Nr. 34

Die A Welt

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auf der Flagge, die da im Winde flattert, auf der Flagge der jüdischen Begeisterung, auf der Flagge der Zionisten das goldene Kalb nicht gezeichnet werde. (Rufe: Sehr gut. Beifall.) Hüien wir uns, dass die Luft­löcher nicht mit goldenen Thüren zu gestopft werden. Es ergeht uns sonst wie dem Capitän in alter Zeit, der auf sturmbewegter See war und das Getöse der Pas­sagiere unten im Schiffsraum nicht ertragen konnte: er ruft dem Matrosen:Decken Sie doch die Luken zu, damit ich dieses Geräusch nicht höre! Und all­mählich ist das Geräusch stiller und stiller geworden, und er ist in den Hafen eingelaufen; aber im Schiff waren die Passagiere erstickt. So darf es uns nicht g-dien, Wir müssen in geistiger Frische und mit neuem Leben in unser, ins heilige Land kommen. Wir müssen lernen, uns von den Schlacken zu befreien, die die Jahrhunderte unserem Geist angeklebt haben.

Und wie herrlich klingt doch diese poetische Con- ception unseres Volkes, diese wunderbar mystische Auffassung, dass mit der Verbannung auch die Herr­lichkeit Gottes in die Verbannung gierig und sein Volk begleitete. Es ist von seiner Höhe herabgestürzt worden und ist jetzt verdunkelt. Wir wollen den Bann brechen, und wir wollen diese Herrlichkeit in ihrem alten Glanz erscheinen lassen. (Beifall.) Wir wollen der Welt zeigen, dass es noch eine ganz andere Weltanschauung gibt als die, an welcher die Mensch­heit jetzt in Europa krankt. (Lebhafter Beifall). Die innere Läuterung, das Aufrechterhalten des alten Ideals, der Wunsch, der Drang, dass jeder Zionist in seiner Weise, nach seinem Gesichtspunkt, in seinem Land diesem Ziele zustrebe, das ist alles, was wir hier von dieser Tribüne unseren Zionisten, unserem Volk zurufen können. (Beifall.) Wir sagen unserem Volk:Der Traum beginnt sich zu verwirklichen; es hängt von Euch ab, in welcher Gestalt Ihr daran theilnehmen wollt.

Meine Herren! Nicht weit von hier, in Italien? existieren Friedhöfe, wo clie Erde von Palästina in Schiffen hingebracht worden ist, nachdem die Völker den Besitz Palästinas endgütig aufgeben mussten, und dort begraben sie ihre Todten. Wir wollen auch einen Camposanto haben, nicht als die Todten in der Erde Palästinas, die nach Europa auf Schiffen gebracht worden, sondern einen Camposanto, ein heiliges Lager, auf dem freien Boden Palästinas als lebendige Nation. (Brausender, immer neu anhebender Beifall).

Und nun zum Schlüsse, was bleibt mir noch zu sagen ? Sie an eine alte Sage zu erinnern, die Sage vom Phönix, mit dem unsere Weisen schon längst unser Volk verglichen haben. Der Phönix lebt ewig; aber nach bestimmter Zeit wird er alt und schwach und verbrennt innerlich uncl wird zur Asche und ein ganz kleiner Keim bleibt übrig, und diesen nimmt der Priester in Heliopolis, d. i. in der Stadt der* Sonne, hütet den Keim und pflegt ihn, und langsam erwacht der Phönix, und dann, wenn er völlig reif, dann schüttelt er die Schwingen und erhebt seinen Flug zur Sonne, um Gott für seine Wiedergeburt zu danken. Und wir, wir sind auch verbrannt, verstreut worden und mit Füssen getreten, wie die Asche der Erde; neu­em Keim ist geblieben, und jetzt kommen wir Zionisten, die Priester der neuen Zeit, und bringen den Keim zur Stadt der Sonne der Wahrheit, der Treue, der Ergebung, und wir pflegen ihn und sollen ihn pflegen, bis das Judenthum wie der Phönix aus der Asche wieder ersteigt und seinen Flug aufwärts zur Sonne der Wahrheit nimmt und mit sich auch die Völker zieht. Das ist die Culturfrage! (Tosender Beifall.)

Der Redner wurde beim Verlassen der Tribüne von allen Seiten warm beglückwünscht Es erfolgt das Referat des Herrn Dr. Kahn über die Organisation. Ebenso das des Herrn Dr. Kl e e. Herr Dr. Kokesch schliesst sich namens des Actionscomites den Anträgen an, wünscht jedoch folgende Abweichungen:

Nur je 100 Schekelzahler wählen einen Delegierten, der Wahlmodus- sei den Landes-Organisationen zu über­lassen, jedoch mit der Verpflichtung, ihn drei Monate vor dem Gongresse dem Actionscomite zur Genehmigung zu unterbreiten. Ferner beantragt Herr Dr. Kokesch, der Gongress möge zwei Revisoren und zwei Stell­vertreter wählen, welche bereits vor dem Gongress die Bücher zu prüfen und dem Finanzausschuss ihren Bericht vorzuh gen haben, damit dessen Arbeit während der Gongresstage erleichtert werde. Zu diesem Zwecke soll der Bücherabschluss bereits am 30. Juni jedes Jahres erfolgen. An der Debatte behteiligen sich die Herren Dr. Boden he imer, Dr. J. W. Marmore k, Dr. Klee, Y o r k - S t e i n e r, T e m k i n und Doctor H e r z 1.

Fräulein Emilie W o 1 p e aus Frankfu rt drückt unter lebhaftem Beifall der Versammlung die persönlichen Gefühle, die der Gongress in ihr erweckt, aus und hofft, dass auch in Deutschland die Bewegung bald an Intensität zunehmen werde.

Schluss der Sitzung 6*/ 2 Uhr.

DerAllgemeinen Schweizer Zeitung entnehmen wir folgende Bemerkungen über die Sitzungen am Mittwoch und Donnerstag:

An der gerühmten Einmüthigkeit der Zionisten hätte man am Mittwoch und Donnerstag zuweilen zweifelhaft werden können. Zwar socialistische Vor- stösse, wie auf dem vorigen Gongress, kamen die>mal nicht vor, und die Wirren unter den galizischen Zionisten sind beigelegt. Aber die ganze internationale Mannigfaltigkeit der Verhältnisse machte sich bei der Besprechung des Geschäftsberichtes geltend. Da klagten die Wiener, dass ihre besten Kräfte durch das Centrai- comite in Anspruch genommen seien, und forderten eine Scheidung zwischen der Gesammtleitung und der Wiener Localorganisation. Die Deutschen wiederum be­haupteten, das Centralcomite helfe ihnen nicht genug, und doch sei die Gewinnung der deutschen Juden für den Zionismus die erste nothwendige Vorbedingung für die Gewinnung* Westeuropas. In Rumänien verzeichnet man einen grossen Aufschwung der zionistischen Be­wegung, aber zugleich infolge einer Missernte eine furchtbare materielle Noth der Juden. In Galizien wünschen die Zionisten stärkere Unterstützung durch das Actionscomite, zum Beispiel Wanderredner, straffere Zusammenfassung. In Bulgarien sehnen sie sich nicht bloss nach einer zionistischen Presse, sondern noch mehr im Gegensatz zu dem französi- sierenden, antizionistischen Einfluss der Schulen der Alliance israelite nach jüdischem Volksunterricht. In Transvaal hoffen die zahlreichen Zionisten auf bessere Information und Organisation für die Aus­breitung der Sache. In Russland will man mehr gefragt und berücksichtigt sein, weil die ganze Kraft der Bewe­gung dort liege. In Amerika haben die Zionisten nur die eine Klage, dass ihre Organisation noch nicht völlig einheitlich und geschlossen sei.

Und doch war es nur der Ausdruck dafür, dass alle sich als berechtigte Glieder des Einen Leibes fühlten und fühlen wollten; und das Endergebnis war, dass viele wertvolle Zeit verloren gegangen, aber die Ein­müthigkeit nicht gestört, sondern eher gefestigt war.