; Nr,, 51 „Die Hc Welt« Seite 7
direct Interessierten durch Anlehnung an die Bank mit dem jetzigen Systeme brechen und sich eman cipi eren werden.
Das wäre von unseren Colonisten zu sagen, denen es trotz allem, nachdem sie ja wirklich die Hätschelkinder unserer europäischen Volksgenossen sind, leidlich gut geht.
Aber unsere jüdischen Hilfsarbeiter in den Colonien!
Und diese Palästinenser Juden, die auf dem Schau« platze der Bewegung stehen, wissen, was sie thun, wenn sie mit aller Liebe, aller Zähigkeit an den Herzlichen Prin- cipien festhaltend, sich in ihrer Gesinnung nicht beirren lassen durch die Colonisationstaktik der sogenannten praktischen europäischen Zionisten !
Die. bisher gegründeten Colonien haben, wie ich schon in einem vorhergehenden Berichte erwähnte, nur einen agitatorischen Erfolg geliefert; sie haben nur den Antisemiten die Fähigkeit und den Willen der Juden zur Arbeit bewiesen, sie haben es aber der Masse der Juden wie ihren Gründern, und da will ich mit der Farbe heraus, nicht bewiesen, dass die bisherige Methode auch nur annähernd die richtige gewesen.
Es wurden Millionen verausgabt, die heute bestehenden Colonien zu gründen, und jetzt sehen wir diese Schmerzenskinder in prächtigem Kleide, jedoch mit schwachen Beinen dastehen, angewiesen auf die Stütze, die von der einan oder anderen Seite erbettelt werden muss.
Ueber die Existenz der Colonien scheinen jedenfalls in Europa falsche Begriffe verbreitet gewesen zu sein, da sonst auf keinen Fall unlängst jener merkwürdige Beschluss gefasst worden wäre, fünfzig Boryslawer Erdwachsarbeiter- Familien zur Uebersiedlung nach Palästina zu verhelfen, damit sie in den Colonien an die Stelle der in Chedera zu colonisierenden alten Hilfsarbeiter treten. Dass so ein Antrag angenommen würde, stand ausser Zweifel. Denkt der Unglückliche, der im finsteren Baume schmachtet, wohin er will? Nein, er denkt nur an das Hinaus und ergreift blind die Hand, die ihm dazu verhilft. Aber derjenige, der ihm die Hand dazu bietet, hat die Verantwortung dafür, dass die Hoffnung des Unglücklichen, an einen besseren Ort zu kommen, auch verwirklicht werde. Die jüdischen Hilfsarbeiter, für deren Wohlergehen in den Colonien wenig oder gar nicht gesorgt ist, führen ein elendes Dasein. Vielleicht genügt zur Illustration die Aufzählung der Thalsache, dass die Taglöhne durchschnittlich 5—7 Piaster, den Piaster zu acht Kreuzern ö. W. gerechnet, betragen.
Wir finden daher auch in den Colonien drei Viertel Araber, ein Viertel Juden als Hilfsarbeiter thätig.
Der Araber, dessen von Jugend auf au erzogene primitive Ernährungsmethode demselben das Auskommen mit einigen Oliven und einem Laib Brot den Tag über gestattet, ist zufrieden. Der russische oder galizisehe Jude aber,, der, wie es in den meisten Fällen geschieht, mit zahlreicher Familie nach Palästina kommt, kann mit diesem Hungerlohne nicht auskommen. Er ist das Klima nicht gewohnt und kann ohne unbedingte Gefährdung seiner Gesundheit nicht so leben wie der Araber. Ausserdem ist das Angebot an jüdischer Arbeitskraft in Palästina ein so grosses, dass selbst unter den traurigen Conditionen von Sieben Piaster-Existenzen an ein gesichertes Unterbringen dieser fünfzig Familien ohne grobe Benachteiligung hiesiger, ebenfalls arbeitsberechtigter Juden nicht gedacht werden kann.
So lange nicht unsere Colonisten selbst aufgehört haben werden, Hilfsarbeiter der einzelnen palästinensischen Colonisationsfactoren zu sein, so lange sie nicht in der Lage sein werden, ihren Wein, ihre Products selbst zu erzeugen und direct zu verkaufen, so lange sie angewiesen sein werden, sich hierzu der Hand des Dritten zu bedienen und sie dafür dankerfüllt zu küssen: insolange wird das Hinzukommen neuer Hilfsarbeiter als ungesunde Massregel
zu verwerfen sein. Traurig für diejenigen, die, in Palästina dann angelangt, die Brotfrage nicht lösen können, peinlich für die Masse bereits hier ansässiger, beschäftigungsloser jüdischer Arbeiter, deren Hoffnung, Existenz zu finden, sich bei Ankunft, neuer Proletarier- erklärlicherweise stets nur verringern muss.
Die jüdischen Handwerker wieder bilden ein eigenes Capifcel für sich!
An sie wurde bisnun wenig gedacht. Es wurde vergessen, dass in einem Gemeinwesen die Rolle, die den gewerblichen Arbeitern zugewiesen ist, nicht die letzte ist, und dass die Blüte des Agrarierthums nur mit der des Gewerbes Hand in Hand gehen kann. Die paar tausend Francs, die alljährlich systemlos als Almosen an die gewerblichen Arbeiter vertheilt werden, genügen, dem jeweilig damit Betheilten ein paar sorgenlose Tage zu verschaffen, für die Zwecke eines gesunden Aufschwunges jüdischer Gewerbe aber sind sie wertlos. In den letzten Tagen kann in Jaffa unter den jüdischen Handwerkern erfreulicherweise eine Bewegung verzeichnet werden, die den Stempel eines für Palästina neuen, gesunden Systems trägt, des Systems der — Selbsthilfe. Sie wollen sich vereinen, um eine auf den liberalen Principien des englischen Gesetzes aufgebaute Productivgenossenschaft zu gründen. Weitere Details dürften bald in die Oeffentliehkeit dringeh.
Wenn ich das Ganze daher jetzt zusammenfasse, um, auf die leider traurige Spaltung im Lager der europäischen Zionisten hinspielend, zu einem logischen Schlüsse zu gelangen, so kann dieser nur kurz lauten, von einer Colonisation ins Blaue hinein in der Folge abzusehon und lieber vorderhand Schritt für Schritt dafür zu kämpfen, auf dem Boden von Recht und Gesetz Palästina als rechtlich gesicherte Heimstätte zu erreichen. Dann wird Palästina aus sich heraus zur Blüte gelangen und nicht nur für die Ueber- schüssigen aus unseren Reihen die letzte Zufluchtsstätte, sondern für alles, was sich Jude nennt, das ideale Heim werden. Unsere Ziele können aber nur dann erreicht werden, wenn die gegenwärtig an dem ungesunden System krankenden Verhältnisse in Palästina im allgemeinen, in den Colonien im speciellen saniert werden, mit jeder Neugründung hier aber so lange innegehalten wird, bis Recht und Gesetz es uns auf geradem, offenem Wege gestatten !
Alles andere in Palästina Geschaffene ist auf Sand gebaut. Wir aber wollen auf Stein bauen, damit die Burg Zion zur'wahren Feste unseres Volkes werde!
Tribüne.
Nach einem kurzen Traume von Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung sind wieder traurige Tage für die Juden gekommen; Vorurtheile, welche wir längst vergessen glaubten, leben wieder auf und werden zu neuen Angriffspunkten wider uns.
Je häufiger, je erbitterter diese Angriffe werden, umsomehr thut es noth, dass sich die Juden mit den Waffen des Geistes rüsten, umso dringender bedürfen sie der Bild u n g und Selbsterziehung in ethischer und in- teliectueller Richtung.
Als ein vorzüglichstes Mittel zur Gewinnung dieser Lebensgüter betrachten wir die Gründung einer Jüdischen Lesehalle und Volksbibliothek, einer Stätte,, wo unsere jüdischen Brüder, und insbesondere die wirtschaftlich schwächeren, für ihren Geist Stärkung, für ihr Gemüth Erbauung, für ihr Herz Muth und Selbstvertrauen finden sollen, um sich zu modernen, durch Bildung freigewordenen Menschen zu entwickeln, die im Kampfe um das Dasein vollwertig und gerüstet dastehen.
Die Lesehalle soll uns die reichen Schätze jüdischer Wissens eröffnen, die Kenntnis unserer Geschichte und Literatur vermitteln.
Jüdische Zeitschriften aus allen Ländern sollen uns mit der Lage unserer Brüder in der Nähe und Ferne vertrau! und für ihre Leiden und Wünsche empfänglich machen.