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„Die Welt“
Nr. 17
Confiscation. Eine in der Grazer Buchhandlung „Styria“ erschienene Broschüre: „Der Jude des 19. Jahrhunderts, oder warum sind wir Antisemiten?“ wurde, nachdem bereits OOOO Exemplare abgesetzt worden waren, confisciert.
Etwas Judenstatistik. Der „Warszawsky Dniewnik“ veröffentlicht eine genaue Statistik der jüdischen Kinder, die im Jahre 1898 die Schulen in den Gouvernements Suwalk und S e d 1 e c besuchten. Im Gouvernement Suwalk gibt es 11 jüdische Schulen mit Oeffejitlichkeitsreclit und 210„Chedarim“. Die Anzahl der Schüler in diesen Anstalten beläuft sich auf 3848, nämlich 2931 Knaben und 917 Mädchen. Ausserdem besuchten 725 jüdische Kinder christliche Schulen. Im Gouvernement Sedlec gibt es 2 jüdische Knaben-, eine jüdische Mädchenschule und 3iE Chedarim. Diese Schulen werden von *2112 Knaben und 214 Mädchen besucht, während 211 jüdische Kinder in christlichen Schulen Unterricht gemessen. Die Zahl der schulpflichtigen jüdischen Kinder im Gouvernement Suwalk beträgt 5740 Knaben und 5012 Mädchen, derjenigen im Gouvernement Sedlec 7500 Knaben und ebenso viele Mädchen.
Der Jugendfreund Heines, Alexander W e i 1 L ist dieser Tage hoehhetagt in Paris gestorben. Wei.ll, welcher dem schriftstellerischen Berufe angehörte, war der einzige noch überlebende Gefährte aus dem Freundeskreise Heinrich Heines; er hat mit dem Dichter intim verkehrt und dessen Vertrauen in hohem Masse genossen. Heine stand auch einige Zeit mit Weil 1 in einem regen Briefwechsel. W e i 11 hat in Paris eine Zeitung herausgegeben, „Mensonges de Paris“, welche nicht regelmässig erschien und öffentliche ücbelstände gcisselte. Vor zehn Jahren hat Woill ein linguistisches Werk geschrieben. Er war ein hoher Neunziger und hat seit zehn Jahren das Bett fast nicht mehr verlassen.
Drumont hat dieser Tage Algier mit seinem Besuche beehrt. Es kam in Algier zu antisemitischen Ausschreitungen.
Dreyfus-Ansichtskarten. In Paris wurden Freitag auf der Nord bahn mehrere grosse Pakete beschlagnahmt, die 2500 Ansichts-Postkarten enthielten. Diese Postkarten wiesen die 10 Centimes-Marke von Französiseh-Guyana auf und trugen die Adresse des Fabrikanten aufgedruckt: „Mentenhorff 86, Heerengrokht. Amsterdam.“ Auf der Rückseite der Karten standen die Worte: „Cayenne. Datum des Poststempels, mit Zeichnungen, welche die Wohnung Dreifus\ die Pallisade und den WäHderposten dar stellten. Auf anderen Karten waren auch die Bilder der Hauptverthekliger des Ver- urtheilten, Zolas. Picqyarts und Laboris, dargestellt. All diese Pakete waren für Cayenne bestimmt. Der Absender, ein Buchhändler, hatte den Plan, diese Karten am Tage der Rückkehr Dreyfus' nach Europa zurücksenden zu lassen, da diese dann für Sammler einen besonderen Wert erlangt hätten.
Der hundertste Geburtstag Halevvs. Der 100. Geburtstag des Komponisten Haie v y wird am 27, Mai in seiner Geburtsstadt Paris festlich begangen werden. Die Gesellschaft der Compositeure und. Autoren hat eine Commission eingesetzt. die das Programm der Festfeier ausarbeiten soll. Bekannte und eventuell auch unvollendete Werke' des Meisters werden zur Aufführung gelangen; man wird „Die Jüdin“ in bester Besetzung und Ausstattung dem Publicum vorführen, und der bekannte Musikgelehrte und Biograph Haie v v s. P o u g i n, wird die Festrede halten*. Der Mittelpunkt der Feier wird der Saal der Grossen Oper sein, wo Halevy 10 Jahre lang Gesangsdirector gewesen, die freilich im ehemaligen Hause 1835 seine „Jüdin“ zur ersten Aufführung brachte und die Wiege seines Ruhmes wurde. Die Pariser Akademie der schönen Künste, deren ständiger Secretär Halevy von 1854 bis zu seinem .Ende gewesen, rüstet gleichfalls zu einer würdigen Feier, und endlich wird Nizza, wo der Meister am 17. März 1862 vom Tode ereilt wurde, den 27. Mai 1899 festlich begehen. Auch in Deutschland werden Opernaufführungen zur Säcularfeier vielfach vorbereitet.
Todesfall. Am 12. April d. J. starb in Bialystok der bekannte'" hebräische Schriftsteller A. B. Gottlob er im Alter von 88 Jahren. Er war ein bedeutender Gelehrter und einer der geschätztesten Vertreter der alten'Schule.
Spenden für die in Boryslav (Galizien) hungernden, im tiefsten Elend schmachtenden Juden, sowie für die Hinterbliebenen der am Hungertyphus Verstorbenen,
Sammlung des Herrn Moritz Reisfeld inMälir.- Ostrau: Moritz Reisfeld fl. 5.—, Kluger, Poln.-Ostrau, fl. —.50, Frau Eva Lichtenstern fl. 2.—, Ferd. Trauner, Gastwirt, fl. —.50, Sigm. Huppert fl. 1.—, Emil Pick fl. 2.—, Leon Goldschneider ü. 1.—, Josef Weislitz fl. 1.—, Gustav Korn fl. 2.—, Sal. Reschovsky fl. 1.—, Jak. Berger fl. L—, Ign. Goldberger fl. 1.—, G. Kornblüh 11. 1.—, Moritz Mehler fl. 1.—, Reik, P.-Ostrau, fl. 1.—, Imerglück, P.-Ostrau, fl. 2.—, M. Stein, P.-Ostrau, fl. 1.—, Frau Auguste Ripper, P.-Ostrau, tl. —.50, Rabbiner Dr. Spira, M.-Ostrau, fl. 2.—, Jak. Wachsberger, M.-Ostrau, fl. —.50, Willi. Köhler, M.-Ostrau, ff. 1.—, I. Borger ff. —.50, Herrn. Reiss fl. 1.—. Beruh. Reich ff. 1.—, Ad. Be Hak ff. —.50, Mark. Haberfeld ff. 1.—. Leop. Bram er fl. —.50, Adolf Windholz, M.-Ostrau, ff 1.—, 1). Baron & Co. ff. 1.—. Carl Berger fl. —.50, Carl Fried ff. 1.—, Herrn. Preiss fl. —.50, A. Ernst, Gastwirt, fl. 1.—. Summa fl. 37.50.
W
Correspondenzen.
Oesterreich-Ungarn.
Lemberg. Das Königreich Galizien hat in der letzten Zeit überaus reichhaltigen Schreib- und Gesprächsstoff für jedermann geboten. Zu der sprichwörtlich gewordenen „polnischen Wirtschaft“ kommt jetzt noch der galizische liorror creditorum. Der letztere treibt die zumeist adeligen Herren theils zum Selbstmorde, theils zur Flucht. Namen wie Trzcieniecki. Kieszkowski, Gostkowski. Wiktor, Kratter. Krzyzanowski sind überall geläufig. Alle diese Leuchten der polnischen Gesellschaft kommen von dein bekannten Staaczykenlager. Besonders seit der Zeit, da die Stanczyken in Galizien ans Ruder kamen, gelang es ihnen nach allen Richtungen hin, Freiheiten zu gemessen. Sie begannen nicht nur im Lande ganz willkürlich zu herrschen, sondern verstanden es auch im ganzen Reiche die grösste Rolle zu spielen. Mit Hilfe einiger jüdischer Grossmäkler rissen sie während der Zeit ihres Regimes alle wirtsch a f t - liehe n E i n r i c h t u n g e n, besonders aber alle B a n k - u n d Credit-Ins t i t u t e an sich. Dass diese Juden es nicht scheuten trotz aller antisemitischer Tendenzen den Stanczyken Factorendlenste zu leisten, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. Was sollte es sie denn eigentlich kümmern, dass in den meisten derartigen Anstalten kein Jude Angestellter, ja nicht einmal Diener werden konnte ? Sie bekamen doch ihre entsprechende Sen- sarie und sonst non ölet. Dieses Nonoletprincip fand aber auch bei den edlen Stanczyken Eingang. Ihr antisemitisches Princip hinderte sie nicht daran, das Geld von überallher, ja sogar von den Juden zu nehmen. Und unsere Juden waren ihrerseits „überglücklich“, dass „solche Bank-Institute“, wie die Galizische Sparcasse, die Galizische Creditbank, die Krakauer wechselseitige Versicherungs-Gesellschaft u. dgl. „von ihnen Einlagen aufnahmen.“ Sie fänden sogar kein grosses Bedenken daran, dass es z. B, in der Galizischen Sparcasse noch vor dem „Run“ allgemeine Gepflogenheit gewesen war, alle Spareinlagen bringenden oder ausheb enden Juden stundenlang warten zu lassen, bis an sie „die Reihe“ zu kommen pflegte. Es gieng sie gar nicht an, dass dieselbe Sparcasse von i h r e in j ähnlichen Reiner1i ägnis se — ein solches wurde alljährlich in der Summe von circa 150.000 ff. gebucht, auf welch künstliche Art, bleibt dahingestellt — fast keine e i n z i g e j ü d i s c li e w o h 11 h ä t i g e Anstal t unte r- stützte, während über 100.000 fl. an ausschliesslich christliche Vereine und Einrichtungen verausgabt wurden. Sie waren gänzlich blind für die „Bankpolitik“ dieser Herren, eine Bankpolitik, welche nicht darin bestand, der ökonomischen Bedeutung des Wortes gemäss, die Einlagen in Sparcasscnerfonlornisson entsprechender Art zu fructi- 6eieren, sondern die den jeweiligen Leitern politisch Gleich-