Tempel und - Synagogen waren wochenlang festlich geschniückt , eure Pre |