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Die H Welt

Nr. 17

zweigeschnitten. Ihr.Raeenbewusstsein sagt ihnen, dass sie zu dem Blute, welches in den Adern des Hammels fliesst, in einem näheren Verwandtschaflsverhiiltmsse stehen, als zu semitischem Blute eine Hypothese, gegen die sich nicht einmal etwas ein wenden lässt. So wird vielleicht jenen Juden, die man jetzt auch aus der Partei der Vegetarianer so schnöde hinausstösst, nichts übrig bleiben, als Vegetarianer auf eigene Faust zu werden oder enttäuscht und verbittert zur Fleisch­kost zurückzukehren. Sie werden den judenfeindlichen Vegetarianern den Rücken kehren und sich dem Rind- oder Kalbfleisch zuwenden. Ein kleiner Schritt.-

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Budweis, 20. April. Gestern fand hier eine Versammlung des politischen VereinesBudoucnost tt im Gasthauszum weissen Engel statt, in welcher die Vorschläge der Baumeister erörtert wurden. Nach der Versammlung sammelten sich die Arbeiter vor dem Gasthause an und wollten in die Otto­kargasse eindringen. Gensdarmerie und Polizei sperrte die Gasse ab, worauf die Arbeiter, ungefähr 1000 an der Zahl, durch die Langegasse zogen, wo sie zerstreut wurden. Hierbei wurde der Arbeiter Blaha wegen des Vergehens des Auflaufes verhaftet. Infolge der Ansammlungen hatten viele israeli­tische Geschäftsleute vorzeitig die Läden geschlossen.

Unter den Nachrichten, die von den Blättern über die neuesten Arbeiterstrikes in Böhmen veröffentlicht werden, befindet sich auch diese Notiz. Es ist nicht das erste­mal, dass wir derartig stilisierte Notizen lesen. Volks­ansammlungen, die aus irgendeinem beliebigen Anlasse entstehen, und Schliessen der jüdischen Geschäftsläden, das sind zwei Begebnisse, die im Fortschritte der Zeiten einen immer engeren, innigeren Zusammenhang bekommen. Immer näher rücken die beiden Vor­stellungen zusammen, und in wenigen Jährchen werden aller menschlichen Voraussicht nach die zwei Vorgänge zweifelsohne in unserer Vorstellung zu einem selbst­verständlichen, unlösbar verkitteten Gedankenpaar ver­wachsen sein. Siamesische Gedankenzwillinge. Wenn wir das WortVolksansammlung hören werden, werden wir sofort unwillkürlich im Geiste das hierzu gehörige geräuschvolle Rasseln der niederrollenden jüdischen Geschäftsläden vernehmen. Glatt und zwang­los, mit einer elementaren Gesetzmässigkeit wird sich ein Bild aus dem anderen ergeben. Es wird sich sogar, falls nur die Zeiten ruhig ihren Lauf nehmen, ein harmonisches Verhältnis des Causalnexus zwischen den zwei Vorgängen herausbilden, und der examinierende Volksschullehrer, der die flinke Gedankenassociation seiner Schüler auf die Probe stellt, wird eine neue, leichte Prüfungsfrage zur Verfügung haben. Lehrer: Blitz

Schüler: Donner.

Leh rer: Jänner, Feber, März

Schüler: April, Mai, Juni

Lehrer: Volksansammlung

Schüler: Schliessen jüdischer Läden.

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Wahrhaftig, die jüdischen Geschäftsleute sind arge Pechvögel. Die Bedingungen, die dem christlichen Kauf­manne zu einem Gedeihen und Blühen des Geschäftes verhelfen, bedeuten den Ruin des jüdischen Kaufmannes. Durch alle möglichen Mittel sucht der Geschäftsmann die Aufmerksamkeit der Passanten auf sein Warenlager zu lenken; durch auffallende Ausstattung und Schmückung der Auslagen, durch bemerkbaren Anstrich des Firmen­

schildes, und wenn die Reclamemittel eine gedrängte Ansammlung von Gaffern verursacht haben, dann schmunzelt der Geschäftsmann. Die Volksansammlung ist sozusagen das fette Dungmittel eines Kaufgewölbes. Das ist die Norm. Der jüdische Geschäftsmann muss jedes Anschwellen des Strassenverkehres, das auf den Geschäftsgang so befruchtend wirkt, mit Angst und Grauen betrachten. Er braucht weniger Reclame zu machen, der NameKohn" oderLöwi tt er mag in noch so matten, regenverwaschenen Farben auf einer Firmatafel stehen wird stets seine fascinierende An­ziehungskraft auf den Volkshaufen ausüben. Und wenn dann die dichte Volksansammlung vor der Thüre des jüdischen Händlers glücklich zustande gekommen ist, und Gross und Klein zum Eintritte bereit ist, 'dann muss der jüdische Geschäftsmann, um einem allzu reissenden Absalz der Waren vorzubeugen, die Läden schliessen und die Thüre von Innern verrammeln. Der mercantile Merkur, der die Volksmasse zum Kaufhaus der Juden hinschiebt, ist nur allzu oft der Gott der Diebe.

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Der König, der seit Jahr und Tag die französische Republik fast absolutistisch beherrscht, jener verworrene Rattenkönig, der den TitelFall Dreyfus führt, ist in jüngster Zeit beträchtlich zergliedert worden. Sein Thron wankt, Frankreich guillotiniert wieder einen König. Aber die Execution wird mit einer schleppenden Langsamkeit durchgeführt. Schwerfällig senkt sich das Fallbeil und ebenso träge steigt die oft und oft erwähnte Sonne auf, die' dem Lande Licht bringen soll. Das ist ein schnecken­artig emporklimmendes Gestirn; manchmal bleibt es gar angewurzelt stehen, wie die historische Sonne, die zu Josuas Zeiten am Firmamente Halt machte und nicht vom Flecke zu bringen war. Dieser lahme französische Sonnenaufgang, der für den Zuschauer nachgerade sehr langweilig wurde, hat in den letzten Wochen endlich ein flotteres Tempo angenommen. Und es ist charak­teristisch, dass sich die genannte Sonne nur mit Hinter­list, ja mit polizeiwidrigen Kniffen den freien Aufstieg, der auf wahrhaft schwindelhafter Bahn vor sich geht, erschleichen musste. Ein Sonnenaufgang durchs Diebs- pförtclien.

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Seit ungefähr einem Monate veröffentlicht der PariserFigaro" in fortlaufender Folge das geheime Protokoll der Aussagen vor der Strafkammer des Cassa­tionshofes. Ein Dieb hat, um Licht ins Land zu bringen, das Protokoll aus der Staatsdruckerei entwendet, und derFigaro, der Hehler, druckt die geheimen Acten ab, um der Wahrheit die breiteste Publicität zu verschaffen. Auf verbotenen Seitenwegen hält die Wahrheit ihren Einzug in Frankreich, und die Polizei ist hinter ihr her und ruft: Haltet den Dieb ! DerFigaro ist zu mehreren hundert Francs Geldbusse verurtheilt worden, weil es ihm gelungen ist, sich zum Mitschuldigen eines Diebes zu machen, eine unrechtliche Handlung zu begehen, und dem gebeugten Rechte auf die Beine zu helfen. Das Blatt hat die Strafsumme reuig erlegt und den sträf­lichen Abdruck der geheimen Acten fortgesetzt. Und die Regierung schaut stillvergnügt dieser klärenden Ver­öffentlichung, die den Ratten-Royalisten den Garaus machen soll, zu.

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Ja, die letzten Windungen des Rattenkönigs sind drollig toll. Da ist ein Dieb, der als Schützer des Rechtes auftritt. Da ist eine Polizei, die den verfolgt, der die Gerechtigkeit propagiert. Da ist eine Regierung, die sich ins Fäustchen lacht, weil im Lande gestohlen