Redaction und Administration:

WIEN IX., Türkenstrasse Nr. 9.

Telephon 14199,

Erscheint jeden Freitag.

Zuschritten sind nicht an einzelne Personen, sondern an die Redaction oder Administration: Wien, IX.,

Türkenstrasse Nr. 9, zu richten. Unfrankierte Briefe werden nicht angenommen und Manuscripfe nicht zurückgesendet. Sprechstunden der Redaction: Montag, Mittwoch und Freitag von 34 Uhr.

Preise der Anzeigen:

Die viermal gespaltene Petitzeile 20 Heller. Der Inseratentheil wird Dienstag abends geschlossen.

Einzelne Nummern 30 Heller.

Oesterreich-Ungarn: ganzjährig 12 Kronen, halbjährig 6 Kronen. Für das Ausland: Deutschland ganzjährig 13 Mk. 70 Pf., halbjährig 6 Mk. 85 Pf., England ganzjährig 14 .Shg., halbjährig 7 Shg., Russland ganzjährig 7 R., halbjährig 3 R. 50 Kop., Schweiz, Frankreich, Italien, Türkei, Rumänien, Bulgarien, Serbien, Griechenland, Aegypten ganzjährig 17 Fr es., halbjährig 8 Fr es. 50 Cts., Amerika ganzjährig 3 Doli. 40 Ct.

Nr. 14.

Wien, 3. April 1901.

5. Jahrgang

Elihu hanuvi.

Eine Pessach-Phantasie von Heinrich York-Steiner (Wien).

Mit stockender Stimme, unendlich ernsthaft und doch freudig bewegt, recitierte ich meine Aufgabe, die grosse Frage:Ma nistano halajlo haze mikol halejlos ? u

Ich that so, als ob ich die Sätze aus dem Buche hole, und wusste sie doch wortwörtlich auswendig, den hebräischen Text und die deutsche Uebersetzung. Ich traf auch den Ton der Frage ganz vortrefflich. Vater lächelte, es war ein verhaltenes Gefühl der Freude, das aus seinen Augen leuchtete; man lacht nicht laut im weissen Kittel mit der goldbetressten Kappe auf dem Haupte. Die Stimmung des Versöhnungs­tages und der ewig langen Nacht wirft ihren Schatten in das festliche Gefühl. Die erste Erregung war von mir gewichen und mit voller Stimme, stellte ich die letzte Frage:Warum sitzen wir in anderen Nächten frei öder angelehnt, in diesor Nacht nur angelehnt?"

Die anderen fielen mit sonoren Stimmen ein. Sie antworteten meinen Fragen.

Knechte waren wir dem Pharao in Aegypten, doch der Ewige, unser Gott, zog uns mit starker Hand Ii er aus !"

Ach, wir wussten Frage und Antwort im vor­hinein, wir lachten heimlich der harmlosen Verstellung, und wir fühlten doch tief die Weihe des Augenblickes, die Bedeutung der schlichten Worte.

Die gespielte Rolle erlebten wir, und wir erzählten eine uralte Geschichte, die uns gestern geschehen war.

Es bedurfte gar nicht der ausdrücklichen Ver­sicherung der Agada, dass unsere Feinde in jedem Zeitalter wider uns aufstünden, das erfuhr ich fast alltäglich nach der Schule.

Nach der Schule gab es Kämpfe wildester Art.

Und da der liebe Gott zumeist mit den stärkeren Bataillonen ist, musste manche jüdische Mutter mit dem flachen Messer eine Beule drücken, damit das Söhnchen nicht dauernde Spuren christlicher Ueber- macht auf der Stirne trage. Solche Kämpfe wurden zumeist im Herbste ausgetragen; im Frühling über- liessen wir es dem lieben Gott, unsere Feinde zu züchtigen. Um die Zeit der ersten Tag- und Nacht­gleiche nahten sich die sagenhaften Gestalten der

Agada. Die alte Leidensgeschichte der Juden sammt ihrer mirakelhaften Bcfieiung umgaukelte unsere Sinne.

Auch wir hofften dem grossen Wunder entgegen, dem befreienden Geschehnis. Uns lebte der alte Jehova noch immer. Ihm, der vor Jahrtausenden die Aegypter im Rothen Meere, ertränkt hatte, konnte es morgen gelüsten, den grossen Mischko, meinen Special-Pharao, in den Bach zu werfen mitsammt seinem Hunde, den er so oft auf mich gehetzt hatte.

Als Vater diesen unfrommen Wunsch hörte, wurde er böse. Wir giengen in dämmeriger Fi ühe zum Morgengebet, als ich ihm diese meine Hoffnung vortrug.

Bete, mein Kind," sagte er mir eindringlich vor, bete, dass in diesen Tagen* keinem Cliristenkindc Unheil widerfahre." Ich war damals sechs Jahre alt, aber Vater hatte nicht viel Mühe, mir begreiflich zu machen, welch ein grosses Unglück es für die Juden sei, wenn um Ostern ein Christenkiud verunglücke.

Wer spottet der Frühreife von Judenkindern? . Ich betete für meines Pharao Wohlergehen, sogar für seinen Hund legte ich ein gutes Wort ein. Und siehe da,. Mischko gedieh vortrefflich.

So oft er an mir vorbeikam, schrie er mir er­lesene. .Schimpfworte mit solcher Kraft zu, dass ich an seinem Wohlergehen nicht zweifeln konnte. Gerne hätte ich ihm gesagt, dass .er nur meiner Sorge um das Wohl der Judenheit seine Kraft verdanke, dass der alte Jehova noch lebe und dass schliesslich der Oster- friede bald zu Ende sein würde.

Seither habe ich es erlebt, dass gar mancher Hallunke aus Rücksicht für das Wohl der Gemeinde verschont wurde.

Aber weder die Herren Gegner noch ihre hündischen Kläffer wussten uns je Dank dafür.

Je weiter wir in der Agada fortschritten, desto mehr schwand meine versöhnliche Gesinnung.

Es steckt etwas Aufreizendes in diesem dünnen Büchlein, es erinnert an alte, unsagbar harte Leiden, an unzählbar viele Schmerzen.

Ausgestandene Leiden von Menschenhand erduldet, sie machen nicht demüthig.